Prekäre Arbeit setzt Betroffene unter Druck
Von Andrea Vyslozil
Der dunkle Mercedes hat weiche Ledersitze und glänzende Armaturen. Unter anderen Umständen könnte man Karim* um das Auto, das er fährt, beneiden. „Zwölf Stunden bin ich gestern gefahren. Heute wieder so lange“, erzählt er über den Job für einen bekannten Fahrtendienstleister. Von 16 Euro, die seine Fahrgäste an diesem Nachmittag für eine 25-minütige Fahrt zahlen, bekommt Karim, der bei einem Sub-Unternehmen angestellt ist, nur ein Drittel. Nur mit langen Schichten kommt er finanziell gerade so über die Runden.
300.000 Working Poor, Menschen, die obwohl sie arbeiten, nicht davon leben können, gibt es in Österreich. Nach EU-Definition gilt als Working Poor, wer in seinem Land weniger als 60 Prozent des medianen Haushaltseinkommens verdient. Besonders betroffen sind laut Sozialbericht des Sozialministeriums alleinerziehende Frauen, Menschen mit geringer Bildung sowie Ausländer.
Niedrigverdiener entlasten
Möglichkeiten ihre Lage zu bessern, gibt es laut Christoph Badelt, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, zwei. Die eine wäre ein Zuschuss aus öffentlichen Geldern für niedrige Einkommen: ein sogenannter Kombi-Lohn. „Dieser ist schlussendlich jedoch nur eine andere Form der Unternehmenssubvention“, meint Badelt, der Option zwei für sinnvoller hält – eine Entlastung der unteren Einkommen von staatlichen Abgaben.
Da in diesem Segment die Lohnsteuer bereits sehr niedrig ist, würde der Wifo-Chef an anderer Stelle ansetzen: „Die Sozialversicherungsbeiträge sollten bei Niedrigverdienern vollständig wegfallen.“
Vielen prekär arbeitenden Erwerbstätigen macht allerdings nicht alleine das Geld Sorgen, sondern hohe Unsicherheit. Laut Wifo-Rechnung ist jeder dritte Unselbstständige instabil beschäftigt: Rund 1,2 Millionen arbeiten nicht einmal ein Jahr durchgehend im selben Job. Laut einer Eurostat-Befragung hatte zuletzt jeder zehnte österreichische Beschäftigte die Sorge, im kommenden halben Jahr den Job zu verlieren. „Konkurrenz am Arbeitsmarkt und der Druck auf die meisten Erwerbstätigen sind enorm hoch“, sagt Veronika Bohrn Mena von der Gewerkschaft der Privatangestellten.
Prekäre Arbeit sieht die Expertin für atypische Arbeitsverhältnisse auch für die Zukunft vermehrt als Problem. Es sei nicht zuletzt auch billige Arbeit im Ausland, die die heimische Wirtschaft veranlasse, Löhne zu drücken, vermutet sie.
Wirtschaftskammer relativiert
Keinen Trend zu mehr prekärer Arbeit erkennt hingegen die Wirtschaftskammer. Schließlich seien 39,6 Prozent aller Österreicher im erwerbsfähigen Alter laut Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria vollzeitbeschäftigt. Lediglich 12,4 Prozent der Teilzeitbeschäftigten – und damit weniger als im EU-Schnitt – geben an, in dieser Form zu arbeiten, weil sie keine Vollzeitbeschäftigung gefunden hätten, beruft man sich auf die Statistik.
Tatsächlich gaben in der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung des Vorjahres 29,7 Prozent der Teilzeitbeschäftigten an, aufgrund von Betreuungspflichten (für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige) nicht in Vollzeit zu arbeiten. 21 Prozent gaben an, in Teilzeit zu arbeiten weil sie nicht in Vollzeit arbeiten wollten. 16 Prozent nannten persönliche oder familiäre Gründe für ihre Entscheidung. Zwölf Prozent erklärten ihre Teilzeit mit schulischer oder beruflicher Weiterbildung und 9,5 Prozent mit sonstigen Gründen.
„Österreichs Betriebe stehen im Spannungsfeld des zunehmenden Fachkräftemangels und können es sich nicht leisten, auf qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verzichten. Punktuell genannte Beispiele für atypische Arbeit können daher kein Beleg für eine generelle Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sein, nur weil sie nicht der Norm eines unbefristeten Vollzeitdienstverhältnisses entsprechen“, heißt es in der Aussendung weiter.
Bohrn acht exemplarische Schicksale von prekärer Arbeit in ihrem Buch „Die neue ArbeiterInnenklasse“ zusammengetragen: Von der unterbezahlten Forscherin über die unfreiwillig in Teilzeit arbeitende Akademikerin bis zum Paket-Boten, der selbstständig als Subunternehmer im freien Kleintransportgewerbe hackelt.
Ein Kapitel ist der 47-jährigen Claudia* gewidmet. Nach einer Erkrankung findet die frühere Sekretärin und dreifache Mutter keine reguläre Arbeit mehr. Ihr Mann verdient als Leiharbeiter in guten Monaten 2700 Euro brutto, in schlechten 1750. „Ich bin froh, dass ich vorübergehend einen Transitarbeitsplatz habe“, erzählt Claudia dem KURIER. Das ist eine vom AMS geförderte Stelle für Langzeitarbeitslose. Befristung: sechs Monate.
„Prekäre Arbeit gibt es in Bereichen, wo Menschen ohne Ausbildung leicht ersetzbar sind, wie etwa Lagerarbeit, Küchenhilfe, Jobs im Transportgewerbe. Aber auch in Branchen, die prestigeträchtig und stark nachgefragt sind, etwa Kunst- und Kultur, Architektur, Wissenschaft oder Medien“, sagt Bohrn Mena. Die Gewerkschafterin rät Betroffenen, sich mit Menschen in ähnlichen Situationen auszutauschen und zu solidarisieren. Arbeitnehmerorganisationen böten außerdem rechtliche Beratung, so Bohrn Mena.
Depressiv und antriebslos
Die hätte Dominik Leitner rückblickend wohl das eine oder andere Mal brauchen können. Während seines berufsbegleitenden FH-Studiums jobbte sich der heute 30-Jährige als freier Journalist von einer geringfügigen Stelle zur nächsten – bis das Geld irgendwann nicht mehr reichte und er 2016 Mindestsicherung beantragte. Dabei wollte er ja arbeiten. „Einmal habe ich mit Honoraren für Artikel 650 Euro dazuverdient. Daraufhin wurden mir die Mindestsicherung in dem Monat gestrichen“, schildert er. „Die fünf Monate in der Mindestsicherung waren auch psychisch sehr belastend. Ich war depressiv und antriebslos.“ Dennoch suchte Leitner weiter eine Anstellung.
Und hatte schließlich Glück. Inzwischen ist er Content Manager bei einer Digitalagentur – ein Job, der ihm Spaß macht und nebenher ausreichend Freiraum für seine große Leidenschaft, das kreative Schreiben, lässt. Menschen in prekären Verhältnissen will er Mut machen. „Ich habe mir damals in meinem Blog Luft gemacht. Über Probleme zu reden, oder wie in meinem Fall öffentlich darüber zu schreiben, hilft definitiv.“
(*Name von der Redaktion geändert)