Krank ins Büro schadet auch der Firma
Die Kollegin links schnupft im Minutentakt, der Kollege rechts ist wegen einer Migräne-Attacke kaum ansprechbar. Produktive Arbeit? Nicht wirklich möglich - und wenn es um Teamarbeit geht, werden die kranken auch für die gesunden Kollegen zur Arbeitsbremse.
Versuchten Firmen früher, ihre Angestellten vom Krankfeiern abzuhalten, haben sie heute mit dem gegenteiligen Problem zu kämpfen. Die Mitarbeiter kommen zu Arbeit, auch wenn sie krank sind. Präsentismus (von Präsenz, also Anwesenheit) nennen Arbeitsmediziner dieses Verhaltensmuster. Gerade in Krisenzeiten, wenn Menschen um ihre Jobs zittern, kommt es vermehrt vor. Mitarbeiter wollen zeigen, dass sie das Wohlergehen der Firma über die eigene Gesundheit stellen - und so bei den Chefs Pluspunkte sammeln.
Doch Angst um den Arbeitsplatz allein erklärt das Phänomen nicht, weiß Business-Doctor Franz K. Daublebsky: "Betroffen ist auch der kollegiale Typ, der ein ausgeprägtes Helfersyndrom hat und Menschen mit psychischen Belastungen im Privaten oder der Arbeit."
Die selbst auferlegte Dauer-Anwesenheit startet einen Teufelkreis. Denn was viele - auch Arbeitgeber - nicht wissen: Krank zur Arbeit zu gehen, kostet das Unternehmen mehr, als sich zu Hause auszukurieren. Wer krank ist, kann sich nachweislich schlechter konzentrieren und macht mehr Fehler. Damit lässt die Produktivität nach, die Unfallgefahr steigt
Schaden in Milliardenhöhe
Die Folgen lassen sich in Zahlen messen: Eine Studie der Cornell University errechnete, dass der Produktivitätsverlust durch krank am Arbeitsplatz erscheinende Mitarbeiter drei Mal so hoch ist, wie die Verluste durch krankgeschriebene Kollegen. In den
USA verlieren Unternehmen so rund 180 Milliarden US-Dollar im Jahr. Eine aktuelle Studie der deutschen Felix-Burda-Stiftung schätzt die durch Präsentismus entstandenen Schäden auf doppelt so hoch wie die Kosten von Krankenständen.
Laut Unternehmensberatung Booz & Company kostet ein kranker Arbeitnehmer, der sich zu Hause auskuriert, rund 1197 Euro. Sitzt der gleiche Mitarbeiter am Arbeitsplatz, schnellen die Kosten rapide nach oben - auf 2394 Euro.
Die eigenen Grenzen kennen
Doch was tun gegen die übermotivierten Mitarbeiter? "Präsentismus ist ein Phänomen unserer Zeit", meint Trigon-Beraterin Reinhilde Hört-Hehemann. Allein der Rat (oder Befehl), nach Hause ins Bett zu gehen, wirkt wenig. "Präsentismus trifft vor allem Personen, die ihre eigenen Grenzen nicht kennen. Sie überschätzen sich, glauben, dass sie auch krank ihre Arbeit erledigen können. Sie bleiben erst dann zu Hause, wenn es absolut nicht mehr geht", erklärt die Beraterin. Wichtig ist ein Betriebsklima, das Krankheit ohne Repressalien zulässt.
Hört-Hehemann: "Top-down muss man kommunizieren, dass dem Unternehmen nicht geholfen ist, wenn man Krankheiten verschleppt, dadurch länger krank bleibt oder Kollegen ansteckt." Dabei ist aber Vorsicht geboten, so die Beraterin, um nicht Missbrauch "Tür und Tor zu öffnen und man bei jedem Husterl gleich zu Hause bleibt."
Der Arbeitnehmer sollte Krankheiten, wenn nötig mit ärztlicher Hilfe, richtig einschätzen. Wichtig ist Gesundheitsvorsorge: Ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, genügend Bewegung - die Tipps der Arbeitsmediziner sind nicht neu, aber wirkungsvoll.
Und wenn man doch krank wird: Zurück ins Bett und das Gewissen damit beruhigen, dass man der Firma gerade viel Geld spart.
Umfrage: Kostenfaktor Präsentismus
Studie Präsentismus wird zu einem immer größeren Kostenfaktor im Personalwesen. Daten der BAUA zeigen das weit verbreitet Phänomen: 71,8 Prozent gehen zur Arbeit, obwohl sie krank sind. 29,9 Prozent arbeiten sogar gegen den Rat des Arztes weiter. 12,8 Prozent nehmen zur Genesung Urlaub.
Weniger Leistung Die Produktivitätsverluste durch Präsentismus lassen sich messen: Pro Mitarbeiter und Jahr etwa 20,5 % weniger Leistung bei Migräne, 17,5 % bei Atemwegserkrankungen und 10,9 % bei Allergien. Im Vergleich: Bleibt man mit
Migräne zu Hause, koste das übers Jahr nur 4,5 % Leistung.