Wirtschaft/Karriere

Navigieren in unsicheren Zeiten

KURIER: Frauen werden in die Führungsetagen einziehen, das Arbeitsleben wird sich im Home Office abspielen, das Telefon wird sich niemals durchsetzen – das prophezeiten einst kluge Köpfe. Wie bewerten Sie solche Prognosen?
Jan Mendling: Aus einer Rückschau heraus sind die Dinge einfacher zu beurteilen, es schwirren ja immer verschiedenste Prognosen umher. Manche Propheten werden gesagt haben „das wird ein Riesending“, manche wiederum „das wird niemals was“. Dass bei der Vielzahl der Meinungen am Ende jemand Unrecht hatte, lässt sich kaum vermeiden. Interessanter finde ich Aussagen, wie die des American Documentation Institute aus den 60ern. Da hat man darüber gesprochen, dass neue Informationssysteme sich verändernde Job-Bilder und -Profile mit sich bringen. Darüber reden wir heute noch. Und darüber werden wir auch in 200 Jahren sprechen. Auch wurde Ende der 80er Jahre von IT-Managern abgefragt, was die wichtigsten Themen sind, die sie beschäftigen. Diese Themen sind zu 90 Prozent gleich zu heute.

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Worauf basieren Prognosen und Trends?
Mein WU-Kollege Alexander Kaiser hat das in einem Vortrag kürzlich so zusammengefasst: Lernen und Wissen beruhen auf Erfahrung. Das Interessante dabei ist, dass Erfahrungen nicht nur auf der Vergangenheit basieren. Man kann sie auch aus der Zukunft ziehen. Das hat eine neuropsychologische Fundierung.

Inwiefern?
Wenn man jemanden fragt, wie der Urlaub in der Karibik war, wird das kognitiv gleich erlebt, als wie wenn ich Ihnen sage: Stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt in der Karibik. Sobald Sie sich das konkret vor Augen führen, laufen die selben Erfahrungsmechanismen ab, als wie wenn das tatsächlich passiert wäre.

Wie kann das etwa auf Strategien in Unternehmen angewandt werden?
Mit dieser Methode des Lernens aus der Zukunft kann man sich frei vom Ballast des Hier und Jetzt machen und unter Anleitung darüber sinnieren, wie das Wunschbild des Unternehmens in 2025 aussehen könnte. Man beginnt sich das konkret vorzustellen und kann dieses Bild systematisch auf Maßnahmen herunter brechen. So kriegt man eine Richtung, in die man sich bewegen kann.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Unternehmen bei ihrer Strategie?
Im Prozessmanagement sehen wir, dass sie in der Fülle ihrer Verpflichtungen wenig Zeit haben, weit nach vorne zu denken. Natürlich tun sich Unternehmen mit hohen Gewinnmargen leichter, sich Freiräume zu schaffen, visionär zu sein. In Branchen mit geringen Margen, wie dem Handel, ist das oft schwierig.

Welche Entscheidungshilfen haben Manager, an was können sie sich noch festhalten?
Management mit einer langfristigen Planung kann da kaum mehr funktionieren. Man versucht nun, mehr Agilität reinzukriegen. Das heißt oft, weniger ambitiös zu sein. Je kleiner die Arbeitspakete, an denen man arbeitet, desto einfacher funktioniert die Umsetzung. Man versucht deshalb, schnell etwas Einfaches fertigzustellen, für das man am Markt rasch Feedback bekommt. Das ist eine Reaktion auf die Planungsunsicherheit und darauf, dass sich im Umfeld vieles verändert.

Wir haben heute mehr Daten zur Verfügung als noch vor 20 Jahren – lassen sich auf dieser Grundlage Prognosen einfacher machen?
Was sich hier stark verändert, ist, dass man Daten damals explizit sammeln und auswerten musste, heute kann man bestehende Daten aus verschiedenen Quellen verknüpfen. Dass sich technologisch vieles wandelt ist aber kein Spezifikum unserer Zeit. Manche Dinge kommen heute allerdings schneller beim Kunden an als früher. Aber es wird auch in Zukunft weitere technische Veränderungen geben. Vielleicht reden wir in 20 Jahren darüber, wie sich digitale Prozesse in biologische Prozesse verwandeln.

Sie sagten in einem Vortrag vergangene Woche, Unsicherheit biete Chancen für die Zukunft.
Da haben wir aus den Re-Engineering-Projekten der 80er eine wesentliche Erkenntnis gewonnen: Wenn man in einem Umfeld arbeitet, in dem alles stabil ist und halbwegs gut funktioniert, haben die Beteiligten keine Motivation etwas zu verändern, man stellt sich nicht infrage und das wahrscheinlich auch zurecht. Erst wenn man als Unternehmen unter Druck steht, mit Existenzängsten kämpft und die Dinge verändern muss, entwickelt sich Offenheit bei den Beteiligten, sich für die Zukunft neu auszurichten. Insofern ist Unsicherheit in manchen Bereichen auch ein Türöffner.

