Wirtschaft/Karriere

Mein letzter Blog: Was von New York bleibt

Obwohl ich schon seit einigen Wochen zurück in Wien bin, fühle ich mich manchmal immer noch nicht richtig angekommen.

VIer Wochen Aufregung, vier Wochen Außergewöhnliches, aber auch vier Wochen Hektik liegen hinter mir. Die Stadt, die niemals schläft, hat mir buchstäblich den Schlaf, aber oft auch den Atem geraubt – ständig schien die Metropole vor Leben zu vibrieren. Alles ist schnell und alles ist möglich, im Guten wie im schlechten Sinne. Oft prallen Gegensätze aufeinander: Da ist die Offenheit der Einwohner, welche neben der Ignoranz gegenüber den vielen Obdachlosen existiert. Oder die unendlichen Freizeitmöglichkeiten in einer Stadt voller Workaholics.

New York ist und bleibt ein Ort der Extreme, den ich nie so ganz verstehen werde, der mir aber in der Ferne ein Zuhause geworden ist.

Rückblickend

Dieser Monat in Amerika wird immer etwas Besonderes für mich sein, denn ich habe unglaublich viel gelernt und einige Freundschaften fürs Leben geschlossen. Ich fühle mich gewachsen und verändert, irgendwie bin ich nicht mehr dieselbe Julia, die Anfang Oktober in den Flieger Richtung USA gestiegen ist. Auch mein Blick auf die UNO hat sich verändert, ich musste einige „Realitätsschocks“ verkraften und bin mehr denn je überzeugt, dass eine grundlegende Reform der Institution nötig ist, um ihr volles Potential entfalten zu können. Doch meine Ideale habe ich trotzdem nicht verloren, denn ich weiß, dass die Arbeit der Vereinten Nationen wichtig ist, da sie das einzige Forum sind, in welchem der Dialog, selbst zwischen Staaten, die sich im Krieg miteinander befinden, nicht abreißt. Wir wissen nicht wie eine Welt ohne die UN aussehen würde, aber eine Welt in der dieser Dialog fehlen würde, wäre eine ärmere und die Gefahr von weiteren Kriegen und Konflikten umso größer.

Dennoch denke ich, dass die Veränderung, welche die UNO von der Staatengemeinschaft immer fordert, auch innerhalb des UNO Systems passieren muss. Die UN ist nur so stark wie ihre Mitgliedsstaaten, deshalb müssen alle an einem Strang ziehen, um zu gewährleisten, dass die Organisation die Werte vertreten kann für die sei einst nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde – Friedenssicherung, die Einhaltung des Internationalen Rechts und der Menschenrechte.

Meine Wegbegleiter

Was mir Hoffnung gibt, dass die Welt zum Besseren hin verändert werden kann, sind die Jugenddelegierten, die ich in New York getroffen habe und die Außergewöhnliches in ihren Heimatländern leisten. Da ist beispielsweise die Physikerin aus Schweden, die stets rational und unaufgeregt wirkt, aber ein Herz aus Gold hat und leidenschaftlich für Frauenrechte eintritt. Trotzdem wir so unterschiedliche Persönlichkeiten haben, konnten wir viel voneinander lernen und ich bin froh die Freundschaft der Naturwissenschaftlerin gewonnen zu haben.

Alle Inhalte anzeigen
Der Australier mit indigenem Hintergrund, der sich für die Rechte der Aborigines stark macht und mir die Realität seines Heimatlandes abseits der Strände und Surfer nähergebracht hat. Trotz den Gefahren von Radikalisierung, Rassismus und Gewalt, die auch am anderen Ende der Welt präsent sind, werde ich nie das Leuchten in seinen Augen vergessen, wenn er voller Liebe von seinem Heimatland erzählt hat. Es bräuchte Menschen wie ihn in der Politik, die nicht vergessen, dass Land und Leute im Vordergrund stehen und nicht die Eigeninteressen.

Dann gab es meine Mitbewohnerin, die belgische PHD-Studentin Mitte 20, die fünf Sprachen spricht und immer eine enorme Kraft und Eleganz ausstrahlt. Als Berberin ist sie mit Recht stolz auf ihre Herkunft und engagiert sich unermüdlich in Belgien, um Diskriminierung am Arbeitsmarkt zu beenden. Erst letztens hatten wir ein sehr emotionales Telefongespräch, in dem sie mir über die Anfeindungen erzählte, die sie und ihre muslimische Familie nach den Terroranschlägen von Paris erleben müssen. Es macht mich wütend zu sehen, dass eine der intelligentesten Frauen, die ich kenne, sich in ihrem Land fremd fühlt, aber gleichzeitig bin ich zumindest froh, dass wir uns in diesen schwierigen Zeiten unterstützen können.

Und schließlich die slowenische Journalistin, die in Vertretung aller Jugenddelegierten ein kurzes Statement an Generalsekretär Ban Ki-moon richten durfte und uns durch ihr selbstsicheres Auftreten und ihre bewegenden Worte zum Staunen brachte. Als ehemalige TV-Moderatorin, Master-Studentin der Internationalen Beziehungen und Organisatorin der slowenischen UNO-Simulation, ist sie ein inspirierendes Multitalent, aber ihre wichtigste Eigenschaft ist und bleibt ihr großes Herz.

Was bleibt

Ich könnte stundenlang über die interessanten jungen Menschen erzählen, welche New York für mich zum Strahlen gebracht haben, denn es gibt noch einige davon. Sie radelten mit dem Fahrrad durch Deutschland um Jugendstatements einzusammeln, vertaten als erste irische Jugenddelegierte junge Menschen vor dem großen Gipfel der nachhaltigen Entwicklungsziele im September und streben als junge Mexikanerinnen das Amt der ersten lateinamerikanischen UN-Generalsekretärin an.

