"Überzeugen ist wichtiger als befehlen"
KURIER: Herr Gansch, haben Sie das Neujahrskonzert angesehen?
Christian Gansch: Da ich am Berg war, habe ich es nur gehört, live auf Ö1.
Wie hat es Ihnen gefallen?
Es war wirklich wunderbar. Dirigent Dudamel hat eine andere Perspektive hineingebracht, dazu musste ich ihn gar nicht sehen. Bei der Musik geht es ja nicht um Wahrheit, sondern um Wahrhaftigkeit.
Da spielen 80 Individuen, die zusammen die absolute Harmonie schaffen. Welche Mechanismen und Spielregeln stecken dahinter?
Die Wiener Philharmoniker haben über 200 Konzerte jährlich, spielen sieben Stunden am Tag, haben keine Fluchtmöglichkeit in Einzelbüros. Da sind ganz stringente Strukturen dahinter. Der Dirigent ist der CEO, es kann aber bis zu 13 Instrumentengruppen geben, sie alle haben eine eigene Führungskraft. Da gibt es wahnsinnig viel Selbstverantwortung. Und weil sie so gut sind, gibt es auch 80 Visionen von dem Stück. Ein Orchester braucht deshalb einen starken Künstler, der die Musiker überzeugt, Motivation gibt. Das Publikum, der Kunde, braucht ein perfektes Produkt, keine chaotische Selbstverwirklichungsorgie.
Wann macht ein Dirigent seine Arbeit gut?
Es gibt einen schönen Satz: „Dirigieren heißt zuhören können.“ Es ist nie eine Einbahnstraße von oben herab. Das Publikum glaubt immer, dass der Dirigent die Macht hat. Das ist völliger Blödsinn. Das Orchester weiß: Aus diesem Stab ist noch nie ein Ton gekommen. Das Orchester hat die Macht. Der Dirigent organisiert dann das Wechselspiel der Kompetenzen. Führung in Unternehmen ist oft anders. Da sagt der Chef, er hat die Kompetenz, aber keiner weiß, worum es geht. So fehlt bei den Mitarbeitern die Selbstmotivation.
Ihre Coachings basieren auf den Parallelen zwischen Orchestern und Unternehmen. Was gefällt Ihnen an dieser Metapher?
Am Beispiel der Wiener Staatsoper etwa: Das ist ein Unternehmen. Alles läuft wie am Schnürchen, der Sekt in der Pause, das Orchester, die Sänger, der Dirigent. Ich habe das präzise analysiert: Wann klappt in einem Orchester alles? Wie schaffen Menschen, die aus über 20 Ländern kommen, diesen Schulterschluss? Beim Führen ist die orchestrale Metapher sehr zielführend.
Was kann ein Chef von einem Dirigenten lernen?
Überzeugungsarbeit ist wichtiger als Befehle. Respekt und Wertschätzung sind das Fundament dafür, dass sich Menschen selbst motivieren können. In der orchestralen Struktur lernt man, im richtigen Moment loszulassen, zu spüren, wann man stört. Man muss wahrnehmen, hören, Verantwortung übergeben. Ein Orchester hat viele Musiker-Typen, jeder hat andere Interessen und Probleme. Vor dem Kunden aber muss man an einem Strang ziehen. Deshalb gibt es eine unglaublich stark ausgeprägte Feedback-Kultur.
Führungskräfte außerhalb des Orchesters meiden Konfrontation oft.
Ich bin überrascht, wie in Unternehmen herumgeeiert wird. Man kann Chefs in ihrer Geisteshaltung aber zu einem Perspektivenwechsel inspirieren.
Wir sprechen stets von Harmonie. Braucht ein Unternehmen nicht auch wilde Solisten, die Innovation vorantreiben?
Ja, immer! Es braucht Menschen, die Akzente setzen, im Orchester haben Sie in den Top-Positionen auch Haudegen. Aber die wissen, wann sie sich nach ihrem Solo wieder zurückziehen.
Sie sind in Amstetten geboren, haben unter anderem vier Grammys gewonnen. Wie schafft man den Sprung nach Hollywood?
Wissen Sie, ich hatte Glück, als Produzent mit den richtigen Künstler an den richtigen Stücken zusammenzuarbeiten. Wirklich toll war der Grammy für die Wiener Philharmoniker 2004 in der Kategorie „Best Orchestral Performance“. Es war unter Pierre Boulez, ich habe es produziert. Ich bin aber nicht bei der Verleihung gewesen. Man weiß ja nicht, ob man gewinnt und dann auch noch so lang fliegen…(lacht)