New Work: „Wir können uns nur auf uns selbst verlassen“
KURIER: Viele Menschen malen eher schwarz, wenn es um die Veränderungen in der Arbeitswelt, Stichwort Digitalisierung, geht. Die Trends, die Sie im Work Report des Zukunftsinstituts vorstellen, sind aber durchwegs optimistisch.
Ali Mahlodji: Viele Menschen denken einfach nicht weiter. Egal, was in der Geschichte bisher passiert ist, es hat uns nie an den Punkt gebracht, an dem wir gesagt haben: Es geht nicht mehr. Es gab eine Zeit der Depression, der Angst, der Neuformation, das sind Zyklen, die immer wieder kommen.
Trotzdem scheint die Angst der Menschen vor dem jetzigen Wandel enorm zu sein. Warum eigentlich?
Unsere westliche Welt ist ganz stark darauf aufgebaut, dass wir uns immer auf etwas verlassen konnten, es Sicherheit gab. Bei unseren Großeltern und Eltern war es noch der lebenslange Arbeitgeber und in der Pension der Staat. Diese Grundpfeiler gibt es so nicht mehr. Angst ist hier also eine normale Emotion. Sie wird aber besonders stark, wenn man nicht an sich selbst glaubt und wir leben heute leider in einer Welt, in der man Menschen nicht zu Selbstverantwortung erzieht.
Mehr Selbstverantwortung, weniger Angst?
Ja. Gehen und Sprechen lernt man durch Selbstverantwortung, mit dem Schuleintritt gibt man die ab und das zieht sich bis ins Berufsleben fort. Die Menschen setzen Kinder in die Welt, dürfen auf der Autobahn mit 130 Sachen fahren, wählen Regierungen. Aber wenn es um ihre eigene Zukunft geht, haben sie Angst. Sie vergessen, dass sie selbst die einzige Sicherheit sind, auf die sie sich verlassen können.
Sie stellen im Work Report das Arbeitsmodell „Reporting to God“ vor, das genau darauf abzielt: Den Mitarbeiter stärker in die Pflicht nehmen, Verantwortung vom Chef nehmen. Wie funktioniert das?
Meine Idealvorstellung ist: Der Postbote kommt in ein Unternehmen und erkennt nicht, wer der Chef ist – jeder kommt wie ein Entscheider rüber, weil sie es auch alle sind. Führung, wie wir sie jetzt leben, braucht auch einen Hund, den man an der Leine zieht. Das ist erwachsenen, selbstwirksamen Menschen nicht mehr zumutbar.
Werden sich Führungskräfte in Zukunft erübrigen?
Nicht ganz, ihre Art zu führen wird sich aber verändern. Ein Mensch, der ganz oben sitzt, Wissen bündelt und alles vorgibt – wohin soll der diese mündigen Leute führen? Wäre es nicht spannender, wenn man zehn Mitarbeitern alle Informationen gibt die sie für ihre Aufgaben brauchen und sie damit ihr Ziel erreichen lässt?
Und die Chefs sollen Macht und Vertrauen abgeben? Glauben Sie, können sie das?
Vertrauen ist hier das falsche Wort, denn das hieße: Trauen vergeben. Es geht hier mehr ums Zutrauen. Wenn sich Chefs selbst zutrauen, loszulassen, geht das Hand in Hand damit, Mitarbeitern zu vertrauen. Viele klammern an Aufgaben, weil es ihren Selbstwert bestimmt.
Sie haben da die Theorie, dass der Chef dann zum Dienstleister der Mitarbeiter wird.
Genau, es wäre wie beim Fußball: Die Spieler am Feld fragen auch nicht jedes Mal den Coach, wohin sie passen sollen. Sie sind komplett selbstverantwortlich, haben ein Ziel: Ins Tor schießen. In der Pause kann der Trainer dann durchgreifen, die Leute austauschen. Aber er greift niemals ins Spielgeschehen ein. Der Trick ist: Der Trainer muss die Spieler dazu bringen, ihm zu vertrauen. Nicht er gewinnt die Meisterschaften, das tun die Spieler. Er gewinnt aber die Spieler für sich.
Für welche Organisationen ist so ein Führungskonzept eher umsetzbar: den kleinen Tischler oder den Weltkonzern?
Die Frage ist: Wie sehr ist der Boden bereit für so eine Veränderung? Es gibt viele Chefs, die wollen das gar nicht.
Abschließend: Sie haben 2017 mehr als 180 Vorträge gehalten, heuer den Work Report geschrieben, jetzt machen Sie Pause. Zu viel gearbeitet?
Das ist keine Auszeit, weil ich sage: Ich kann nicht mehr. Wenn man Spitzensportler beobachtet, kann man von ihnen lernen, dass Weiterentwicklung niemals im Training, sondern immer in der Regenerationsphase entsteht. Und die mache ich von Juli bis September.