Manager erhoffen sich – besonders in wirtschaftlichen Umbruchsituationen, wie wir sie derzeit in der Transformation von der analogen zur digitalen Geschäftsmodellen erleben – Entscheidungshilfen bei wichtigen Weichenstellungen. Dabei zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass Prognosen oft falsch sind. Eine Liste angesagter Trends und Prognosen, die so nie stattgefunden haben:

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Chancengleichheit: 1990 landeten die US-Forscher Patricia Aburdene und John Naisbitt mit den „Megatrends 2000“ einen Bestseller, in dem sie prognostizieren: „Frauen erobern die Führungsetagen.“ 2016 sieht es immer noch nicht danach aus: In Österreichs börsennotierten Unternehmen sind derzeit sowohl in den Aufsichtsräten als auch in den Vorstandsetagen unter zehn Prozent der Mitglieder weiblich. Die Gläserne Decke hat allenfalls Sprünge bekommen, deren Einbruch scheint noch lange nicht in Sicht.

Recruiting: 1997 prognostizierte das internationale Consulting-Unternehmen McKinsey den „War for Talent“. In allen wissensbasierten Ökonomien, so die Vorhersage, würden spätestens 2014 nicht nur die allerbesten Nachwuchskräfte, sondern auch jene der zweiten Reihe händeringend gesucht. Das war vor dem Platzen der dotcom-Blase, vor 09/11, vor den folgenden Finanzkrisen. Tatsache ist, dass der demografische Knick durch die geburtenschwachen Jahrgänge zwar eingetreten ist, aber der Bedarf an Talenten aufgrund sinkender Wachstumsraten zurückgegangen ist.


Erwerbsleben: „Arbeiten bis ins hohe Alter“ ist eine, mit der wachsenden Lebenserwartung einhergehende, seit langem gestellte Forderung. Tatsache ist, dass längst nicht alle, die dazu geistig und körperlich in der Lage wären, bereit sind, den Ruhestands auf später zu verschieben. Tatsache ist auch, dass nur wenige Arbeitgeber den „Schatz im Silberhaar“ suchen und das Senioritätsprinzip, nach dem Ältere auch teurer sind, appetitzügelnd wirkt.

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Home Office:Keine Staus mehr zur Rush Hour, weil moderne Technologien das Arbeiten von daheim ermöglichen. Das war die große Hoffnung Anfang der 1990er-Jahre. Was längst technisch möglich wäre, ist aber noch lange nicht menschlich machbar. Viele direkte Vorgesetzte befürchten Kontrollverlust über abwesende Mitarbeiter. Mitarbeiter selbst fürchten verschlechterte Karrierechancen, wenn sie nicht sichtbar sind. Das Home Office ist nach wie vor eine Randerscheinung.

Hochgeschwindigkeitszüge: „Bahnreisen mit Hochgeschwindigkeit wird nicht möglich sein, weil die Passagiere nicht atmen könnten und den Erstickungstod erleiden würden“, verkündete Dionysys Larder (1793 bis 1859), Professor für Naturphilosophie und Anatomie, University College London.

Telekommunikation: „Die Amerikaner brauchen vielleicht das Telefon. Aber wir nicht, wir haben genügend Laufburschen“, war Sir William Preece, Chefingenieur der britischen Post, 1876 überzeugt.

PkW-Verkehr: „Wegen der begrenzten Anzahl an Chauffeuren wird die weltweite Nachfrage nach Automobilen die Zahl 5000 nicht übersteigen“ – das war die Marktanalyse von Mercedes-Benz aus dem Jahre 1900.

Unterhaltung: Wer zum Teufel will Schauspieler schon reden hören?“, fragte Harry Warner, Gründer des Filmunternehmens Warner Brothers, 1927 bei der Einführung des Tonfilms.

Technologien: „Ich denke, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer“, konstatierte IBM-Vorsitzender Thomas Watson 1943.

Konsum: 1966 deklarierte das renommierte Time Magazine e-Shopping salopp übersetzt als „Rohrkrepierer“. Es werde floppen, weil Frauen aus dem Haus gehen wollen, um einzukaufen und Waren angreifen wollen. Schon 2010 betrugen die Online-Einkäufe in den USA 173 Mrd. US-Dollar. (Johanna Zugmann)