Wirtschaft/Karriere

"Jeder kann ein Unternehmer sein"

An Güte verliert er nicht. Spricht Muhammad Yunus über seine Vision, wird sein sonst vergnügter Blick nur sehr eindringlich. Soziales Unternehmertum kann die Welt zu einem besseren Ort machen, sagt der Friedensnobelpreisträger.
Unermüdlich verbreitet der Gründer der Grameen Bank für Mikrokredite    – und damit der  Erfinder des Social Business   –  seine Botschaft über die Kontinente, hält Vorträge, trifft einflussreiche Politiker. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso  beriet er, und er  inspirierte vor Jahren schon den damaligen Gouverneur Bill Clinton, ein Mikrokreditsystem in Arkansas einzuführen. Der 71-Jährige erhielt 2006  gemeinsam mit der Grameen Bank den Friedensnobelpreis.
Diese Woche war er in Wien, um die von ihm gegründete internationale Konferenz Global Social Business Summit  zu eröffnen. Und er ist auch nach 40 Jahren Engagement für die Armen nicht  müde. Im KURIER-Interview spricht er über den neuen Kapitalismus  und Social Business als Alternative zu Arbeitslosigkeit und Armut.

KURIER: Sie sagen, der Kapitalismus  muss nicht geld- und ichzentriert sein. Reichen soziale Unternehmen aus, um den Kapitalismus  zum Besseren zu verändern?
Muhammad Yunus: Social Business hilft sehr.  Es ist natürlich eine Frage, wie man Kapitalismus interpretiert.  So wie er jetzt interpretiert wird, ist er sehr geld- und ichzentriert. Die Unternehmen wollen Geld für ihre Shareholder machen, sie  übernehmen  keinerlei gesellschaftliche Verantwortung – und wenn, dann nur als Nebenschauplatz namens Corporate Social Responsibility.  Da läuft viel falsch. Die Menschen sind aber nicht nur Geldjäger und Roboter.  Selbstlosigkeit und Egoismus existieren beide in uns. Auch der Kapitalismus muss hier ausgewogener werden. Social Business basiert auf Selbstlosigkeit, dient anderen, ist  aber durchaus auch ichzentriert.

Müssen Social-Business-Unternehmen non-profit geführt sein?
Soziale Unternehmen erwirtschaften Profit, aber für das Unternehmen, nicht für den Unternehmer.  Jeder Gewinn wird reinvestiert.  Man nimmt keinen Extra-Cent für sich heraus. Die Grameen Bank ist ein Social Business, dessen Profit den Armen zugutekommt.

Ihrer Ansicht nach müsste mit   Social Business niemand arbeitslos sein. Ist es realistisch, dass jeder Unternehmer sein kann?
Mein Ansatz ist: Der Arbeitslose ist nicht verantwortlich für die Arbeitslosigkeit. Er will etwas tun, ist kreativ, hat Fähigkeiten. Er wäre bereit zu arbeiten. Aber das  System gibt ihm nicht die Chance dazu.

Aber die Bereitschaft zu arbeiten macht noch keinen guten Unternehmer.
Das habe ich auch nicht gesagt. In Europa sind die Arbeitslosenzahlen recht hoch. Wenn Sie nach Asien schauen, ist Arbeitslosigkeit nicht die Regel, es gibt, bei aller Armut,  Beschäftigung.  Das europäische System  basiert auf Jobsuche, nicht auf Unternehmertum. Schon Kinder müssten lernen, dass sie nicht nur Jobsuchende werden können, sondern auch Jobgeber. Das ist unsere zentrale Botschaft an die Jugend.

Klingt ein wenig nach dem American Way of life.
Ich weiß nicht, wonach es klingt. Ich glaube an die Fähigkeiten der Menschen. Jeder Mensch, egal, ob geboren auf der Straße oder in einem Palast, hat unendlich viel Potenzial. Nur wird dieses Potenzial nicht immer befreit. Und: Jeder Mensch kann ein Unternehmer, ein Jobgeber sein, da gibt es keine spezielle Klasse. Damit könnten wir viele Probleme lösen. Nur: Das Bildungssystem müsste Unternehmertum auch lehren.

