Hat MSD mit der Covid-Pille aufs falsche Pferd gesetzt?
Von Diana Dauer
KURIER: Frau Herzer, Sie leiten die österreichische Niederlassung des amerikanischen Pharmakonzerns Merck Sharp & Dohme (MSD). Als Geschäftsführerin für Österreich vertreten Sie ein sehr kleines Land im Weltkanon eines Riesenkonzerns. Werden Sie gehört?
Ina Herzer: Österreich ist für MSD mittlerweile ein nennenswerter Standort. Wir haben hier eine erfolgreiche Entwicklung auch mit den entsprechenden Investitionen. Wir haben in Österreich jetzt vier Standorte und vertreten hier die ganze Spannweite von Produktion bis Forschung bis Vertrieb. Mit mittlerweile 800 Mitarbeitern haben wir einen Jahresumsatz von rund 400 Millionen Euro. Es zeigt, dass es uns gelungen ist, Österreich zu positionieren, als ein Land, das medizinische Innovation schätzt und wo es sich auszahlt zu investieren.
Welchen Stellenwert hat Europa innerhalb eines US-Pharmakonzerns?
Europa ist mit Blick auf die Patientenpopulation genauso wichtig wie andere Regionen.
Sie sprachen von markanten Investitionen vom Mutterkonzern für Österreich. Welche waren das?
Es entsteht eine neue Produktionsstätte der MSD Animal Health Danube Biotech GmbH in Krems mit rund 30.000 m2 und modernsten Technologien, wo künftig auch Impfstoffe für die Tiermedizin hergestellt werden sollen. Und wir haben in der Tiermedizin einen Standort in Wien, die Intervet. Da wurden alleine heuer 30 Millionen Euro in die Produktionsanlagen investiert. In den nächsten paar Jahren sollen weitere 150 Millionen investiert werden.
MSD hat keinen eigenen zugelassenen Impfstoff gegen das Covid-19-Virus. Sie haben vergangenes Jahr um 350 Millionen das Wiener Biotech Themis gekauft, um einen Impfstoff zu entwickeln. Bisher ohne Erfolg. Arbeiten Sie weiter an einem eigenen Impfstoff?
Wir konzentrieren uns im Moment auf die Covid-19-Therapie mit unserem oralen Medikament Molnupiravir, mit der wir hoffen, jetzt als erster einen entsprechenden Beitrag in der Pandemiebekämpfung leisten können.
Das Medikament ist in Großbritannien bereits im Einsatz, kann aber Experten zu Folge eine Schutzimpfung nicht ersetzen. Pfizer hat bei den Schutzimpfungen das Rennen gewonnen. Wie wirkt es auf ein so großes Pharmaunternehmen, wenn es bei der größten Pandemie der neueren Geschichte nicht vorne mit dabei ist?
Erstmal muss man hier ganz klar Pfizer gratulieren, wie auch den anderen Impfstoffherstellern. Es war für alle ein Glück, dass diese Impfung so schnell und zielgerichtet entwickelt werden konnte. Die Impfung ist die zentrale Säule bei der Bekämpfung der Pandemie. Nur so werden wir diese Pandemie besiegen können. Die Therapeutika sehen wir als zusätzliche Option für vulnerable Gruppen, die nicht geimpft werden können, oder wenn es zu Impfdurchbrüchen kommt.
Das ist jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt. Aber was heißt es für das Unternehmen, wenn Sie beim Impfen nicht mitschneiden?
Es ist immer eine Enttäuschung, wenn man in Forschungsprogramme investiert, die am Ende des Tages nicht die gewünschte Datenlage zeigen. Wir hätten sicher gerne im Impfstoffbereich einen Beitrag geleistet, das ist die Natur der Forschung. Die Ergebnisse haben die Wirksamkeit damals nicht gezeigt. Deshalb haben wir uns auf das Medikament konzentriert.
Auch Österreich hat das Medikament bestellt. Man will 80.000 Therapiezyklen zu 612 Euro bestellen. Wie setzt sich der Preis zusammen?
Wir wollen auch anderen Ländern helfen, speziell Ländern mit niedrigerem Einkommen. Deshalb haben wir uns für ein abgestuftes Preismodell entschieden auf Grundlage der Weltbankdaten. Das berücksichtigt die relative Fähigkeit zur Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie einzelner Länder. Darauf beruht der Preis, den sie gerade genannt haben.
Wie viel wurde in die Entwicklung von Molnupiravir investiert und wie lange hat die Entwicklung gedauert?
