Berufs-Europameisterschaft: Ihr seid die Besten
Von Sandra Baierl
Malerin Lisa Janisch hat geübt. Sehr viel geübt. Zwanzig Stunden pro Woche, ein ganzes Jahr lang. Die letzten zwei Monate vor der Berufs-Europameisterschaft hat sie nur noch trainiert – jeden Tag, sieben Tage in der Woche. Die Malerin arbeitete sich von früh bis spät in einen unermüdlichen Trainingswahn. Bis ihr Chef sagte, sie möge doch bitte nach Hause gehen und sich auch einmal ausruhen. Das Ergebnis ihrer Mühen: Lisa Janisch holte bei den EuroSkills in Göteborg die Goldmedaille, wurde "Best of Nation" und "Best of Europe" mit der höchsten Punkteanzahl des gesamten Wettbewerbs.
"18 Stunden habe ich an den drei Wettbewerbstagen gearbeitet", schildert die Europameisterin. Das Schwierigste sei es gewesen, die Zeit einzuhalten. Die Aufgaben waren sehr anspruchsvoll, man musste zügig und vor allem präzise arbeiten. Janischs Maler-Aufgaben im Detail: Eine Innentür zweifärbig lackieren; tapezieren; die Oper von Göteborg an die Wand malen, ohne dabei abzukleben, bei einer Maßtoleranz von einem Millimeter; Speed-Malen, also auf Schnelligkeit und Genauigkeit ein Werkstück erstellen; und schließlich, eine freie Technik auf zwei Quadratmeter Wand umzusetzen. Hier wählte Lisa Janisch eine anspruchsvolle Spachteltechnik und malte in künstlerischer Art ihren eigenen Schatten an die Wand.
Beim Zuschauen konnte man erkennen: Bei Lisa Janisch sitzt jeder Handgriff. Mit Ruhe und Perfektion zog sie den Malerpinsel über die Wand. "Obwohl die Arbeitsbedingungen sehr schwierig waren, dauernd ist in der Halle der Staub geflogen", sagt die 25-jährige Steirerin aus Birkfeld. Von den rund 75.000 Zusehern, die an den Wettbewerbstagen durch die Messehalle in Göteborg zogen, bekam sie in ihrer Konzentration nicht viel mit. Am Ende holte sie das bestmögliche Ergebnis: Europameisterin mit Rekord-Punkteanzahl.
14 Medaillen
Den Europameistertitel konnte Österreich in Göteborg einmal mehr erfolgreich verteidigen. Als beste Nation aller 28 europäischen Teilnehmerländer holten neben Malerin Janisch auch Grafiker Fabian Gwiggner, Christoph Schottenbaum in Restaurantservice, Markus Thurnes in Sanitär- und Heizungstechnik und Steinmetz Thomas Rudlstorfer jeweils eine Goldmedaille. Die Silbermedaille konnte in den Bewerben Elektrotechnik, Fliesenleger, Hotel Rezeptionist, Koch und Landschaftsgärtner erzielt werden; Bronze in Anlagenelektrik, Entrepreneurship, Mode Technologie und Spengler. Hinzu kommen neun Medaillen für Exzellenz, die ab einer bestimmten Punkteanzahl vergeben werden (Detailergebnisse: siehe Grafik unten). Insgesamt entsendete Österreich 35 Teilnehmer zu den EuroSkills nach Göteborg.
Auch in Göteborg waren die gestiegenen Anforderungen deutlich zu erkennen. Stefan Steinbichl, Team-Chef der österreichischen Teilnehmer und Lehrlingsausbilder bei voestalpine Stahl: "Unsere Teilnehmer sind fachlich perfekt vorbereitet. Um zu gewinnen, braucht es aber Siegertypen: man muss in der Lage sein, sich im Wettbewerb noch einmal steigern zu können. So gut zu sein wie nie zuvor". Das ist den 14 Medaillengewinnern grandios geglückt, "das gesamte Team hat sich gegenseitig unterstützt und in neue Höhen gebracht", sagt Steinbichl. Auch der mittlerweile gut sichtbare Anteil an Frauen – mittlerweile neun von 35 – verändere laut Steinbichl das Team: "Das ist eine andere Dynamik zu spüren, ein anderer Spirit und mehr Zusammenhalt. Das war das erste Team, das sich in der Vorbereitungszeit schon privat organisiert und getroffen hat."