Und was sage ich im Endeffekt, wenn ich zum hundertsten Mal gefragt werde, was das Highlight von New York war?

Es ist nicht die UNO, nicht Ban Ki-Moon, nicht die Stadt und obwohl sie ganz weit oben steht, nicht meine Rede.

Alle Inhalte anzeigen
Es sind diese jungen Menschen, die mir Kraft geben, wenn ich wiedermal einen Frust auf die Welt habe und daran bin den Mut zu verlieren, dass Veränderung möglich ist. Sie sind stärker als Terrorangst und Rassismus. Sie sind lauter als die Hetzer gegen Flüchtlinge und die Menschen, die sagen, politisches Engagement macht keinen Sinn. Sie sind die Gegenwart und die Zukunft.

Ich bin ein idealistischer Mensch. Ich lasse mich selten von Pessimisten oder sogenannten Realisten in die Schranken weißen, die meinen, meine Träume wären zu weit gegriffen, mein Drang die Welt zu verbessern zu kindisch oder meine Ideen zu kühn. Ich finde es ist gerade die Hoffnung und das Handeln abseits von konventionellen Vorstellungen, welches oft Veränderung mit sich bringt.

Als also meine Vorgängerin des Jugenddelegiertenamtes mich warnte, dass es einen begrenzten Handlungsspielraum für uns in der UNO in New York gäbe, wollte ich das zuerst nicht glauben. Lächelnd tat ich auch die Sorge meiner Kollegen und Freunde ab, ich könnte enttäuscht werden. Die UNO in New York ist der Ballungsraum der politischen Macht der weltumspannenden Organisation, wie könnte mich dieser Ort enttäuschen?

Anfangs war ich natürlich verzaubert von den imposanten Räumlichkeiten, dem internationalen Publikum, den interessanten Kontakten und der Kraft, die das Hauptgebäude der Vereinten Nationen ausstrahlt. Die Wochen vergingen wie im Flug, bald hatte ich meine Routine und es war eine wunderbare: Der Coffee Shop in dem ich in der Früh meine Jugenddelegiertenfreunde zum Austausch traf, das Arbeiten in der von den Qataris gesponserten eleganten „Eastern Lounge“, die hochrangigen Events, die ich besuchen konnte, all das zog mich in den Bann und ließ in mir das Gefühl erstarken, etwas Wichtiges und Sinnvolles zu tun. Das tat ich auch ohne Frage, ständig war ich mit Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt, nutzte alle Veranstaltungen um mich weiterzubilden und die Interessen der österreichischen Jugendlichen zu vertreten und organisierte mein eigenes Event zum Thema „Silent Heroes“ , das ein voller Erfolg war.

Ich war und bin zufrieden mit meiner Arbeit, da ich mich zu hundert Prozent reingehängt und die Zeit in New York so gut es mir möglich war genutzt habe.

Aber dann sollte der letzte Teil meiner Aufgabe an die Reihe kommen und der gestaltete sich äußerst schwierig: Das Lobbying und Verhandeln der Jugendresolution, die alle zwei Jahre verabschiedet wird. Seit Wochen redeten wir davon, denn einige meiner Jugenddelegiertenkollegen (mich leider ausgeschlossen) würden sogar für ihre Länder verhandeln dürfen. Jeden zweiten Tag fragten wir also voller Spannung nach, ob der Erstentwurf der Sponsoren – der Länder, welche die Verhandlungen leiteten – schon veröffentlicht worden war. War er aber nicht und so zogen die Wochen ins Land und mehr und mehr meiner Kollegen mussten nach Hause fahren. Immer unruhiger wurde die Gruppe und Unmut wurde wach. Die Deadline war zwar noch nicht verstrichen, aber eigentlich war angekündigt gewesen, diese nicht bis zur letzten Sekunde ausreizen zu wollen. Irgendwann vergaß ich fast auf die Resolution, das Leben in New York war schnell, hektisch und aufregend und ich kümmerte mich um meine persönlichen Projekte.

Alle Inhalte anzeigen
120 Statements, die mir Jugendliche aus ganz Österreich in den letzten Monaten mitgegeben hatten, übersetzte ich ins Englische und übergab sie dem Sondergesandten für Jugend Ahmed Alhendawi. Damit löste ich mein Versprechen ein, da ich mit meinem „Zukunftskoffer“ durch das Land getourt war, um die Forderungen und Wünsche der Jugendlichen für das Jahr 2030 in die UNO zu tragen und diese der zuständigen Person zu übergeben.

Ich war erleichtert diese Aufgabe erledigt zu haben, als plötzlich die Nachricht kam – die Jugendresolution existierte doch und war soeben vorgebracht worden! Sofort machten wir uns mit den verbliebenen zehn von 30 Jugenddelegierten an die Arbeit unsere Kommentare und Abänderungsvorschläge auszuarbeiten und an unsere Heimatländer zu senden. Diese gaben ihre Zustimmung oder Ablehnung und sendeten die angenommenen Vorschläge dann ihrerseits an die Organisatoren. Ganz schön bürokratisch und zeitaufwändig, aber wir waren Jugendliche vor Ort und wir wollten Teil dieser internationalen Resolution sein. Es sollte nicht nur über uns geredet werden, sondern mit uns! Die Zeit schritt voran und die Meetings, die angesetzt worden waren, wurden regelmäßig verschoben oder ausgesetzt – einmal gab es keine Verhandlungsräumlichkeiten, einmal keine Begründung.

