Wirtschaft/Karriere

Post-Chef Georg Pölzl setzt auf Leiharbeiter und Innovation

KURIER: Sie hatten in zwei Postverteilzentren Corona-Fälle, eingeschleppt durch Leiharbeitsfirmen. Wie kann das passieren?

Georg Pölzl: Wir sind ein Infrastrukturbetrieb, sind weiter gelaufen und froh, dass wir den Betrieb bisher durch die Krise aufrecht halten konnten. Man darf nicht vergessen: Wir haben 13.000 Mitarbeiter im ständigen Kundenkontakt.

Sie haben also mit so etwas rechnen müssen?

Wir haben nicht darauf gewartet. Wir haben alles sehr aufmerksam beobachtet, hatten sehr überschaubare Infektionszahlen. Dann kam es vergangene Woche zu dieser Häufung der Fälle in Hagenbrunn und Inzersdorf. Ich will mich gar nicht über Spekulationen über Infektionsketten einlassen, ich kann nur sagen: Im Betrieb wurden uns vorbildliche Maßnahmen attestiert.

Retrospektiv könnte man sagen: Wenn man Leiharbeiter mit Bussen heranbringt, ist die Chance groß, dass man sich etwas einschleppt. Ist es ein Fehler, so viele Leiharbeiter zu haben?

Das ist kein Fehler. Unseren Betrieb können wir gar nicht anders betreiben, weil wir die Mitarbeiter nicht finden. Hagenbrunn ist gerade ein halbes Jahr in Betrieb, wir sind dabei, eine Kernmannschaft aufzubauen. Von den 300 Mitarbeitern sind etwas mehr als die Hälfte Leiharbeiter.

Können und werden Sie etwas verändern nach der Häufung der Corona-Fälle?

Ja. Wir werden noch strikter die Einhaltung der Vorsorgemaßnahmen kontrollieren. Noch mehr hinschauen, noch strenger sein. Die Menschen in ihrem sozialen Verhalten, in ihrer Freizeit, werden wir aber schwer ändern können. Die Sensibilität bei Corona ist unterschiedlich: Da gibt es Menschen, die sehen das alles nicht so eng. Die haben andere Sorgen und eine andere Bedürfnispyramide.

Unter den Leiharbeitern gibt es etliche Asylberechtigte.

Ja. Wir beschäftigen sie im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Ich fände es sozial höchst bedenklich, wenn wir Menschen, die arbeiten dürfen, nicht beschäftigen würden. Dazu stehen wir und das werden wir auch nicht verändern. Wir sind stolz darauf, dass wir, etwa in Inzersdorf, einen Multikulti-Betrieb mit 50, 60 Nationalitäten haben. Das ist außerdem die österreichische Realität.

Rund 300 Soldaten und Zivilbedienstete helfen derzeit aus. Die können das?

Das sind Profis. Sie werden von uns angeleitet und bringen zusätzlich ihre Expertise ein, konkret kümmert sich der ABC-Trupp um die Desinfektion. Das Bundesheer ist notwendig, denn Sie müssen bedenken: Wir haben seit acht Wochen einen Zustand wie zu Weihnachten. Im Schnitt 600.000 Pakete pro Tag, 800.000 an Spitzentagen. Das sind zumindest 50 Prozent mehr als normal. Dass wir das bisher überhaupt bewältigt haben, grenzt an ein Wunder. Noch dazu unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen.

Die Behinderungen halten sich in Grenzen?

Wir haben Verzögerungen, das will ich gar nicht kleinreden. Aber wir bringen die Pakete schnell ans Ziel. Früher hatten wir 97 Prozent der Pakete am nächsten Tag zugestellt, heute sind es 80 Prozent. Das ist nicht der Standard, den wir anstreben, aber eine Spitzenleistung unserer Mitarbeiter.

Sie reden nur noch vom Paket, nicht mehr vom Brief oder den Werbesendungen.

Ja, besonders im Paketbereich haben wir das große Wachstum. Dennoch ist der Brief unsere Haupteinnahmequelle mit etwa 75 Prozent des Umsatzes. Das verändert sich aber stark. Als ich bei der Post begonnen habe, hatte der Brief noch 90 Prozent. Wir investieren im Paketbereich auch, heuer wieder 150 und 200 Millionen Euro.

So viele Pakete mehr sind aber noch kein Plus in der Bilanz.

Man muss sagen, das erste Quartal 2020 war das schlechteste seit Langem. Das hat im wesentlichen zwei Gründe – zum einen, weil wir eine Bank aufbauen, der zweite Grund heißt Corona. Wir haben sinkende Briefmengen, fast keine Werbepost und steigenden Paketmengen mit zusätzlichen Kosten. Wir haben sogar in Quarantänegebieten zugestellt. Das macht man aus einem Versorgungsgedanken heraus, nicht aus einem betriebswirtschaftlichen Effizienzgedanken.

