Wirtschaft/Karriere

Miteinander und allein

Eine Kristallkugel hat der deutsche Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx nicht mitgebracht, als er Anfang April bei der Future-Konferenz über den Megatrend Individualisierung spricht. Stattdessen wirft er mit seiner "Landkarte des Wir" einen Blick in die Zukunft. In dieser werden wir mehr denn je alleine leben, wohnen und arbeiten. 2020 werden Ein-Personen-Haushalte die größte Zahl der Haushaltsformen ausmachen, gefolgt von Familien mit ein bis zwei Kindern. An die Stelle der Großfamilie, noch vor 100 Jahren das am meisten verbreitete Modell, treten Patchwork-, neue Groß- und Mehrgenerationen-Familien.

Die wachsende Anzahl an Singlehaushalten bedeutet aber nicht, dass wir vereinsamen, sagt Horx. Noch eher langsam entwickelt sich die Idee einer Gesellschaft mit sehr vielen verschiedenen Lebensformen. Aber diese nimmt deutlich Fahrt auf. Dabei entstehen neue Formen des Zusammenlebens. Vieles müssen wir nicht neu erfinden, sondern nur vorhandene Varianten für unsere Zwecke adaptieren. Als "Recycling-Form des Sozialen" bezeichnet Horx das.

Schrebergarten hat ausgedient

Der klassische Schrebergarten hat in dieser Zukunft ausgedient. Anstatt Rosen und Hecken zum alleinigen Vergnügen zu setzen, geben wir uns genüsslich dem Urban Gardening hin. Gemeinsam mit Gleichgesinnten pflanzen, pflegen und ernten wir Obst und Gemüse, teilen weniger geliebte Arbeiten untereinander auf. Wir gestalten öffentliche Räume und bilden Künstlerkollektive. Wir ziehen in Mehr-Generationen-Häuser, bauen Öko-Dörfer und initiieren Nachbarschaftsnetzwerke. Wir starten Online-Petitionen und beteiligen uns an Open-Source-Projekten. Wir teilen, tauschen und verleihen – und wir arbeiten in Co-Working-Quartieren, die ebenfalls Teil dieser "Landkarte des Wir" sind.

Der Arbeitsplatz von heute ist durch die Möglichkeiten der Digitalisierung oft vollkommen mobil, kann zu Hause ebenso wie im Kaffeehaus oder auf "Shared Desks" aufgeschlagen werden. Gleichzeitig wird Teamwork umso bedeutender. Selbst, wenn wir uns nicht in der Lohnabhängigkeit befinden, arbeiten wir ungern ständig alleine. "Überall in der Welt können Sie Co-Working-Spaces, in denen man als Individuum versucht, sich mit anderen zu vernetzen, regelrecht wachsen sehen", so Horx. Vor allem in den größeren Städten gibt es immer mehr Co-Working-Spaces – teils von kleinen Vermietern, teils entdecken bereits internationale Anbieter auch den österreichischen Markt.

Das Dörfliche im Urbanen

Co-Living, Co-Housing, Urban Gardening, Co-Working – viele solcher Projekte rekonstruieren das dörfliche Leben im urbanen Bereich, sagt der Trendforscher. Und immer geht es dabei um Verbindungen zwischen Menschen. Denn: "Gelungene Zukunft entsteht dann, wenn Beziehungen gelingen."

Für ihn bedeutet das letzten Endes die Vernetzung verschiedener Entitäten innerhalb einer Gesellschaft. Nicht der Staat solle alles lösen und ebenso wenig das Individuum, vielmehr müsse Beziehung zwischen den Institutionen, zwischen Familien und Institutionen, Wirtschaft und Staat, Verbänden und Zivilgesellschaft funktionieren, genauso zwischen nicht mehr so Jungen und Jungen. Das gelte es auch in der unternehmerischen Tätigkeit umzusetzen, wolle man Zukunft konstruieren.

-Sabine Karrer