Nervös mussten wir mitansehen, wie immer mehr unserer Leute New York verließen und ihr Mandat endete bevor sie ihre Aufgabe erfüllen konnten. Nur noch eine Jugenddelegation, die Norweger, durften aktiv verhandeln und für uns sprechen, aber nach einem glorreichen Meeting, in dem sie alle alteingesessenen Vertreter beeindruckt und unsere Forderungen eingebracht hatten, mussten auch sie gehen. Die Zeit drängte, denn immer noch hatten wir nicht über die Abänderungen diskutiert und wir wussten, dass einige Punkte, wie die Stärkung von LGBT Rechten, oder die Flüchtlingsfrage, hoch umstritten waren. Weiterhin gab es aber kaum Fortschritt in der Resolution. Die letzte Woche brach an und auf einmal war nur noch ich in New York übrig geblieben, als Augen und Ohren für alle heimgekehrten Jugenddelegierten. Zwar konnte ich nicht verhandeln, aber zumindest teilnehmen und das nahm ich sehr ernst.

Ein Meeting gab es noch vor meiner Abreise, die Resolution sollte eigentlich am 31.10. abgeschlossen sein, aber allen war klar, dass es dazu nicht kommen würde. An diesem Tag wollte ich gerade zur Verhandlung aufbrechen, als ich eine Email bekam: „Wir bedauern, dass wir für die heutige Sitzung keine Räumlichkeiten gefunden haben, die Diskussionen werden nächste Woche fortgesetzt.“

Ich kochte vor Wut, nächste Woche war kein einziger Jugenddelegierter mehr vor Ort, da ich am Sonntag abreiste. Dieselben altehrwürdigen Staatsvertreter würden über unsere Zukunft sprechen und für uns entscheiden. So war der Lauf der Dinge, die Realität, daran konnte ich nichts ändern.

Aber eine Frage blieb im Raum stehen: Wie wenig Jugend kann eine Jugendresolution vertragen?

Vor ein paar Wochen hatte ich einen Geistesblitz. Ich saß gerade nach einer 24 Stunden Rückreise von meinem Urlaub in Lateinamerika in einem Bus, als mir eine Idee kam. Während ich weit von Europa entfernt war, hatte ich dennoch die Nachrichten verfolgt und besorgt die Entwicklungen in der Flüchtlingskrise mitbekommen, welche die politische Meinung und Gesellschaft spalteten. Aber dann war da noch etwas, ein Schimmer Hoffnung am Horizont, der immer größer wurde – die Welle an Solidarität, die langsam anrollte und mehr Menschen mitriss, als ich anfangs erwartet hatte.

Zwar war ich seit Längerem aufgrund meiner Erfahrungen in der Asylrechtsberatung in dem Bereich involviert und hatte es auch zu einem meiner Prioritäten als Jugenddelegierte gemacht, aber nun begann sich auch etwas in meinem Freundeskreis zu verändern. Bekannte, die nie wirklich verstanden hatten, warum ich mich genau für diese Menschen einsetzte, Projekte für jugendliche Flüchtlinge plante und Gewand für die Betroffenen in Krisenregionen sammelte, wachten plötzlich aus ihrer Lethargie auf. Nicht aus Ignoranz, aber aus fehlender Nähe zum Thema, war der Konflikt bis jetzt an ihnen vorbeigezogen, aber als man die Familien, Kinder und jungen Menschen auf den Bahnhöfen ankommen sah, in zerrissenen Kleidern und mit Furcht in den Augen, da begriffen sehr viele Österreicher, dass sich nun etwas ändern musste. Solidarität machte sich in der Bevölkerung breit, private Initiativen griffen da ein, wo der Staat versagte oder zu kurz griff.

Nicht nur meine Rede vor der Generalversammlung, hatte ich diesem bewundernswerten Engagement gewidmet, ich wollte die Menschen hinter der Hilfswelle auch sichtbar machen. Deshalb kam mir die Idee Flüchtlingshelfer aus der Bevölkerung zu portraitieren und ihre Statements zu sammeln zu den Themen was sie bewegte, was sich ändern musste und warum sie aktiv wurden. Meine Jugenddelegiertenkollegen waren begeistert und so bildeten wir bald eine Allianz zwischen den Deutschen, den Bulgaren, den Belgiern, dem Niederländer und mir als Vertreterin Österreichs.

Wir alle wollten diese historischen Momente festhalten und schwärmten aus um auf Bahnhöfen, in Flüchtlingscamps und bei Eid-(verlinken) Feiern die Volontäre zu interviewen. Dabei tauchten wir ein in Organisationsstrukturen, wie zum Beispiel den Train of Hope, die völlig ohne staatliche Unterstützung agieren, aber sich innerhalb von ein paar Wochen zu einer recht professionellen Unterstützergruppe aufgestellt hatten. Einen Nachmittag verbrachte ich am Hauptbahnhof und hatte das Gefühl zu lernen, was in der Flüchtlingskrise wirklich von Relevanz war. Die Helfer waren am Puls des Problems, versorgten die Ankommenden, sahen wo es staatliche Strukturen gab und kämpften dort, wo sie fehlten. Oft waren die Antworten, die ich erhielt so klar und eindeutig, dass ich wünschte die Politiker, die über die ankommenden Flüchtlinge debattieren, könnten sie hören. „Warum hilfst du Flüchtlingen?“ fragte ich eine junge Mutter. „Das ist eine schwierige Frage“, meinte sie. „Warum nicht?“

Alle Inhalte anzeigen
Flora, „Train of Hope“

Dabei sieht die Situation alles andere als rosig aus. Viele Helfer sind Studenten, die jetzt wieder auf der Universität sein müssen, einige lassen ihre Arbeit, ihr Studium, ihr Privatleben, ihre Gesundheit darunter leiden, weil sie eine Lücke füllen, die vom Staat nicht geschlossen wird. Erschöpfung macht sich unter den Helfern breit und trotz allem Enthusiasmus fragen sich einige von ihnen wie lange die Aktion noch gut gehen wird. Schlussendlich muss eine Zusammenarbeit zwischen Zivilbevölkerung und Regierung erfolgen, welche die Privatpersonen auch wieder entlastet. Solidarität ist wunderbar und hat das Gute in unserer Gesellschaft hervorgebracht. Aber nicht um jeden Preis, denn sowohl die Flüchtlinge als auch die Helfer haben es verdient, dass die Krisensituation sich irgendwann normalisiert und alle Parteien an einem Strang ziehen und mithelfen.