Sie haben Ende 2019 gesagt, „das war mein schwierigstes Jahr“. Müssen Sie das jetzt schon korrigieren, mitten im Corona-Jahr 2020?

Das kann durchaus sein. Ja, es schaut so aus. 2019 war geprägt durch die Datendiskussion. Gegipfelt in einem völlig überzogenen Urteil und einer absurden Strafe von fast 20 Millionen Euro. Diese Absurdität wird allerdings durch Corona deutlich übertroffen. Es wird wohl mein bisher schwierigstes Jahr.

Jetzt bauen Sie eine Bank auf: Sie haben im vergangenen Jahr 30 Millionen Euro investiert, in Summe werden es 80 bis 90 Millionen sein. Wie soll sich das in Niedrigzinszeiten rechnen? Ist das Filialgeschäft für Sie doch ein Geschäft?

Es ist eindeutig so, dass die Post hier in einer speziellen, durchaus vorteilhaften Lage ist. Aber auch eine große Verpflichtung trägt. Wir sind Finanzpartner der Bevölkerung seit 140 Jahren. Dazu brauchen wir eine Bank. Weil uns unser alter Partner abhandengekommen ist, machen wir das jetzt selbst. Wir haben mit der Brüll Kallmus Bank (von der Grazer Wechselseitigen, Anm.), die wir erworben haben, die operative Basis gefunden. Die bank99 ist seit 1. April aktiv und wir haben 23.000 Kunden. Ein fulminanter Start, den wir so nicht erwartet haben. Schon gar nicht in Coronazeiten.

Sie machen gerne Neues: Von shöpping bis bank99. Muss sich auch eine Institution wie die Post immer wieder neu erfinden?

Ja, das muss sie. Gerade ein Unternehmen wie die Post. Weil das Kerngeschäft, der Brief, abschmilzt. Wir haben das Paketgeschäft, sind auch im Ausland tätig, haben einen Pharmagroßhandel in Deutschland gegründet, wo wir bereits eine halbe Milliarde Umsatz machen. Ich glaube außerdem, dass man eine Mannschaft nur motivieren kann, wenn man sie ständig auffordert, Innovationen zu bringen. Wir sind ein Unternehmen, das sich den Veränderungen stellt – die Welt um uns herum verändert sich auch dauernd.

Das macht Ihnen auch Freude.

Absolut. Sonst wird mir ja selbst langweilig.

Was war mutig in den vergangenen zehn Jahren ihres Managements?

Mutig war die Bank, mutig waren kleinere Aktivitäten wie shöpping, weil man nicht weiß, ob es Erfolg haben wird. Mutig war der Einstieg in der Türkei, immer noch ein attraktiver Markt.

Sie sind seit 2009 an der Spitze der Post, wie hat sich Ihr Management seither verändert?

Täglich reift die Erkenntnis, dass es die wichtigste Aufgabe eines Managers ist, sich mit den richtigen Menschen zu umgeben. Ich glaube, da sehr konsequent zu sein. Auf die Menschen um mich herum muss ich mich zu hundert Prozent verlassen können. Da bin ich auch zu keinen Kompromissen bereit. Und: Ich bin bestätigt darin, immer wieder Risiken einzugehen und das Neue zu suchen. Ein Unternehmen ohne Innovationen, und zwar auch im Kernbereich, kann nicht erfolgreich sein.

Von der Montanuniversität an die Spitze des Managements

Georg Pölzl, geb. 1957, promovierte an der Montanuniversität Leoben. Seine Laufbahn startete er als Unternehmensberater bei McKinsey, danach Wechsel  in den Vorstand des Anlagenbauers Binder & Co AG. Neun Jahre lang leitete er  T-Mobile Austria in Wien, es folgte ein Wechsel nach Deutschland, wo er als Sonderbeauftragter des Vorstandes der Deutschen Telekom und als Sprecher der Geschäftsführung von T-Mobile Deutschland tätig war. Seit 2009 ist DI Dr. Georg Pölzl Chef der Österreichischen Post AG, sein Vertrag endet 2022, Verlängerungsoption bis 2024.

Die Bilanz zum ersten Quartal 2020 wurde vergangene Woche  präsentiert: 23,8 Prozent Anstieg im Paketversand, ein Minus von 4,6 Prozent bei Brief- und Werbesendungen. Der Umsatz stieg um 2,1 Prozent auf 502,9 Millionen Euro, durch die Kosten für die bank99 und die Pandemie sank das EBIT um 41,9 Prozent auf 33,3 Millionen Euro.