Rot-Weiß-Rot-Karte: Vom Ausland auf den Arbeitsmarkt
Von Andrea Vyslozil
KURIER: Laut Experten braucht Österreich jährlich 50.000 Ausländer, um den Bedarf am Arbeitsmarkt zu decken. EWR-Bürger und Schweizer können ohne größere Hürden in Österreich arbeiten. Wie wichtig ist der Zuzug aus Drittstaaten?
Roland Verwiebe: Diese Zahl stammt ursprünglich von Heinz Faßmann. Ja, Österreich hat einen Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Sie müssen hier aber sehr genau nach Branchen und Berufen differenzieren. Im mittleren Qualifikationsbereich, im dualem System, muss man eventuell neue Rekrutierungsmodelle finden. Grundsätzlich bietet die EU-Erweiterung ein Reservoir an hoch qualifizierten Arbeitskräften, die meiner Ansicht nach jene Sektoren mit Bedarf ausreichend bedienen.
Für hoch qualifizierte Drittstaatenangehörige gibt es seit 2011 die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte). Die Zahl an Bewilligungen bleibt aber hinter den Erwartungen. Warum kommt sie nicht besser an?
Sie könnte im Ausland stärker und gezielter beworben werden. Für Migranten sind Länder wie USA und Kanada auch deshalb attraktiver, weil dort die Sprachbarriere geringer und die Integration über bestehende Communities leichter ist.
Die Karte hat in Wirtschaft und Industrie viele Kritiker. Erst Ende Juli haben die Neos gefordert, die Verfahrensdauer zu verkürzen und bürokratische Hürden abzubauen.
Es ist ein ambivalentes Thema. Gerade das von Drittstaatenangehörigen vorzuweisende Mindestentgelt, das Kritiker senken wollen, ist ein heikler Punkt. Im Grunde würde das bedeuten, Fairness und soziale Standards ein Stück weit aufzugeben. Durch billige Konkurrenz aus dem Ausland steigt der Druck auf einheimische Hochqualifizierte, weniger Gehalt zu akzeptieren. Das könnte prekäre Verhältnisse nach sich ziehen und würde diesem Land, das so ohnehin durch Zuwanderung sehr unter Druck steht, nicht guttun. Bei den Gewerkschaften war die Karte anfangs sehr umkämpft. Letztlich hat man sich durchgerungen, weil im Einvernehmen mit der Arbeitgeberseite Fairnessaspekte berücksichtigt wurden. Dass Gesetze bei der RWR-Karte nachjustiert werden, halte ich grundsätzlich für vorbildlich.
Manche Unis kritisieren, dass 30-Stunden-Verträge für PhD-Projekte das Mindesteinkommen nicht erreichen würden. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Unis haben Sonderrechte. Ein Mitarbeiter an meinem Institut kommt aus Südkorea, der braucht die RWR-Karte nicht. Gäbe es das nicht, wären die heimischen Universitäten international nicht konkurrenzfähig. Mit 30 Stunden kann es allerdings knapp werden. Das hängt auch davon ab, wie viel Drittmittel verfügbar sind. Aber prinzipiell sind die Universitäten gute Arbeitgeber.
Die RWR-Karte gibt es auch für Start-up-Gründer. Ob sie Anspruch auf die Karte haben, entscheidet unter anderem ein AMS-Gutachten. Im März sorgten mehrere Fälle von ausländischen Gründern für Schlagzeilen, deren Anträge zu Unrecht abgelehnt worden waren. Was ist da schiefgelaufen?
Gründer sind Steuerzahler, sie haben innovative Ideen und schaffen Arbeitsplätze. Insofern ist es keine kluge Strategie deren Bedingungen zu verschlechtern. Aber so wird der Auftrag der Wählerinnen und Wähler von denen, die die Macht haben, interpretiert. Ich kann mir vorstellen, dass das AMS Entscheidungen zur RWR-Karte nach bestem Wissen und Gewissen trifft. Es sind ja auch nur Einzelfälle, die das Verwaltungsgericht beanstandet hat.
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Kollegen und ich haben im Zuge eines Projektes Dutzende dieser jungen Menschen interviewt. Die nehmen keinem Österreicher etwas weg, sie gehen gezielt in Bereiche, wo es einen klaren Arbeitskräftebedarf gibt. Das sind Vorzeigebeispiele für Integration, mehrfach geprüft, werden am Ende wahrscheinlich hervorragende Facharbeiter. Die ausbildenden Unternehmen investieren Tausende Euro in sie. Und jetzt kommt die Regierung und sagt, wir schieben die ab. Die ersten Fälle gibt es schon. Das ist ökonomisch sinnlos, wenig klug und nicht angemessen. Ein bisschen mehr Herz und Verstand wären hier angebracht.
Zur Person: Soziologe Roland Verwiebe, geboren 1971, ist Professor für Sozialstrukturforschung. Der Berliner forscht seit 2009 an der Universität Wien zu den Themen Arbeitsmarkt, Migration und soziale Ungleichheit. Seine jüngsten Publikationen behandelten unter anderem den transnationalen Arbeitsmarkt und Berufsverläufe von Akademikern mit Migrationshintergrund.