Ich glaube wenn ich aus New York wiederkomme, möchte ich das Projekt weiterführen und wieder zum Hauptbahnhof gehen. Ich möchte die Menschen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit begleiten und sie dabei unterstützen.

Hoffentlich geht es nicht nur mir so, sondern auch anderen Österreichern.Oder ein paar Politikern, die könnten ruhig auch hinkommen und mitanpacken.

Die Geschichten und Portraits aus mehr als vier verschiedenen Ländern können auf Facebook unter eingesehen werden.

“I suddenly felt that my help was needed, because I speak Arabic. That‘s why I am here.“

Alle Inhalte anzeigen
Ali, „Train of Hope“

Der Tag war gekommen an dem wir UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon treffen sollten. Dieser kurze Austausch gehört traditionell zu jedem Jugenddelegiertenprogramm dazu und ist sowohl für die Medienarbeit in unseren Heimatländern als auch für die „Vermarktung“ des Programms an die nächste Generation von Jugendvertretern wichtig. Natürlich ist es auch für uns alle ein besonderes Erlebnis den mächtigsten Mann der internationalen Gemeinschaft persönlich kennenzulernen und ihm einmal die Hand zu schütteln.

Auf der anderen Seite muss ich zugeben, dass ich gar nicht aufgeregt war. Ich machte mir keine Illusionen, Ban Ki-moon würde uns wahrscheinlich am nächsten Tag nicht mehr erkennen, wenn wir ihm am Gang über den Weg laufen würden. Nicht weil er ignorant ist, oder die Jugend nicht ernst nimmt – schließlich ist dieses Thema eine seiner Prioritäten seiner zweiten Amtsperiode – aber einfach weil er so viel zu tun hat.

So extrem viel zu tun, dass wir einen Tag vorher die Nachricht bekamen, dass er keine Zeit für ein Einzelfoto mit uns haben würde und das Treffen von zwanzig auf zehn Minuten gekürzt werden musste. Ein Aufstöhnen ging durch die Menge der Jugenddelegierten, keiner wollte es richtig zugeben, aber alle hatten sich schon ein wenig auf die Möglichkeit dieses professionellen Fotoshoots gefreut. In Zeiten des Syrienkrieges, der nachhaltigen Entwicklungsziele und dem Russlandkonflikt ist es verständlich, dass der Terminkalender des Secretary General aus allen Nähten platzt, aber irgendwie waren wir doch enttäuscht.

Für mich stand jedenfalls eines schon fest: Nach dem stressigsten Tag meines Lebens an dem ich meine Rede vor der Generalversammlung gehalten hatte, sah ich der Begegnung sehr entspannt entgegen. Mein persönliches Highlight waren die Worte gewesen, die ich an die internationale Gemeinschaft richten durfte, nicht das prestigeträchtige Foto mit dem Gesicht der Organisation.

Alle Inhalte anzeigen
Schön anziehen musste trotzdem sein und zusammen mit den anderen Jugendlichen machten wir uns rausgeputzt auf den Weg zum Treffpunkt. Wir schnatterten überschwänglich und stellten uns auf einer Art Tribüne auf, wo wir die lustigsten Probefotos schossen. Generation Selfie – das sah man uns tatsächlich an. (Bild einfügen)

Schließlich betrat der elegante Koreaner den Raum und richtete eine Rede an uns. Ich war positiv überrascht, sprach er doch frei und ungezwungen und wirkte entspannt angesichts der interessierten jungen Gesichter, die ihm entgegenblickten. Soweit ich gehört hatte, las er sonst eher protokollmäßig eine einstudierte Rede ab.

Ban Ki-moon lobte unser Engagement, betonte unsere Rolle bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele und meinte wir sollten uns nicht auf die Seite drängen lassen, sondern aktiv unsere Rolle wahrnehmen und partizipieren. Ich glaube er war erfreut, dass so viele Jugenddelegierte wie nie zuvor an der Generalversammlung teilnehmen und dass vor allem so viele Frauen unter uns sind! Natürlich gibt es noch viel zu tun, um das Programm zu verbessern, gerechter zu gestalten und den globalen Süden miteinzubeziehen, aber jetzt stand erst einmal das Lob des Generalsekretärs im Vordergrund.

Dann war der Moment gekommen, an dem eine unserer Kolleginnen, die wir zuvor ausgewählt hatten, das Wort an den mächtigsten Mann der UNO richten durfte. Die slowenische Jugenddelegierte Katja machte uns alle Ehre und überlieferte unsere Wünsche, Anliegen und Prioritäten so professionell, als würde sie das jeden Tag tun.

Wir waren alle wahnsinnig stolz auf sie und nachdem Ban Ki-Moon ihr die Hand geschüttelt hatte, geschah etwas Ungewöhnliches:

Er begann durch die Reihe zu gehen und jedem von uns die Hand zu reichen, danach bat er die Leute zur Seite zu treten und die nächste Gruppe war an der Reihe.

Dies war deshalb seltsam, weil Ban Ki-Moon NIE vom Protokoll abweicht. Diese spontane Aktion war jedoch ungeplant, war uns doch zuvor eingeschärft worden, dass dafür keine Zeit sein würde. Dementsprechend kamen die Kameraleute in Schwitzen, als der Koreaner sich zu dieser Spontanität hinreißen ließ.

