Geschichten, die das Leben schreibt
"Gonnggg", hallt es durch die Hauptbibliothek der Uni Wien. Dutzende Studierende strömen durch den schmalen Eingang in den großen Lesesaal und suchen auf einer Karte an der Wand nach ihrem Buch. Es muss schnell gehen, die Zeit läuft – ab jetzt haben sie nur 25 Minuten zu lesen. Was sie lesen sollen, ist aber nicht irgendein Buch, keines der Tausenden aus der Bibliothek ringsum. Das Buch steht an diesem Mittwochnachmittag für eine spannende Persönlichkeit, die an einem der vielen Tische des Saals sitzt. Diese Person soll "gelesen" werden – und Geschichten aus ihrer Karriere erzählen.
Anlässlich des 650-Jahres-Jubiläums wurden im Rahmen des Living Book Days 65 erfolgreiche Menschen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen, um Studierenden eine Orientierung zu möglichen Karrierewegen nach dem Abschluss zu geben. Das Prinzip des Events, das nun zum vierten Mal seit 2010 stattfindet und vom Karriere-Portal der Uni Wien, Uniport, organisiert wurde: Die Living Books, selbst zum Großteil Alumni der Uni Wien, erhalten einen fixen Sitzplatz und werden in drei Stunden für mehrere 25-minütige persönliche Gespräche aufgesucht.
Die Suche nach dem Weg
Im Licht der grünen Bibliothekslampen wird’s schnell gemütlich und die Studis verlieren ihre anfängliche Ehrfurcht vor Gesprächspartnern wie Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, ORF-Moderatorin Birgit Fenderl oder Infineon-Chefin Sabine Herlitschka. Die Studierenden kommen schnell zum Punkt: "Wie viel haben Sie bei Ihrem Berufseinstieg eigentlich verdient?" Beide Seiten machen sich Notizen, haben auch Fragen mitgebracht – man bemüht sich, will schließlich ein eloquenter Gesprächspartner sein.
Obwohl 25 Minuten für ein Gespräch lang erscheinen, ist beim Gong, der die nächste Runde einläutet, noch lange nicht alles gesagt. Viele überziehen in die Pause. Den Studierenden liegt viel am Herzen. Die Gespräche drehen sich um den Berufseinstieg, die aktuellen, tristen Aussichten am Arbeitsmarkt und die Familienplanung. Vielen werden dabei die Augen geöffnet, scheinbar hören sie hier erstmals unverblümt die Wahrheit: "Dass Sie nach der Uni gleich eine Festanstellung bekommen, ist eine Illusion", informiert etwa Ingeborg Schuch, Übersetzerin an der Österreichischen Nationalbank, eine Studentin. Einige Tische weiter überlegt ein Student,sich selbstständig zu machen, wenn er keinen Job finden sollte. "Gründen ist keine gute Exit-Option", warnt ihn Beraterin Elisabeth Edhofer und erklärt sogleich einfühlsam, wie sie entschieden hat, was sie werden will.
Erstmals wurden heuer beim Living Book Day eBooks präsentiert: In diesen Gesprächen konnten Studierende via Skype-Videochat mit "Büchern" in Florida, Sao Paulo, Brüssel oder Barcelona erfahren, was es braucht, um später international erfolgreich zu sein.