Die spezifischen Kosten kann ich nicht genau sagen. Wir re-investieren aber jeden vierten Euro unseres Umsatzes in Forschung. Bei Molnupiravir arbeiten wir seit Mai 2020 mit dem amerikanischen Biotech Unternehmen Ridgeback zusammen. Es ist also innerhalb eines guten Jahres sehr viel vorangegangen und schon jetzt haben wir die Gesamtergebnisse vorgestellt.
Wo genau wird das Medikament produziert? In Österreich ja nicht.
Nein. Die Produktion ist mehrschichtig und läuft global. Die chemische Synthese findet in den USA, Irland und Indien statt. Die Formulierung in den USA und Südamerika. Das Packaging findet für Europa, in den Niederlanden statt.
Die Impfung von Pfizer kostet zirka 15 Euro. Es ist also deutlich günstiger, zu impfen. Warum investiert man als Unternehmen in ein Medikament? Wer war die Zielgruppe? Impfverweigerer?
Wir tun alles, um klarzustellen, dass die Impfung die wichtigste Säule ist. Es geht um die Population, die wir auch in der Studie untersucht haben: haben: ab 18 Jahren und mit mindestens einem Risikofaktor.
Würden Sie auch Impfverweigerer als Zielgruppe formulieren?
Wir überlassen die Verschreibung den Medizinern. Es ist immer eine Möglichkeit, wenn es Gruppen gibt, die sich nicht impfen lassen können. Aber der Arzt muss mitentscheiden.
Auch das Pharmaunternehmen Pfizer hat mit Paxlovid ein Covid-Medikament entwickelt. Österreich hat davon 270.000 Zyklen bestellt. Dem Pfizer-Medikament wird eine 89-prozentige Wirksamkeit zugesagt, während ihrem Medikament nur 30-prozentige Wirksamkeit haben soll. War das Medikament eine Fehlinvestition?
Es ist unmöglich, Vergleiche zwischen den Therapie-Kandidaten zu schließen. Es gibt keine Vergleichsstudie. Es macht uns zuversichtlich, dass wir im europäischen Raum, in Großbritannien, mit unserem Therapeutikum bereits eine Zulassung haben. Das bedeutet, dass unsere Daten genau begutachtet wurden. Und dass es das entsprechende Vertrauen gibt. Die EMA hat jetzt das Rolling Review beendet und wir warten auf die finale Zulassung. Wir fokussieren uns auf die positiven Ergebnisse, die Molnupiravir in der Studie gezeigt hat.
Ursprünglich sind Sie von 50 Prozent Wirksamkeit ausgegangen. Wurde investitionstechnisch aufs falsche Pferd gesetzt?
Wir haben die Studie ja bewusst gestoppt, weil wir gesehen haben, dass das Medikament wirkt. Die Daten bestätigen das günstige Kosten-Nutzen-Profil. Das Risiko von Hospitalisierung und Versterben wird durch die Behandlung signifikant gesenkt nach fünf Tagen Molnupiravir-Therapie ist kein infektiöses Virus mehr in den Patienten nachweisbar.
Also ist die Antwort: „Nein, Sie sehen es nicht als Fehlinvestition?“
Nein. Absolut nicht. Ganz im Gegenteil, wir hoffen, dass die nächsten Schritte mit der EMA zügig laufen. Mein persönliches Anliegen ist, dass wir bald Molnupiravir nach Österreich bringen und letztlich helfen können, Menschenleben zu retten.
Sie haben mit fünf Generikaherstellern in Indien eine Lizenzvereinbarung bezüglich des oralen Covid-Medikaments vereinbart. Ist die Lizenzvergabe ein gutes Geschäft?
MSD erhält keine Lizenzgebühren für den Verkauf von Molnupiravir im Rahmen der Lizenzvereinbarung, solange COVID-19 von der WHO als internationaler Gesundheitsnotfall eingestuft ist.
Wie stehen Sie zur Debatte rund um Lizenzfreigaben, um Ländern mit wenig Impfstoff zu versorgen?
Ich glaube, man muss in diesem Fall differenzieren. Wenn wir von Ländern sprechen, die niedrige oder mittlere Einkommen haben, ist es in unserer aller Interesse, dass die Innovation zum Patienten kommt. In diesem Fall ist die Lizenzvergabe absolut sinnvoll.
Und die akute Debatte rund um Patentfreigaben?
Das Thema Patent und die Erforschung neuer Innovation, die dann patentiert wird, ist ein relevantes Thema für uns als Industrie. Wir haben zum einen extrem große Investitionsvolumina. Es sind über zwei Milliarden, die in eine Innovation fließen. Es braucht über 10.000 Ansätze, damit am Ende ein Medikament zur Marktreife gelangt. Patente sind das Herzstück für die forschende pharmazeutische Industrie.