Wir jedenfalls freuten uns jedenfalls, zwar war es eher ein „Anstandstreffen“ des New York Aufenthalts, aber es erfüllt einen doch mit stolz, die Jugend seines Landes zu vertreten und Wertschätzung vom Generalsekretär der Organisation zu bekommen, für die man die letzten Monate gearbeitet hat.

Und so kamen wir also doch zu unseren Einzelfotos, obwohl mich meines ziemlich zum Lachen bringt. Denn während ich voller Vorfreude den Generalsekretär anschaue, ist der völlig abgelenkt von dem traditionellen Kleidungsstil meines finnischen Jugenddelegiertenkollegen, der neben mir steht. Mikkel gehört nämlich der indigenen Gruppe der Sami an und zeigt das auch stolz überall in der UNO. Aber wer kann es Ban Ki-moon verübeln, ich hätte meine Augen auch nicht abwenden können!

Das konnte doch nicht wahr sein.

Der Tag an dem ich meine Rede vor der Generalversammlung halten sollte war endlich gekommen - und ich war zu spät dran.

Taxi!“, schrie ich aus voller Seele und versuchte das Unmögliche zu erreichen – unter der Woche morgens in der Rushhour ein Taxi zu bekommen.

Natürlich scheiterte ich und rannte deshalb wie eine Verrückte in meinen Business Kleidern zehn Blocks entlang, mein Kampf gegen die voranschreitende Uhrzeit hatte begonnen. Offensichtlich sah ich wirklich wahnwitzig aus, denn plötzlich zeigte ein obdachloser Mann auf mich und brach in schallendes Gelächter aus - um ehrlich zu sein, konnte ich es ihm nicht verübeln.

Ohne Frühstück und mit einem Knoten im Bauch stolperte ich in das erste Meeting mit den Jugenddelegierten, das zum Glück später als ausgemacht beginnen sollte. Noch schnell einen Kaffee, dachte ich, als ich im „Vienna Café“ der UNO ein Heißgetränk bestellte, nur um mir einen Großteil davon in der nächsten Minute über die Hand zu schütten. Bloß nicht in diesem wichtigen Gebäude fluchen, dachte ich und biss mit schmerzverzerrtem Gesicht die Zähne zusammen. Wie sollte dieser Tag nur werden, wenn schon der Morgen so eine Katastrophe war?

Die Nerven liegen blank

„Das macht die UNO mit dir!“, meinte der Kassier mitfühlend und versuchte das Chaos, das ich innerhalb von fünf Minuten angerichtet hatte, zu beseitigen.

Geknickt ging ich zu meinem Platz zurück und bekam Panik, als mir mitgeteilt wurde, dass es gar nicht zu hundert Prozent klar war, dass ich für Österreich heute die Rede halten sollte. Ich war nämlich die Nummer 43 des Tages und keiner konnte mit Sicherheit sagen, dass das Komitee wirklich bis zu diesem Punkt kommen würde, da die Sprecher dazu tendierten ins Uferlose auszuschweifen.

Alle Jugenddelegierten machten sich auf jeden Fall mit bleichen Gesichtern und zitternden Knien auf den Weg in den Konferenzraum, wo die Eröffnung des Komitees stattfinden sollte. Dort machte ich noch schnell ein Foto mit meinen bulgarischen Kollegen, um den aufregenden Moment festzuhalten.

Daraufhin begann eine Odyssee, denn das Warten zog sich dahin und zerrte stärker an den Nerven als die eigentliche Rede. Bis spät in die Nacht am Vortag hatte ich an meinem Statement gearbeitet und als Perfektionistin war ich immer noch nicht überzeugt, dass es gut genug für die internationale Gemeinschaft war. Nervös rutschte ich auf meinem Sitz hin und her. Es sollte noch Stunden dauern, bis ich überhaupt die Chance hatte an die Reihe zu kommen, aber schon jetzt stand mir der Angstschweiß auf der Stirn und ich umklammerte mit feuchten Händen meinen Stift. Den Blazer, den ich bereits am Vortag akribisch ausgesucht hatte, wirkte plötzlich zu eng und meine Atmung ging irgendwie schwerer als sonst. Nicht hyperventilieren, mahnte ich mich streng und versuchte mich auf die Worte des Vorsitzenden zu konzentrieren.

Es geht los

Bald darauf kam der erste Jugenddelegierte an die Reihe: Saya, ein kurdischstämmiger Niederländer, der eine berührende Rede über seinen Hintergrund als Flüchtling hielt und den gesamten Raum mit seinen Worten verzauberte. Anschließend wurde geklatscht, was sehr selten in diesem Forum vorkommt, denn alles ist sehr formal und die meisten Reden der Staatsvertreter so bürokratisch und unpersönlich, dass sie mit Schweigen aufgenommen werden.

Ich weiß im Endeffekt nicht, wie die Zeit dann schlussendlich doch noch vorbeizog, aber irgendwann war die letzte Stunde vor meinem Statement gekommen. Immer noch saß ich wie auf Kohlen, da es auch gleichzeitig die letzte Stunde des Komittees war und bis zuletzt Unsicherheit herrschte, ob ich heute würde reden dürfen. „Ich glaube die wollen mir fünf Jahre meiner Lebenszeit stehlen“, murmelte ich ungehalten einer österreichischen Kollegin zu, da ich mich durch den Stress um Jahre gealtert fühlte. Zugegeben, manchmal neige ich ein wenig zur Theatralik, aber dieser Tag hatte es wirklich in sich!

