Scotland Yard in Frauenhand
Er besticht Informanten, lügt, um die Reaktion seiner Umgebung zu studieren und nimmt alles und jeden genau unter seine Lupe. Seine Ermittlungsmethoden gelten als gewöhnungsbedürftig, seine Erfolgsquote in der Detektiv-Szene aber als unerreicht. Seine Fälle löste er vor allem Dank der Hilfe des legendären Scotland Yard. Die berühmte Romanfigur Sherlock Holmes galt als bester Ermittler des Vereinigten Königreiches.
Bis jetzt. Nun wünschen sich – reale – Medien Cressida Dick als "beste Ermittlerin" herbei. Vergangene Woche, am 10. April, übernahm sie die Leitung des Londoner Metropolitan Police Service (MPS) – besser bekannt als das legendäre Scotland Yard. Damit bekommt das Haus erstmals eine Frau an seine Spitze. Seit 1829 bekleideten stets nur Männer den Posten des "Commissioner". Stolz erklärte die 56-Jährige deshalb vor der Presse: "Polizeikommissarin zu werden ist mehr als ich mir je erträumt habe." Ihr Vorgänger Sir Bernard Hogan-Howe geht nach sechs turbulenten Jahren in Pension. Die Behörde hat 43.000 Mitarbeiter.
Unbeirrt
Cressida Dick lernte den Job der Polizistin von der Pike auf. Während sie sich am Anfang ihrer Karriere als Streifenbeamtin oft in rauer Gesellschaft befand, gastiert sie heute meist in äußerst vornehmer – etwa bei Teekränzchen mit Prinz Harry. 2015 wurde sie von der Queen mit dem "Commander of the Order of the British Empire" geehrt – das ist die dritte Stufe des britischen Ritterordens. Die britische Premierministerin Theresa May sagt von sich selbst, sie sei Dicks größter Fan.
Von der Streife in den Buckingham Palace scheint Cressida Dicks Weg aus heutiger Sicht schnell erfolgt zu sein. Beinahe ohne Zwischenfälle kletterte sie die Polizei-Karriereleiter hinauf. Dicks Vater und Mutter waren Oxford-Professoren, auch sie schlug eine akademische Ausbildung ein, studierte Land- und Forstwirtschaft. Nach der Uni reiste sie, jobbte in einem Fish&Chips-Laden, war auf der Suche nach Abenteuern. 1983 wechselte sie deshalb zur Polizei. Schon zehn Jahre später war sie "Superintendent". Ermittlerin zu sein, das war, was sie erfüllte. So sehr, dass sie an der University of Cambridge Kriminologie belegte. Nach ihrem Studium kam sie als "Commander" zurück zum Yard. Dann erlitt die Karriere einen Knick.
Ausgerechnet im Kampf gegen den Terror machte ihr Team einen Fehler. Nach den Selbstmordanschlägen auf die Londoner U-Bahn im Jahr 2005 war sie mitverantwortlich für die Operation "Kratos", die potenzielle Selbstmordverdächtige aufspüren sollte. Ein Polizist erschoss damals einen Verdächtigen. Nach einem Untersuchungsausschuss zum Vorfall stellte sich heraus, dass dieser Mann ein Unschuldiger war. Dick selbst konnte kein Fehler nachgewiesen werden – und doch war sie verantwortlich.
Eiserne Lady II.
Die Polizei schenkte ihr aber weiterhin Vertrauen. 2011 steigt sie sogar zur Leiterin der Terrorabwehr Großbritanniens auf. Diesen Job liebte sie. 2014 zerwarf sie sich allerdings mit ihrem Vorgesetzten, dem jetzt scheidenden Sir Bernard Hogan-Howe. Er entzog ihr die Verantwortung, versetzte sie ins Fremdenbüro, wo sie fortan eine unbedeutendere Rolle hätte spielen sollen. Das wollte Dick nicht ertragen. Sie kehrte der Polizei den Rücken und verabschiedete sich vom Traum, sie einmal führen zu können. Sie wechselte ins Außenministerium.
Dass sie nach drei Jahren jetzt doch an die Spitze des Scotland Yard zurückkehrt, ist ein starkes Zeichen. Sie übernimmt in einer schwierigen Zeit einen schwierigen Job – und komplettiert damit ihren Polizei-Lebenslauf. Ihr Fokus als Polizei-Chefin wird weiterhin auf Terrorbekämpfung liegen. Überraschend: Sie will freiwillig weniger verdienen als ihr Vorgänger. Aus Solidarität mit den Einsparungen der Polizei verzichtet sie auf 47.800 Euro und verdient damit "nur" 270.000 Euro im Jahr.
Dick tritt ein großes Erbe an und bekommt als erste Frau an der Spitze des Scotland Yard und vielleicht auch wegen der berühmten Geschichte des Hauses viel internationale Aufmerksamkeit. Dort ist man heute immer noch eng mit den alten Romanfiguren verwoben, spielt gerne mit deren mysteriösem Image. Die Kriminaldatenbank des Hauses etwa heißt Home Office Large Major Enquiry System. Abgekürzt: H.O.L.M.E.S.