"Männer holten sich die Vorteile"
Kein Gehalt, keine Karrierechancen, kein Prestige und schon gar keine Pensionsansprüche – wer will diesen Job? Kinder betreuen, Alte versorgen, Haushalt führen: Die Problematik der unbezahlten, aber notwendigen Arbeit und das Faktum, dass Frauen davon den größten Teil stemmen, wird in wirtschaftlich härteren Zeiten gerne vergessen. Aber wie sehr schadet man der bezahlten Karriere, wenn man jede Menge unbezahlter Pflichten zu erledigen hat? Ein Gespräch mit der Soziologin Sonja Dörfler vom Österreichischen Institut für Familienforschung.
KURIER: Mann und Frau kommen von der Arbeit heim, er setzt sich vor den Fernseher, sie kocht und füllt die Waschmaschine? Sonja Dörfler: Ja, sie füllt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch immer die Waschmaschine, während er aber eventuell in der Zwischenzeit kocht. Wir wissen: Beim Wäsche waschen beteiligen sich Männer kaum, beim Kochen haben sie etwas aufgeholt, wenn Frauen auch nach wie vor mehr als doppelt so viel Zeit mit Kochen pro Woche verbringen.
Wie gerecht ist die bezahlte und unbezahlte Arbeit heute verteilt?
In den letzten zwei Zeitbudget-Erhebungen zeigt sich, dass Männer sukzessive mehr unbezahlt arbeiten und Frauen weniger: Männer steigern von 9 auf 11 Stunden pro Woche, Frauen reduzieren von 34 von auf 27. Stunden.
Es wird also besser, ist aber lange noch nicht gleich verteilt?
Ja. Und wenn es wirtschaftlich nicht so gut geht, bremst das die Diskussion über das Thema. Aber wir sehen eine langsame, stetige Bewegung in Richtung gerechtere Aufteilung.
Aber warum ist diese Entwicklung so langsam? Warum arbeiten Frauen noch immer deutlich öfter unbezahlt?
Das hat mit lange tradierten Geschlechterrollen zu tun. In vorindustrieller Zeit war die Einteilung nicht so klar, da waren Tätigkeitszuschreibungen wechselhaft. Tätigkeiten, die konstant einem Geschlecht zugeschrieben wurden, waren mit dem Stillen und Schwangerschaften zu begründen. Aber bei den sich veränderten Zuschreibungen holten sich schon die Männer die Vorteile. Dann kam die Trennung von Wohnen und Arbeit und da entstand die Vereinbarkeitsproblematik. Das bürgerliche Familienideal – Frau gehört zu Haushalt und Kindern, Mann ist Ernährer – sollte sie lösen.
Das Ideal macht heuer mehr Probleme, als es löst. Mutter zu werden bedeutet oft einen regelrechten Karriereknick. Würde sich das ändern, wenn Männer in Karenz gehen müssten oder wenn die unbezahlte Arbeit fairer verteilt wäre?
Ja. Es würde sich natürlich etwas an der Geschlechter-Schieflage am Arbeitsmarkt ändern. Die Idee halte ich also für richtig, aber die Diktion ist falsch. In Karenz gehen "müssen" klingt nicht gut. Man kann es so nicht verkaufen. Besser wäre es zu sagen Männer "dürfen in Karenz" oder "die Karenzzeit ist für Männer reserviert". Man kann zum Beispiel einen Teil der bezahlten Karenz für je einen Elternteil reservieren und wenn er nicht vom Vater genommen wird, verfällt er. Use it or lose it ist ein Prinzip, das in vielen anderen Ländern schon praktiziert wird. Studien aus Island, Norwegen aber jüngst auch aus Deutschland zeigen, dass das zu einer deutlichen Steigerung der Männerbeteiligung führt.
Heiratet ein Mann seine Haushälterin und macht sie damit zur Hausfrau, dann sinkt das Bruttoinlandsprodukt sagt man – ist die unfaire Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit "nur" ein Frauenproblem oder auch eines für die Wirtschaft eines Staates?
Diese Gegenüberstellung ist nicht zielführend. Wenn ich mir selbst die Nägel lackiere oder meine Autoreifen wechsle, dann sinkt ebenfalls das BIP. Wo ziehe ich da die Grenze? Volkswirtschaftlich bedenklich ist es allerdings, wenn der Staat Frauen gut ausbildet, und sie dann viele Jahre nicht erwerbstätig sind und nicht mehr ihrer Qualifikation gemäß erwerbstätig sein können. Oder – etwa nach einer Scheidung – eine Mindestpension eine Mindestsicherung beziehen müssen.
Ist zu viel unbezahlte Arbeit und dadurch Teilzeit für Frauen der Beginn eines Teufelskreises, da sie ihre Zuständigkeit in Sachen unbezahlte Arbeit einzementieren und die Karriere vernachlässigen?
Der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit der vergangenen Jahrzehnte ist auf einen Anstieg der Teilzeitarbeit zurückzuführen. Viele Frauen wären heute also gar nicht erwerbstätig, wenn es nicht mehr Teilzeitarbeit gäbe. Anderseits stellt sich die Frage, warum nicht auch mehr Männer Teilzeit arbeiten und Frauen dadurch ein höheres Ausmaß leisten können.
Laut einer aktuellen Studie verbringen Eltern kleiner Kinder rund 22 Stunden pro Woche mit ihren Kindern – und zwar sowohl im Süden Europas wie im Norden. Der größte Unterschied ist, dass im Süden Europas die Großeltern die Enkel betreuen, während in Skandinavien staatliche Einrichtungen übernehmen. Sind Österreichs Großeltern aktive Karrierehelfer?
Sehr aktive. Bei unter sechsjährigen Kindern helfen bei 45 Prozent die Großeltern mehrmals, am häufigsten die Großmutter mütterlicherseits, gefolgt von der Großmutter väterlicherseits. Die Großväter werden deutlich seltener herangezogen.
Sie studierte Soziologie und Kommunikationswissenschaften und ist am Österreichischen Institut für Familienforschung tätig. Ihre Themenschwerpunkte: internationale Familienpolitik, Geschlechterrollen, Arbeitszeit und Kinderbetreuung und Geschlechterrollen-Aufteilung bei Jungeltern. Sonja Dörfler selbst hat zwei kleine Töchter.
In Österreich
Hier werden wöchentlich rund 186,5 Mio. Stunden an unbezahlter Arbeit geleistet – bei Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen vor allem von Frauen. Sie verrichten zwei Drittel aller unbezahlten Stunden.