Was raten Sie Menschen, die gern ein  soziales Unternehmen  gründen wollen, aber keine durchschlagende Idee haben?
Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun wollen, finden Sie heraus, was andere getan haben, welche Ziele sie hatten, wie sie begonnen haben. Die Internetsuche hilft.  Und dann entscheiden Sie, ob Sie das Gleiche in Ihrem Land tun wollen oder etwas ganz Neues.  Wenn Sie eine richtig gute Idee haben, finden Sie auch Investoren. Heute ist das allein aufgrund der Technologien sehr einfach.

Vor 40 Jahren war es für Sie noch nicht so leicht. Sie begannen als junger Akademiker, Gemüsesamen an die Armen zu verkaufen.
Ja. Ich habe mich gewundert, warum so viele Kinder in Bangladesch an Nachtblindheit erkrankten und habe Ärzte dazu befragt. Sie sagten, es sei ein Vitamin-A-Mangel. Also begann ich, den Menschen Gemüsesamen in kleinen Päckchen um einen Penny zu verkaufen. Damit konnten sie Gemüse züchten und die Kinder gesünder ernähren. Eine simple Idee.  So ist die Nachtblindheit aus Bangladesch verschwunden.

Welche Fähigkeiten braucht ein sozialer Unternehmer? Wie kann er erfolgreich sein?

Ich sehe nicht, warum Social Business nicht erfolgreich sein sollte. Es gibt genügend Probleme, die sich relativ einfach lösen lassen.

In den vergangenen zwei Jahren hat die Europäische Union 27 Millionen Euro für  5000 Mikrokredite zur Verfügung gestellt. Ist es Ihrer Meinung nach die Pflicht von sozialen Unternehmern in westlichen Ländern,  ärmere Länder zu unterstützen?

Nein. Sie können es auch im eigenen Land tun. Es gibt auch in westlichen Ländern Probleme: Alleinerziehende,  ethnische Probleme, Sprachkonflikte, Drop-out-Raten in Schulen. Im Yunus-Zentrum und in den Grameen Creativ Labs unterstützen wir Unternehmer auf der ganzen  Welt beim Umsetzen ihrer Ideen.

Wie sehen Sie die Bereitschaft der Jungen zu Social Business? Sind sie offener als Ältere?
Auf jeden Fall. Die Jungen haben sehr kreative Ideen, ihre Köpfe sind noch frei.  Und sie verwenden neue Technologien, mit denen sie weltweit kommunzieren können. Das  gibt ihnen  ungeheure Macht. Ich sage nicht: Ihr  Jungen seid die künftigen Leader. Ich sage: Ihr seid es schon jetzt.

Zur Grameen Bank: Sie vergibt armen  Menschen  in Entwicklungsländern Mikrokredite, damit sie ein eigenes Geschäft aufbauen können, um zu überleben. Kritiker unken, dass nur einer von fünf Grameen-Kreditnehmern – nahezu alle sind Frauen –   tatsächlich ökonomisch unabhängig wird. Wegen der langen Laufzeit der Kredite. Wie sehen Sie das?
Ich weiß nicht, wie man auf diese Zahl kommt. Ich kann nur sagen: Wir leihen den armen Menschen  Geld, damit sie ihr  Geschäft aufbauen können, sich ein Einkommen sichern können. Daran ist doch nichts Verwerfliches.


Und wenn es schiefgeht?
Leihen wir ihnen wieder Geld, solange,  bis das Unternehmen funktioniert. Wir schmeißen niemanden aus unserem Programm.

Sie wurden von der Zentralbank in Bangladesch gezwungen, die Geschäftsführung der Grameen Bank  niederzulegen, wurden   zwangspensioniert. Sie haben befürchtet, das sei  eine Strategie, um die Grameen Bank zu verstaatlichen. Wie ist der momentane Stand?
Die Zentralbank versucht  nach wie vor, uns unter Druck zu setzen. Wir lassen uns das nicht gefallen. Es wäre eine Katastrophe, eine Enteignung. Die Bank ist in Besitz der  Kreditnehmerinnen.

Als eines von neun Kindern wurde Muhammad Yunus 1940 in Bengalen, dem heutigen Bangladesch geboren. Als Absolvent der Chittagong Collegiate School war er unter den besten 16 von 39.000 Schülern. Ab 1966 studierte er per Fulbright-Stipendium an der Vanderbilt University (USA) Volkswirtschaft, wo er 1969 auch promovierte. Ab 1976 leitete er ein Entwicklungsprojekt der Universität, aus dem 1983 die Grameen Bank hervorging. Ab 1996 beriet Yunus die Regierung in Bangladesch. Als Geschäftsführer der Bank wurde er 2011 entlassen.