Machtwort ist eine Notlösung
KURIER: Frau Bauer-Jelinek, wann haben Sie das letzte Mal ein Machtwort gesprochen?
Christine Bauer-Jelinek: Ich vermeide Machtwörter. Ich finde, mächtige Wörter sind wichtiger. Mit einem Machtwort kann man nur eine Notlösung erreichen. Nur bei meinem zweijährigen Enkel, da muss ich manchmal doch ein Machtwort sprechen.
Das Machtwort ist nicht unbedingt positiv besetzt – Ihr Buch heißt aber so.
Das ist eine Provokation. Ein Machtwort ist eine Verzweiflungstat, man spricht es nur aus, wenn man nicht mehr weiter weiß. Es sagt aus: Wir sind die Guten, ihr seid die Schlechten, von euch wollen wir nichts wissen. Machtwörter sind Statements in aller Kürze, sie dulden keine Widerrede. Das ist, meiner Meinung nach, heute ein großes Problem. In der Politik, im Berufsleben und im Privatleben. Wir befinden uns aber in einer pluralistischen Gesellschaft, nicht jeder denkt das selbe. Daher müssen wir auch lernen, differenzierter zu sprechen.
Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Bücher entstehen bei mir immer aus der Arbeit mit den Menschen heraus. Aus dem, was sie mir im Coaching berichten. Ich bin auch eine eifrige Medienkonsumentin und nehme gesellschaftliche Trends sehr früh wahr. Mir fiel auf: die Wertewelt verlagert sich, andere Meinungen einfach abzuwerten, hat extrem stark zugenommen. „Machtwort“ zeigt diese persönlichen Themen in einem gesellschaftlichen Zusammenhang.
Warum wertet man andere im Moment verstärkt ab?
Unser Denksystem hat nicht Schritt gehalten mit der Komplexität unserer Zeit. Unser Gehirn ist ein tolles Instrument, aber wir nutzen, wie bei der Waschmaschine, von 26 Gängen nur zwei. Wir brauchen ein viel differenzierteres Denken, bessere Grundlagen für Entscheidungen und damit bessere Voraussetzungen für mächtige Worte.
Sie schreiben, Machtworte würden wir nur dann sprechen, wenn wir uns in einer Situation in die Enge getrieben fühlen.
Ja, das passiert bei Alltagsängsten und Wutanfällen. Zum Beispiel: Die Kollegin arbeitet immer deutlich weniger, als man selbst. Und man selbst wird für diese Verzögerungen zur Verantwortung gezogen. Man will nicht petzen, aber man will das auch nicht auf sich sitzen lassen. Je nach Charakter fällt man in den ängstlichen Zustand, in den ohnmächtigen oder in einen wütenden. Manche brechen aus, schreien die Kollegin an, sprechen ein Machtwort: So geht das nicht! Besser ist, man setzt sich mit ihr zusammen und fragt: „Was ist denn eigentlich los?“ Man sollte negative Gefühle auf keinen Fall unterdrücken, sie haben eine Botschaft, man erfährt dadurch, was wirklich hinter den Emotionen steckt. Es braucht viel Energie, solche Gefühle zu unterdrücken.
Es braucht aber auch viel Energie, Konflikte anzusprechen.
Das stimmt. Es bedarf hier einer Technik, man muss selbst reflektieren können. Sonst ist das wie beim Zahnarzt: Man geht lange nicht und dann ist es ganz schlimm. Es braucht Überwindung, sich diesen Gefühlen zu stellen. Ich kenne solche Ohnmachtsgefühle und Panikattacken, spreche im Buch auch aus der eigenen Bewältigung heraus. In den 90er-Jahren, als ich mich ohne finanziellen Rückhalt selbstständig gemacht habe, hatte ich große Existenzängste. Damals war Psychotherapie in Langformen modern – ich habe da sehr viel Geld hinein investiert. Später, in meiner Arbeit mit Klienten, habe ich Methoden entwickelt, die jeder selbst anwenden kann, die schneller wirken. Immer mehr Menschen würden heute ein Coaching brauchen, aber nicht alle können es sich leisten.
Ist die Essenz also, Konflikte immer offen ansprechen?
Nein, man muss nicht gleich mit allem rausplatzen. Auch Schweigen ist manchmal sinnvoll. Man sollte die Gefühle wahrnehmen und die Botschaft dahinter erkennen. Dann kann man entscheiden, welches Verhalten zielführend ist. Wichtig ist zu überlegen: Zahlt sich eine Aussprache überhaupt aus? Für manchen Menschen betreibt man einen wahnsinnigen Aufwand – für Peanuts.