Experte Hermann Studnitzka von Festo ist seit 2001 bei den Wettbewerben dabei. "Die fachliche Kompetenz, die hier verlangt wird, geht weit über den Inhalt der Lehre hinaus. Ohne intensive Vorbereitung im Unternehmen und durch die Experten und Betreuer, hätte man als Teilnehmer keine Chance", sagt er.
Basis: die gute Lehre
Das hervorragende Abschneiden der österreichischen Fachkräfte – 2012, 2014 und 2016 die beste Nation Europas mit den meisten Medaillen – wird von allen Beteiligten auf die duale Ausbildung zurückgeführt. Gerade in den handwerklichen Berufen fördert das praxisnahe Modell der dualen Ausbildung – Betrieb und Schule werden bei der Lehre kombiniert – Spitzenleistungen in jungen Jahren. "Die Lehre bildet die Fachkräfte aus, die Österreichs Unternehmen weltweit konkurrenzfähig machen", ist auch Wirtschaftskammer-Österreich-Präsident Christoph Leitl überzeugt. Die WKO sieht den seit Jahren anhaltenden Trend weg von der Dualen Ausbildung deshalb äußerst kritisch. Die Zahl der Lehranfänger ist von 40.000 im Jahr 2008 auf mittlerweile 33.000 zurückgegangen. Wenn immer weniger Jugendliche den Weg in die Lehre einschlagen, wird das nicht nur bei den internationalen Wettbewerben sichtbar werden, sondern in naher Zukunft auch zu einem eklatanten Fachkräftemangel führen.
Dass die Lehre außergewöhnlich gute Mitarbeiter hervorbringt, zeigen die Teilnehmer an den EuroSkills und WorldSkills jedes Jahr. Hier versammeln sich, selektiert durch nationale Ausscheidungen und Staatsmeisterschaften, die Besten ihrer Zunft. Sieht man den jungen Fachkräften beim Malen, Meißeln, Mauern, Blumenbinden oder Kochen zu, erkennt man ihre Freude am Beruf, ihre Leidenschaft und ihr Können. Weshalb sie die Gewinner sind – auf allen Linien.
- Die Österreicher sind Profis: seit 1961 nehmen sie an den WorldSkills teil, seit 2008 an den EuroSkills. Das Niveau hat sich international stark nach oben entwickelt. Aber auch die Österreicher sind noch professioneller geworden: Über die Staatsmeisterschaft erfolgt die Auswahl, wer zu den internationalen Bewerben fahren darf. Die Vorbereitung dauert dann etwa ein Jahr und beinhaltet Teambuilding-Trainings, Englisch-Kurs, fachliche Vorbereitung mit dem eigenen Trainer. Auch die Ausstattung ist olympia-ähnlich geworden: Einkleidung, Ausstattung, gemeinsame Presse-Termine. Und: traditionell gibt es nach der Rückkehr einen Empfang beim Bundespräsidenten in der Wiener Hofburg.
- Die EuroSkills finden jedes zweite Jahr in einer anderen Stadt in Europa statt. Nach Göteborg folgen Budapest 2018 und Graz 2020. In vier Jahren findet die Berufs-Europameisterschaft also in der Steiermark statt. Dass das so ist, ist vor allem der Wirtschaftskammer Steiermark und ihrem Präsidenten Josef Herk zu verdanken. Für ihn, langjähriger Begleiter der Euro- und WorldSkills, sind die Meisterschaften eine Herzensangelegenheit.
- Die österreichischen Experten, jene Ausbildner, mit denen unsere Teilnehmer trainieren, sind internationalen sehr angesehen. Chef-Experte Michael Tobisch wurde von russischen Vertretern angesprochen: „Kommen Sie zu uns und trainieren Sie unsere Fachkräfte. Geld ist kein Thema.“ Nach dem Sieg von Malerin Lisa Janisch kam der Russe wieder: „Wir wissen, Ihr Marktwert ist jetzt gestiegen, aber: Geld ist immer noch kein Thema.“
- Jahrelang hat Renate Römer, die ehemalige Vize-Präsidentin der WKO, die internationalen Skills-Bewerbe betreut. Nach zehn Bewerben übergibt sie die Verantwortung nun an ihre Nachfolgerin: Künftig ist WKO-Vizepräsidentin Martha Schultz für Euro- und WorldSkills zuständig.
- Erfolgreichstes Bundesland bei allen WorldSkills (Zeitraum 1961 – 2015) ist Oberösterreich, gefolgt von Vorarlberg. Wien und Burgenland sind am schwächsten.