Als immer klarer wurde, dass doch heute der Tag der Wahrheit kommen sollte, der Moment, auf den ich so lange hingearbeitet hatte, versuchte ich mich auf das zu konzentrieren, was wichtig war. Mein Herz war in dieser Rede. Meine Seele war in dieser Rede. Und all meine Inspiration war in dieser Rede. Ich umklammerte den Talisman, den ich extra für diesen Moment aus Wien mitgenommen hatte. Es war ein kleiner goldener Räucherstäbchenhalter, den mir ein syrischer Flüchtling aus Damaskus nach meiner Nachtschicht in der Kärntner Erstaufnahmestation übergeben hatte. Mit den Worten „ich will dir ein Geschenk machen, danke für alles was du für uns getan hast“ überreichte er mir einen seiner letzten Besitztümer und meinte: „Bitte trage meine Nachricht in die Welt hinaus: Danke der österreichischen Bevölkerung und der Regierung für die Gastfreundschaft und die Hilfe, die ihr uns zukommen lässt. Es ist mehr, als wir erwarten konnten. Wir sind so dankbar, wir werden diese Taten nie vergessen.“ Die Präsenz meines neuen syrischen Freundes hatte mich nach New York begleitet. Lächelnd legte ich meinen Glücksbringer neben mich auf den Stuhl und rückte mein Mikrophon zurecht. Der Vatikan war an der Reihe, ich konnte aber vor lauter Aufregung nichts verstehen, weil ich die nächste Sprecherin sein sollte. „Nun übergebe ich das Wort an die österreichische Delegierte.“

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, nahm noch einmal den Talisman wahr, der mich in die Seite stach, und begann schließlich zu sprechen.

Alle Inhalte anzeigen
Hast du deine Rede schon geschrieben?“, fragt mich eine Freundin ahnungslos. „Nein!“, gebe ich ein bisschen heftiger zurück als eigentlich nötig.

Sie kann nichts dafür, aber ich kann diese Frage wirklich nicht mehr hören.

Von allen Seiten wollen die Menschen von mir wissen, ob ich die wichtigste Aufgabe für New York, die Rede, die ich vor dem dritten Komitee halten werde, schon fertig gestellt habe. Mein Koordinator, meine Eltern, die anderen Jugenddelegierten, sie wundern sich über meinen lockeren Umgangston, wenn ich sage „Darum kümmere ich mich heute.“ „Aber ist die Rede nicht schon in zwei Tagen?“, rufen sie erschrocken aus. „Na ich würde auszucken!“

Das ist ja das Problem, ich bin am Auszucken, denn das „Laissez-faire“ ist nur gespielt und die Rede ist nicht fertig gestellt, weil ich sie noch nicht einmal begonnen habe. Mir ist es tatsächlich passiert – ich habe eine Schreibblockade!

Normalerweise liebe ich schreiben, es geht mir leicht von der Hand und ich würde es sogar als Hobby bezeichnen. Aber da ist ein Hindernis und ich weiß dieses Hindernis ist nur in meinem Kopf. Ich habe Angst ein enttäuschendes Statement abzuliefern und um das nicht zu riskieren, probiere ich es nicht einmal. Was für eine Logik und eigentlich gar nicht meine Art, war doch der Moment meine Ideen, Visionen und Wünsche als Stimme der Jugend in der Generalversammlung vorzubringen ursprünglich der Grund, warum ich mich überhaupt für dieses Amt beworben habe.

Also zögere ich die Aufgabe hinaus:

Ich habe ja noch Zeit, rede ich mir ein und bestaune am Wochenende erstmal ein bisschen die eindrucksvolle Metropole-

Ich habe ja noch Zeit, denke ich, als ich am Sonntag mit einer Freundin brunchen gehe.

Schließlich realisiere ich um 10 Uhr am Abend: Ich habe keine Zeit mehr, da ich die Rede eigentlich am nächsten Morgen zur Korrektur abschicken sollte.

Also beginnt der kreative Prozess des „Panikschreibens“ und ich versuche einen Ausdruck für die Emotionen und Erlebnisse zu finden, die ich der Internationalen Gemeinschaft näher bringen will. Das Thema ist für mich von Anfang an klar, nach all dem was zurzeit in Österreich und ganz Europa passiert, soll es um die Flüchtlingskrise gehen. Dabei möchte ich nicht nur die Wichtigkeit einer Willkommenskultur Menschen in Not gegenüber betonen und Kritik an der mangelnden Verantwortung üben, welche die Staaten bis jetzt übernommen haben, sondern auch eine positive Nachricht vermitteln.

Ich möchte danke sagen zu den Menschen, die über ihre Grenzen hinausgehen, während sie sich um die tausenden Flüchtlinge zu kümmern, die in Europa ankommen. Aber wie kann man die Dankbarkeit ausdrücken, die diese Menschen verdienen, ohne abgedroschen zu klingen? Nur keinen Druck aufbauen!

Ratlos tippe ich auf meinem Computer herum, als mir klar wird, das jetzt der Moment gekommen ist, um all das vor der internationalen Gemeinschaft auszurücken, wofür die meisten Freiwilligen keine Möglichkeit haben.

Alle Inhalte anzeigen
Ihre Geschichten haben mich bewegt und werden auch die UNO-Diplomaten bewegen. Denn ich erinnere mich an die Freiwilligen von Train of Hope, die ich am Hauptbahnhof getroffen haben und mich mit ihrer Energie angesteckt haben.

Die muslimische Jugend, die als Dolmetscher unersetzlich war und unter denen sogar Schüler selbstverständlich sofort zur Stelle waren.

Die Rechtsberater, bei denen ich einst meine Leidenschaft für dieses Thema entdeckt habe und die sich unermüdlich für die Rechte von Menschen einsetzen, die oft nicht gehört werden.

Diese Menschen sind so weit weg von den Diplomaten der UNO wie man nur sein kann und gerade deshalb finde ich es wichtig diese beiden Welten zu verbinden.

Würden die Staatsvertreter anders entscheiden, wenn sie einmal vor Ort mit den Menschen in Not arbeiten würden?

Würden sie anders über deren Schicksal entscheiden, wenn sie einmal selbst ihre Sorgen, Nöte und Ängste hören würden?

