Wirtschaft/Karriere

Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt: Fünf Vorurteile, die nicht stimmen

Der Fachkräftemangel stellt die heimische Wirtschaft vor große Herausforderungen. Dabei gehen dem Arbeitsmarkt viele qualifizierte Talente verloren, weil sich der Inklusionsgedanke in der Wirtschaft noch immer nicht voll und ganz etabliert hat. Der Grund: Unter vielen Headhuntern und HR-Verantwortlichen kursieren nach wie vor Vorurteile und Falschinformationen über das Beschäftigen von Menschen mit Behinderung. Der KURIER hat Wolfgang Kowatsch, Co-Founder der Unternehmensberatung myAbility, mit den fünf gängigsten Annahmen konfrontiert. Das sind seine Antworten.

1. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen sind weniger leistungsfähig und öfter im Krankenstand.

Wolfgang Kowatsch: Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, aber Erfahrungsberichte bestätigen das nicht. In meinem Unternehmen haben 40 Prozent der Belegschaft eine Behinderung. Was Krankenstände betrifft, sehe ich keinen Unterschied. In diesem Zusammenhang sollte man  wissen, dass nur vier Prozent der Behinderungen angeboren sind. Jedes Jahr aber erwerben zwei Prozent der Bevölkerung  eine. Im Prozess der Erkrankung kommt es vielleicht zu häufigen Krankenständen. Mit einer vorhandenen Behinderung haben sie grundsätzlich nichts zu tun. 

2. Mitarbeitende mit Behinderung sind weniger qualifiziert als jene ohne.

Laut einer aktuellen Erhebung des Institute for Advanced Studies Vienna (IHS) haben rund zwölf Prozent der Studierenden eine Behinderung. Das deckt sich dem Alter entsprechend ziemlich genau mit dem gesellschaftlichen Schnitt, woraus man schließen kann, dass die Fähigkeiten von Mitarbeitenden im Vordergrund stehen sollten, nicht die Behinderung. Ich glaube, Arbeitgeber sollten sich immer die Frage stellen, was Qualifizierung für sie heißt. Es geht immer um ein gutes Matching von vorhandener Qualifikation und dem, was ein Unternehmen braucht. Wenn das gut zusammenpasst, dann kann daraus viel Gutes entstehen. 

3. Mitarbeitende mit Behinderung benötigen viel Führungsaufwand und am Ende ist eine inklusive Unternehmenskultur für alle anderen nutzlos.

Definitiv nicht. Es gibt so viele unterschiedliche Menschen, manche haben führungsintensivere Persönlichkeiten als andere. Eine Behinderung spielt hier aus meiner Sicht keine Rolle. Fakt ist, dass sich Unternehmen vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft mit dem Thema ohnehin auseinandersetzen müssen. Wenn bis 2050 ein Großteil der Bevölkerung über 55 sein wird, werden sich beispielsweise körperliche Beschwerden häufen. An Organisationen wird das nicht einfach vorbeigehen.

4. Mitarbeitende mit Behinderung genießen von Anfang an einen besonderen Kündigungsschutz.

Nach dem Behinderteneinstellungsgesetz gilt ein besonderer Kündigungsschutz für begünstigte behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das sind Menschen, deren Grad an Behinderung von mindestens 50 Prozent durch einen Feststellbescheid des Sozialministeriumsservice bescheinigt wurde. Allerdings gilt dieser Kündigungsschutz in den meisten Fällen erst vier Jahre nach Beginn des Arbeitsverhältnisses. Für den Arbeitgeber ist das also genug Zeit, um festzustellen, ob die Mitarbeitenden zum Unternehmen passen. Die Angst  Beschäftigte mit Behinderungen eventuell nicht mehr loszuwerden, ist in der Praxis unbegründet. 

5. Die Räumlichkeiten des Unternehmens sind nicht barrierefrei. Ich kann keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung einstellen.

70 Prozent der Behinderungen sind unsichtbar. Oft reicht es, als Arbeitgeber offen mit dem Thema umzugehen. Und zwar so, dass Beschäftigte ihre Behinderung nicht als Schwäche sehen oder Angst davor haben müssen, gekündigt zu werden. Außerdem muss eine barrierefreie Umgestaltung des Arbeitsplatzes dem Unternehmen nicht unbedingt sehr teuer kommen. Es gibt hier zahlreiche Förderungen. Die Beantragung und der Umbau bedeuten natürlich etwas Mehraufwand. Am Ende macht sich das aber sicher für alle bezahlt.  

Wolfgang Kowatsch ist Teil der Arbeitsgruppe „Rat für Neue Arbeitswelten“ von Arbeitsminister Martin Kocher, war viele Jahre Geschäftsführer einer führenden Online-Jobplattform und ist Mitbegründer der sozialen Unternehmensberatung myAbility, die Unternehmen hilft, die Potenziale von Menschen mit Behinderung als Kundinnen und Kunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu nutzen.  Er führt dabei rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit und ohne Behinderung.