Jannike sucht das Glück
Wir alle haben zwei Leben. Das zweite beginnt aber erst, wenn wir realisieren, dass wir nur eines haben. Tom Hiddleston
Jannike Stöhr ist 28 Jahre alt und im zweiten Leben angekommen. Denn die Pfeiler ihrer Arbeit sind ins Wanken geraten: Ist Geld wichtiger als Glück? Ist Verantwortung wertvoller als Freiheit? Ist mein Job bei einem deutschen Konzern mein Traumjob? Alle Antworten lauten "Nein". Deshalb lässt sie sich freistellen und startete im Sommer das Projekt "30 Jobs in einem Jahr". Über ihre einwöchigen unbezahlten Praktika in verschiedenen Städten bloggt sie auf 30-jobs-in-einem-jahr.de. Auf ihren Reisen lebt sie vom Ersparten und wohnt bei Couch-Surfing-Bekannten.
KURIER: Sie haben gerade Ihren 15. Job gestartet. Was sind Sie zurzeit von Beruf?
Jannike Stöhr: Karriereberaterin (lacht). Das passt aber sehr gut, das ist mein Thema. Berufsberatung und Orientierung betreffen mich persönlich ganz stark.
Sie hatten vor dem Projekt einen sicheren Job, ein Einkommen, einen Karriereweg. Was hat Ihnen gefehlt?
Was es konkret war, wusste ich damals nicht. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich da nicht hingehöre. Mein Vater hatte eineinhalb Jahre lang Krebs und ist dann verstorben. In dieser Zeit habe ich mich viel mit Leben und Tod beschäftigt und mir wurde klar, dass man nie eine Garantie für irgendetwas hat und die Dinge nicht auf die lange Bank schieben darf.
Wie kam es schließlich zur Idee "30 Jobs in einem Jahr"?
Ich habe mich bei meiner Arbeit für drei Jahre freistellen lassen und wollte eigentlich studieren. Ich habe mal wieder einen Ratgeber gelesen und da stand diese Story von 30 Jobs in einem Jahr, eine Belgierin hat das schon gemacht. An diesem Wochenende wusste ich: das mache ich auch – ich fand das in dem Moment so logisch. Ich habe gleich meine Homepage gebaut und mir überlegt, wie ich das umsetzen soll. Ich hatte gleichzeitig aber auch Sorge, denn ich finanziere mich aus eigenen Rücklagen und habe die Ausbildungen für die Jobs, in die ich hineinschnuppere, gar nicht.
Stimmt. Wie bewerben Sie sich eigentlich? Wonach suchen Sie sich die Jobs aus?
Ich habe meine Facebook-Kontakte gebeten, mir Kontakte von Menschen zu geben, die mit Leidenschaft bei ihrem Beruf sind. Diese habe ich dann kontaktiert und sie alle waren bereit, mich für eine Woche in ihren Job mitzunehmen – auch, weil sie ihre Leidenschaft weitergeben wollten. Fast von jedem habe ich dann wiederum neue Kontakte bekommen. Durch meinen Blog bekomme ich heute auch Angebote von völlig fremden Menschen.
Die erste Woche im neuen Job ist besonders anspruchsvoll. Sie durchleben nur erste Wochen.
Mittlerweile ist das schon irgendwie normal, aber es ist schon anstrengend und funktioniert nur gut, wenn ich mich mit den Menschen verstehe und gleich ins Team reinkomme. Nach dem ersten Tag bin ich immer völlig k. o., aber ich fühl’ mich sehr schnell zu Hause. Dann kommt es auf den Beruf an, ob ich nur mitlaufe oder mitmachen kann.
Ihr liebster Job bisher?
Journalismus und die Karriereberatung. Aber man weiß ja nicht, was noch kommt.
Das alles wirkt wie ein Spiel. Wo liegt denn der Ernst in der Sache?
Dadurch, dass ich über alles öffentlich berichte, gebe ich sehr viel von mir preis. Das Medieninteresse ist groß und ich musste mir am Anfang sehr gut überlegen, ob ich das alles will, ob ich damit leben kann. Ich habe mich aber entschieden, über diese Zeit authentisch und offen zu berichten, was wiederum eine Hilfe für andere sein kann. Manchmal ist es auch einsam. Es fehlt die Vertrautheit. Ich habe meine Familie und Freunde ja nicht um mich.
Fehlt Ihnen die geregelte Arbeit?
Nein. Aber mir fehlt die Konstanz. Die hat aber nichts mit der Arbeit, sondern meinem Wohnort und den Menschen um mich herum zu tun.
Nun ist Halbzeit: Ihr wichtigstes Learning aus Monaten der Suche nach dem Traumjob?
Ich habe alles, was passiert ist, so nicht kommen sehen. Ich bin überwältigt davon, wie viel Zuspruch und Hilfsbereitschaft ich von Fremden erfahre. Vorher hast du dein eigenes Leben, du brauchst nichts. Jetzt bekomme ich laufend neue Blickwinkel, bin offener, neugieriger und optimistischer geworden.
Was bedeutet Ihnen heute Arbeit?
An der Definition bin ich noch dran. Es ist aber meine Lebenszeit und mir ist wichtig, dass ich Freude an ihr habe.
Was, wenn nach den 30 Jobs der Traumjob nicht dabei war?
Das ist, wovor ich am Anfang die größte Angst hatte. Aber das wird nicht passieren, weil ich mich persönlich endlich kennengelernt habe und weiß, was ich kann und will. Ich will was Sinnstiftendes machen, mit Mehrwert für andere. Das, was ich jetzt mache, ist zwar befristet, kommt einem Traumjob aber schon sehr nah.
Die 28-jährige Deutsche ist gelernte Kauffrau für Bürokommunikation und hat einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften. In den vergangenen 5,5 Jahren arbeitet sie im Personalwesen eines deutschen Industriekonzerns. In 2009 startet sie als Teamassistentin, 2010 geht sie für eineinhalb Jahre nach Peking als Personalberaterin und arbeitet in dieser Position in Deutschland wieder weiter. Im Sommer 2014 nimmt sie sich „drei Jahre frei“ und startet das Projekt „30 Jobs in einem Jahr“. In einwöchigen Mini-Praktika will sie herausfinden, was sie glücklich macht. 15 Berufe hat sie bisher getestet.