Wir werden es nie wissen.

Alle Inhalte anzeigen
Aber das, was ich in meiner Rolle tun kann, ist den Mut, die Nächstenliebe und den Einsatz dieser Freiwilligen in die Welt hinauszutragen und die UNO-Diplomaten mit der Realität zu konfrontieren, mit der diese Menschen tagtäglich arbeiten müssen. Zufrieden über meinen Plan schreibe ich „Distinguished Chairs, Excellencies, Dear Delegates“ und stoppe kurz. Na zumindest der erste Satz wäre einmal geschafft!
Alle Inhalte anzeigen
Erschöpft komme ich am John F Kennedy Flughafen an. Ich versuche das Sammeltaxi, das ich vorbestellt habe, ausfindig zu machen, aber man sagt mir, dass ich dafür die Reservierungsnummer brauche. Mist, die habe ich in der Eile vergessen auszudrucken, deshalb muss ich mich jetzt mit einer telefonischen Auskunft herumschlagen. „Können Sie Ihren Namen bitte buchstabieren!“, fragt mich eine Frauenstimme, die irritierend leise spricht. „R wie Restaurant, A wie Anna, I wie Ingrid..“, beginne ich anzusagen. „Ingrid?“, keift die Frauenstimme auf einmal. „Wie wäre es denn mit I wie Ice Cream?“, fordert sie aufgebracht. Ich verstehe die Welt irgendwie nicht mehr. Willkommen in New York?

Endlich schaffen wir es meine Reservierungsnummer zu finden und ich kann meinen Koffer, der fast so groß ist wie ich, in das Taxi hiefen. Es ist Nacht als wir nach New York hineinfahren und ich verrenke mir fast den Hals dabei alle Eindrücke um mich herum aufzunehmen. Ich kenne die „Stadt, die niemals schläft“ nur aus Filmen und bin erstmals überrascht, dass es nicht vor Menschen wimmelt. Auch sind die Straßen breiter als erwartet, irgendwie habe ich mir vorgestellt, dass ich mich zwischen den Hochhäusern eingezwängt wie ein Insekt fühlen würde. Aber nein, alles ist ruhig, es gibt nicht überall riesige Beleuchtungen, wie am Times Square, die mich blenden könnten und auch von der Hektik, die New York zu jeder Uhrzeit nachgesagt wird, ist nichts zu spüren. Ich beziehe das Apartment bei der Freundin, die mich die ersten Tage aufnimmt, und erhasche noch einen letzten Blick auf das eindrucksvolle Empire State Building, das in rosa erstrahlt – eine Aktion, um auf Brustkrebs aufmerksam zu machen.

Warum Sinatra über New York singt

Mein erster Tag ich New York fällt einmal buchstäblich ins Wasser. Es regnet und ist kalt, trotzdem stemme ich mich tapfer mit meinem Schirm gegen die Windböen und übertöne diese mit Frank Sinataras wunderschönem „New York, New York“, das ich gerade höre. Ständig dreht es mir dabei den Regenschirm um und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich Aussehe wie eine Karikatur. Aber nichts kann mir die Laune verderben und so komme ich beschwingt in der Österreichischen ständigen Vertretung an, bei der ich mich erstmals vorstellen soll.

Die Diplomaten, die hier arbeiten und den diplomatischen Dienst für Österreich vor der UNO leisten, werden meine ersten Ansprechpersonen sein, mit ihnen soll ich die nächsten Wochen in Jugendfragen zusammenarbeiten. Von Anfang an bin ich begeistert über den lockeren Umgangston und das gelöste Miteinander, das hier herrscht. Ich werde freundlich empfangen und die wichtigsten Orte in der kleinen Vertretung (vor allem die Kaffeemaschine!) werden mir gezeigt. Man ist per du und es gibt kaum dumme Fragen, die ich stellen kann, also soll ich einfach immer sagen, wenn ich etwas wissen will, meint der Botschaftssekretär, der für das dritte Komitee zuständig ist, in dem auch ich meine Rede halten werden.

Mit den dummen Fragen bin ich mir zwar nicht so sicher, aber ich nehme sein Angebot gerne an und quetsche ihn zu seinen Aufgaben, seinem Ausbildungsweg und der Arbeit der UNO hier aus. „Manche Ausdrücke in der Diplomatie sind veraltet und können durch Erklärungen leicht entstaubt werden, du hast so wenig Zeit hier, ich möchte, dass du gleich alles verstehen kannst, was hier passiert!“, meint er. Ich bin froh, dass sich die Vorurteile über unnahbare und protokollliebende Staatsvertreter als falsch herausgestellt haben und dass ich hier die Unterstützung und Expertise bekommen werde, die ich als Jugenddelegierte so dringend brauchen kann!

Alle Inhalte anzeigen
Weiter geht es für mich zum Pass Office, wo ich meine „Eintrittskarte“ für das UNO Hauptquartier bekommen soll. Mein Sachbearbeiter ist nett und hilfsbereit, aber etwas an ihm irritiert mich. „Wieso haben Sie ein Plastikinsekt auf ihrer Schulter?“, frage ich ihn überrascht, als ich das widerliche Spielzeug auf seinem Pullover erblicke. „Ich habe es geschenkt bekommen und möchte den Leuten zeigen, dass ich exzentrisch bin!“, lacht er. Ich stimme in sein Gelächter ein und finde es irgendwie sympathisch, dass es auch in dieser prestigeträchtigen Organisation ein paar schräge Vögel gibt.

Er macht noch ein Foto für den Pass von mir, auf dem ich durch das Wetter etwas zerzaust aussehe und dann bin ich schon wieder am Weg.

