"Kontrolle des Chefs ist zwecklos"
Während unserer Vorträge öffnen wir den anderen den Kopf und quirlen ein bisschen in ihrem Gehirn herum", lacht Anja Förster im Video auf ihrer Homepage. Und es stimmt. Hört man der 48-jährigen ausgezeichneten Autorin und Speakerin zu, denkt man hinterher anders. Sie stellt die Wirtschaft von morgen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und infrage. Sonst im Doppelpack mit Partner Peter Kreuz unterwegs, sprach sie diese Woche beim WIFI Management Forum in Wien zum Thema Next Generation Leadership solo.
KURIER: Frau Förster, Sie sagen, wer Zäune um Menschen baut, bekommt Schafe. Beim allgegenwärtigen Thema selbstbestimmtes Arbeiten: Findet sich diese Führungskultur in Firmen immer noch?Anja Förster: Ja, es gibt immer noch viele Zäune-Bauer in den Chefetagen. Das ist aber nicht mehr als ein zweckloser Versuch, in Zeiten steigender Komplexität alles und jeden mit Kontrolle in den Griff bekommen zu wollen. Dazu kommt, dass sich Unternehmen, die mehrheitlich von Schafsherden bevölkert sind, auf geradezu sträfliche Weise ihrer Möglichkeiten berauben. Denn statt Initiative, Kreativität und Leidenschaft ernten sie Konformität und Anpassung.
Wie wollen wir geführt werden, damit wir uns entfalten können – und keine Schafe werden?
Selbstständig denkende und handelnde Mitarbeiter brauchen ein Umfeld, das ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Freiraum bietet. Ein erster Schritt dazu ist es, die bestehende Regel- und Kontrollwut radikal einzudämmen. Denn ein dichtes Regelwerk erzieht Menschen dazu, Regel-Befolger zu werden.
Sie waren jahrelang als Managementberaterin für Accenture tätig. Wie viel Veränderungspotenzial konnten Sie in den Führungsetagen orten?
Potenzial und Notwendigkeit sind dort riesig. Für Führungskräfte beginnt ein neues Zeitalter mit dramatischen Veränderungen. Es geht im Kern um das sich verändernde Wesen der Macht. Wer künftig noch will, dass ihm Menschen folgen, muss sich mit dem Fundament seiner Autorität beschäftigen. Die Wirksamkeit positionsgebundener Macht wird drastisch abnehmen. Wer nicht marginalisiert werden will, muss verdammt gute Antworten darauf finden, warum Menschen ihm freiwillig folgen sollten.
Die Jungen lassen sich mit positionsgebundener Macht ohnehin nicht mehr beeindrucken. Womit kann sie der Chef heute abholen?
Die entscheidende Zutat hier ist eine sinnvolle Aufgabe. Die Jungen wissen, dass sie noch mindestens 40 Arbeitsjahre vor sich haben. Das hält man nur durch, wenn man von seiner Aufgabe hundertprozentig überzeugt ist.
Das Schlagwort in Zusammenhang mit Überzeugung heißt Leadership. Kann man das lernen oder kommt Führung durch Erfahrung?
Führung kann man nicht nur lernen, Führung sollte man lernen. Entscheidend für die Ausbildung einer Führungspersönlichkeit ist die Bereitschaft zur lebenslangen Arbeit an der eigenen Person. Erfolgreiche Führung beginnt mit der Fähigkeit zur Selbstführung.
Was verlangen Unternehmen von ihren Managern heute?
Ihre Rolle ähnelt der eines sozialen Architekten, der einen Raum schafft, in dem Menschen ihre Potenziale entfalten können. Der Chef ist dementsprechend mehr Supervisor und Coach als jemand, der Anweisungen erteilt und Ergebnisse kontrolliert. Eine solche Führungskraft stellt mehr Fragen als sie Antworten gibt.
Dennoch muss sie auch eine Strategie verfolgen, stark und wegweisend sein. Kann eine Person allein all diesen Anforderungen gerecht werden – oder wird hier der Chef zu einer eierlegenden Wollmilchsau stilisiert?
Es ist in gewisser Weise schon paradox. Es stimmt, all diese Anforderungen passen nicht wirklich gut zusammen. Das ist ein fortwährender Konflikt, den eine gute Führungskraft aushalten muss.
Laut aktueller Arbeiterkammer-Studie sind Mitarbeiter von kleinen Betrieben mit ihrem Vorgesetzten zufriedener als Mitarbeiter von großen Firmen. Woran liegt das?
Wahrscheinlich daran, dass Führung in großen Unternehmen eine extrem herausfordernde Aufgabe ist. Im Vergleich zu einem kleinen Unternehmen ist die Aufgabe noch komplexer, weniger planbar und gleichzeitig auch noch stärker durch Compliance- und Governance-Systeme fremdgesteuert.
Was können junge Führungskräfte, die erstmals in dieser Position sind, von dienstälteren lernen?
Ich sehe die Trennlinie nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen Gut und Schlecht – und das ist weder eine Frage des Alters noch der Erfahrung. Moderne Führung bedeutet, Menschen zu ermöglichen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Punkt. Und wer immer das kann, von dem kann und sollte man lernen.
Als Business-Querdenkerin: Was wünschen Sie sich von den Führungskräften von morgen?
Erstens, dass sie es schaffen, dass Menschen ihnen vertrauen. Und zweitens – noch viel wichtiger – dass sie es schaffen, dass die Menschen sich selbst vertrauen.
Förster wird vor 48 Jahren in Deutschland geboren. Sie studiert Wirtschaftswissenschaften und startet ihre Karriere bei der Rewe Gruppe. Für ein MBA-Studium geht sie später in die USA und spezialisiert sich auf Internationales Management. Dieses Wissen lässt sie in ihre anschließende Position als Human-Performance- und Change-Management-Managerin bei der Unternehmensberatung Accenture einfließen. 2002 gründet sie mit Peter Kreuz ihr eigenes Unternehmen, schreibt seitdem sechs Bücher und hält weltweit Vorträge zum unternehmerischen Querdenken.