Der den Cerro Torre einfing
Von Sandra Baierl
Nicht den Hauch einer Chance gaben Alpinisten einer freien Besteigung des Cerro Torre. Sieben Mal ist auch das Bergsteiger-Wunderkind David Lama daran gescheitert. Beim achten Mal gelang es: Lama, Sohn einer Innsbrucker Krankenschwester und eines nepalesischen Sherpas, kletterte mit Partner Peter Ortner auf den einst unbezwingbaren 3133 Meter hohen Turm im Nebel.
Diese Besteigung wurde gefilmt. Regisseur von Cerro Torre ist Thomas Dirnhofer. Er hat sich das Regieführen selbst beigebracht, sich einen Namen mit Musikvideos und Werbefilmen gemacht. In die alpine Materie musste sich der 1975 geborene Vorarlberger kaum einarbeiten, seit seiner Jugend ist er Kletterer und Bergsteiger.
18 Wochen total verbrachte sein Team in Patagonien an der kalten chilenisch-argentinischen Grenze.
KURIER: Cerro Torre – Ihr härtester Filmauftrag bisher?
Ein Regisseur hat für gewöhnlich einen genauen Plan ...
... he better has...
... aber Pläne am Berg halten in den seltensten Fällen ...
In einem Film ist der Regisseur Gott, in einer Dokumentation ist Gott der Regisseur – das hat sich in Patagonien bewahrheitet. Wir mussten also extrem flexibel sein. Jedoch: Dieses Doku-Projekt konnte, im Nachhinein betrachtet, nicht besser laufen. Ich hätte die Geschichte nie so schreiben können. Trotzdem waren es vier, fünf Jahre, die dieses Projekt gefressen hat – ich wünsche mir, dass das nächste schneller über die Bühne geht.
Sind Sie mit der Idee hingefahren, dass der Film beim ersten Mal im Kasten ist?
Ja, davon bin ich ausgegangen. Das war sehr hochmütig. Aber ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Wir waren guter Dinge, hatten aber alle viel zu wenig Erfahrung. Das kann man unter jugendlichen Übermut einordnen. Am Ende haben wir drei Anläufe gebraucht.
Ein Projekt über Jahre – ist das gut dotiert?
Man macht das der Sache wegen, obwohl ich mit dem starken Partner Red Bull im Hintergrund gut dabei weggekommen bin. Es gab keinen Zeitdruck, ich konnte ein Jahr lang schneiden, das ist ein sehr angenehmes Arbeiten.
Bergfilme haben seit der Zeit Luis Trenker immer den gleichen Plot. Was war Ihre Idee dazu?
Ich versuche bewusst, diese althergebrachte Gipfelsieg-Geschichte zu umschiffen und tiefer in die Figuren zu schauen. Cerro Torre ist ein anspruchsvoller Film: "David Lama will die Kompressorroute frei klettern" – allein in diesem Satz sind Termini, die nicht jeder verstehen wird, weil das Klettern eine ganz eigene Welt ist. Aber das ist mir Banane – ich will einen Einblick in diese Szene geben.
Wer war der Chef am Berg?
Zuerst der Athlet, dann ich. Der David sagt, wann und wie und ob er das macht. Dann bin ich verantwortlich, dass wir die Schüsse kriegen, die gut sind.
Im ersten Jahr habe ich geglaubt, ich komme da mit. Das war keine gute Idee. Wir haben drei Jahre lang Menschen gesucht, die David und Peter am Berg folgen sollten. Keiner konnte das Tempo halten.
Herrscht am Berg ein anderer Teamspirit als im Tal?
Am Berg lernst du den echten Charakter jedes Einzelnen wesentlich schneller und besser kennen. Am Boden kannst du bald mit jemandem drehen, ohne wirklich zu wissen, welche Persönlichkeit das ist. Am Berg kristallisiert sich das wahre Gesicht sehr schnell heraus.
Gibt es etwas, woran man sich auch in 18 Wochen nie gewöhnt?
An den Wind. Da bläst ein Wind, den es in europäischen Vorstellungen nicht gibt. Die Windböen dort watschen dich ab, da stehst du nicht mehr aufrecht, da gehst du auf allen Vieren. Ich habe mich auch nie an die Einsamkeit gewöhnt.
Welche Fähigkeiten haben Ihnen in der Extremsituation besonders geholfen?
Ich habe während dieses Projekts eine Eigenschaft lernen dürfen: Auf die Umstände einzugehen, die mir eine Situation liefert. Der Controlfreak in mir wurde zurückgedrängt. Das hat mir gutgetan.
Was waren die entscheidenden Momente in diesem Projekt?
Eine sehr gefährliche Situation waren die letzten fünf Meter vor dem Gipfel, da wackelt alles und du weißt nicht, ob der Stein hält oder nicht. Emotional schwierig ist, dass man nur eine Beifahrerrolle hat. Das ahnt man als Regisseur, aber man sitzt dann trotzdem im Hubschrauber und schwitzt mit.
Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen, meine Eltern waren Bergsteiger. Ich gehe in die Berge, weil das eine Welt ist, wo ich zu mir finde, wo sich sehr schöne, existenzielle Geschichten abspielen, wo Menschen an die Grenzen ihres Seins hinausgedrängt werden.
Hat dieser Berg etwas Spezielles?
Der Torre hat diese unglaublich interessante historische Backstory: Die Geschichte von Cesare Maestri, der behauptet, oben gewesen zu sein, wo aber jegliche Beweise dafür fehlen, weil sein Partner abgestürzt ist. Dazu die Form des Berges, die steilen Wände, die Unwetter.
Welche Vision haben Sie?
Ich will die Authentizität, die wir bei Cerro Torre haben, weiterführen, künftig wieder mehr in Richtung Spielfilm gehen.