Alle Inhalte anzeigen
Nach dieser Station ist es aber endlich soweit und ich kann das UNO Gebäude erstmals betreten, ein Moment von dem ich schon geträumt habe, seit ich das erste Mal von der weltumspannenden Organisation gehört habe. Der freundliche Botschaftssekretär trifft mich wieder und gibt mir eine Tour durch die wichtigen Hallen. Als erstes ist natürlich der berühmte Saal der Generalversammlung dran, der in Gold erstrahlt. Irgendwie wirkt er ein bisschen kleiner als im Fernsehen, aber das kommt ja öfter vor. Gerade hält irgendein Staatsvertreter eine Rede auf einer Sprache, die ich nicht entziffern kann, aber die Menschen im Raum hören eher gelangweilt zu. Sie haben eine anstrengende Woche hinter sich, dieSustainable Development Goals, die Nachfolgeziele der Millennium Development Goals, wurden verabschiedet und die wichtigsten Politiker der Welt, sowie zahlreiche Stars bevölkerten das Gebäude.

Auf diese Ziele, welche im Zeichen der nachhaltigen Entwicklung stehen, soll die Weltengemeinschaft in den nächsten Jahren hinarbeiten und es war ein harter Weg mit vielen Nachtsitzungen, um zu diesen Entscheidungen zu kommen. Abgesehen davon tendieren die Staatsvertreter immer dazu ihre Redezeit zu überziehen und ewig auszuschweifen. Also in diesem Sinne kann ich schon verstehen, dass sich nach dem 30. Repräsentanten die Begeisterung in Grenzen hält. Für mich jedenfalls ist dieser erste Eindruck ein unglaublicher, es ist ein bewegendes Gefühl genau an dem Ort zu sein, an dem Weltpolitik gemacht wird und das nicht als Touristin mit einer Tour, sondern als Jugenddelegierte mit einer Aufgabe. Da kann dann von mir aus der Staatsvertreter ausschweifen, so viel er will, ich bin genau da, wo ich sein soll!

Alle Inhalte anzeigen
​Jetzt ist der Moment auf den ich so lange gewartet habe endlich da – es geht zur UNO Generalversammlung nach New York! Mit Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ als Ohrwurm und viel zu viel Gepäck schleppend, steige ich in den Flieger.

Alles ist seltsam surreal, ein bisschen wie ein Traum und nur das flaue Gefühl der Aufregung im Magen, holt mich ab und zu auf den Boden der Realität zurück. Dann schießen Panikgedanken durch meinen Kopf: Was ist, wenn ich etwas vergessen habe? Oder wenn ich mich in der riesigen Stadt verirre? Und bin ich dieser Aufgabe wirklich gewachsen? Ich atme die trockene Flugzeugluft ein und versuche mich zu beruhigen.

Monatelange Vorbereitung

Monatelang habe ich auf diesen Moment hingearbeitet, habe Jugendgruppen getroffen und bin quer durch Österreich gereist, um jungen Menschen die Arbeit der UNO näher zu bringen und ihre Statements einzusammeln. Zusätzlich habe ich Termine in verschiedensten Ministerien gehabt, um meine Arbeit vorzustellen. Es war eine stressige, aber aufregende Zeit und ich habe so viele junge Menschen getroffen, die mich inspirieren und stolz machen sie vertreten zu dürfen.

Alle Inhalte anzeigen
In Gedanken reise ich zurück nach Salzburg, wo ich mich mit einem 15-jährigen Afghanen über seinen Willen die Sprache zu erlernen ausgetauscht habe. Fast kann ich noch seine Stimme hören, als er mir erklärte: „Mein Mitbewohner kommt auch aus Afghanistan. Wir sprechen zwar unterschiedliche Landessprachen, denn es gibt zwei, aber ich könnte ihn schon verstehen. Nur sage ich dann immer zu ihm „wir sind hier um Deutsch zu lernen, also reden wir auch Deutsch miteinander.“
Alle Inhalte anzeigen
Weiter trägt mich die Erinnerung zu den drei Schulklassen, die ich in Wiener Neustadt unterrichtet habe und dem 13-jährigen, der mich daraufhin in der Pause fragte: „Könntest du mir ein paar Fragen über den Nordkoreakonflikt beantworten?“ Wir verfielen in eine spannende Diskussion über die politische Lage und sein Wissen darüber lies mich sprachlos zurück.
Alle Inhalte anzeigen
Und dann war da noch Klagenfurt, wo alles anders kam als erwartet: Ich sollte nur die muslimische Jugend zu einem entspannten Gespräch treffen. Dann erhielt ich am Abend einen Anruf von einem Mitglied der Organisation: „Julia, 1000 Flüchtlinge sind am Weg hierher und werden in einer Stunde ankommen, kannst du helfen?“ Klar konnte ich das und so wurden meine Pläne für eine frühe Nachtruhe sogleich verworfen und ich verbachte eine Nachtschicht mit der Erstbetreuung von hunderten übermüdeten und erschöpften Kindern, Frauen und Familienvätern.

Darum UNO

Diese Erfahrung hat mir wieder einmal gezeigt, warum einer meiner Schwerpunkte bei der UNO das Thema Flucht ist. Intensive, rührende und emotionale Schicksale habe ich in dieser Nacht erlebt und mit einigen Menschen, die ich dort kennengelernt habe, bin ich immer noch im Kontakt. Ihre Dankbarkeit und ihre Freundlichkeit trotz aller Schwierigkeiten, haben mir klar gemacht, wie wichtig es ist sich zu engagieren.

„Brauchen sie noch etwas?“, fragt mich die Stewardess und reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken. Sofort bin ich wieder im hier und jetzt, es geht nach New York, der Moment ist gekommen! Ich lächle überschwänglich und antworte: „Danke, ich habe alles, was ich brauche!“ Und das stimmt. Ich bin wirklich bereit für dieses Abenteuer!