Forscher mit Weltkarriere
Von Sandra Baierl
1994 hat Christoph Lengauer Österreich verlassen. Seither macht er Karriere als Forscher. Bei fünf Krebs-Medikamenten war er federführend beteiligt. Er arbeitete für den Pharmariesen Novartis, war Forschungs-Chef bei Sanofi. Seit 2012 ist er "Chief Scientific Officer und Chief Drug Hunter" beim Biotech-Start-up Blueprint Medicines in Cambridge, USA. Marktwert: 785 Millionen Dollar.
KURIER: Von Österreich in die weite Forschungswelt: Wie haben Sie das geschafft?
Christoph Lengauer: Nach Amerika bin ich als Postdoc gekommen. Das ist der normale Weg und einfach. Viele kommen so – und bleiben dann auch. Die Europäer sind hier sehr beliebt. In den US-Foschungsstätten ist es sehr schwierig, gute, talentierte US-Wissenschaftler zu finden. Für junge Leute in Amerika ist die Wissenschaft nicht die erste Wahl, die gehen in die Wirtschaft, weil dort das Geld wartet.
Warum sind die Europäer in den USA beliebt?
Weil sie für eine andere Kultur stehen. Die Europäer, die nach Amerika kommen, haben ein gutes, strategisches Denken, haben Führungsqualitäten und sind sehr entscheidungsfreudig. Man will aber auch nicht ein ganzes Labor voller Europäer haben, weil das alles Alpha-Typen sind. Aber im Mix mit den Amerikaner und mit den Asiaten funktioniert das gut.
Wieso haben Sie als Forscher Österreich verlassen?
Ich wollte eigentlich nicht nach Amerika, das Land hat mich nicht interessiert. Ich wollte überhaupt aufhören mit der Wissenschaft – ich war total frustriert, weil am Anfang nichts funktioniert. Eine normale, depressive Phase, die jeder junge Wissenschaftler hat. Die Definition von Erfolg ist in der Wissenschaft sehr schwierig. Ich habe damals viele andere Sachen gemacht, im Flüchtlingsbereich, für Amnesty, war in der Expertenkommission für Flüchtlingsfragen in der Regierung. Da gab es schnelle Erfolge. Aber dann: Habe ich mich im Labor bei Bert Vogelstein beworben.
Einem bekannten US-Krebsforscher.
Das ist eine große Untertreibung. Er ist neben Albert Einstein der wohl wichtigste Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Bert hat gesagt: fang an. Sechs Wochen später war ich in Amerika, wo ich nie hinwollte.
Nach einiger Zeit sind Sie in die Pharmabranche gegangen. Warum?
Medikamentenforschung hat mich interessiert. Das kann man in der akademischen Forschung aber nicht ernsthaft betreiben. Da fehlt das Verständnis, wie man Medikamente entwickelt und es fehlen die anderen Disziplinen.
Mit Anfang 40 hatten Sie sich zum Global Chef der Forschung bei Sanofi hinaufgearbeitet. Haben ein 500-Personen-Forscherteam geleitet. Wie haben Sie den Job geschafft?
Ich habe erkannt: das Wichtigste ist, dass alle an das Gleiche glauben. Wir haben in den ersten Tagen eine gemeinsame Vision entwickelt, was dazu geführt hat, dass zwei Drittel der Projekte von den Mitarbeitern selbst gestoppt wurden. Weil sie erkannt haben: das passt nicht mehr zu uns. Ich habe also ohne großen Aufwand umgebaut. Dann muss man den Leuten nur noch bei der Umsetzung helfen, baut gemeinsam etwas auf.
Was haben Sie im Konzernleben gelernt?
Dass jedes Medikament, das auf den Markt kommt, ein Wunder ist. Sie müssen wissen: wenn man ein Haus baut, setzt man am Schluss ein Dach drauf, baut die Fenster ein – und es steht. Bei der Forschung an Medikamenten kann beim letzten Bauteil alles zusammenfallen. Dann ist alles umsonst gewesen. Das ist ein Riesenproblem.
Eine hohe Chance zu scheitern, bis zum Schluss.
Ja. Aber bei Forschern ist es normal, wenn etwas nicht funktioniert. Das beschäftigt mich wenig, da muss man durch und weitermachen. In der Medikamentenforschung geht von hundert Ideen nur eine in die Klinik. In der Klinik wiederum wird aus 100 Projekten nur aus einem ein Medikament. Es kostet Milliarden Dollar, um ein Medikament in den Markt zu kriegen. Fast alle meine Kollegen haben noch nie an einem Projekt gearbeitet, das zu einem echten Medikament geführt hat.
Sie aber haben fünf Medikamenten auf den Markt gebracht. Was machen Sie anders?
Zum einen muss man wissen: es ist immer die Leistung eines Riesenteams. Ich war bei fünf Krebsmedikamenten dabei – das ist total gegen den Durchschnitt. Mit harter Arbeit, guten Entscheidungen und Glück.
Sie sind seit fünf Jahren Chef-Forscher bei einem Bostoner Start-up. Warum der Wechsel dorthin?
Weil alles hier viel schneller ist als in großen Pharmafirmen. Ich wollte mehr Zeit zum Denken und mehr Einfluss. Mein Bauchgefühl kommt hier mehr zum Zug, im Biotech ist jeder ganz nah dran. Das große Problem der Pharmabranche ist die Abgegrenztheit von Daten und Entscheidungen.
Wie sieht bei Ihnen harte Arbeit aus?
Ich arbeite 15 bis 18 Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Ich stehe um vier Uhr auf, bin um fünf Uhr am Fluss zum Rudern. Um 7:30 Uhr bin ich bei der Arbeit. Gegen neun Uhr abends, gehe ich nach Hause. Dort setze ich mich das erste Mal an den Computer und arbeite bis Mitternacht.
Und tagsüber?
Ich unterhalte mich den ganzen Tag mit Leuten. Ich rede und rede. Ich esse kein Frühstück, kein Mittagessen, kein Abendessen. Nichts. Ich mache auch keine Pause. Meine beste Form der Entspannung ist mein Stress bei der Arbeit.
Wie denken Sie?
In Bildern. Man kann ja ein Gen nicht sehen. Ich kann es mir also nur vorstellen. Ich kreiere mir eine eigenen Welt. Aber: Ich kann nicht gut selbst denken. Es gibt Leute, die haben gute Gedanken beim Radfahren oder beim Duschen. Fast alle meine Ideen entwickle ich im Gespräch. Egal mit wem: ich muss mit jemanden reden, ich muss es erklären, nur so komme ich gedanklich weiter.
Und was hilft beim Neudenken?
Wir entwickeln etwas, was es nicht gibt. Wir machen etwas bisher Ungedachtes. Meine Erfahrung ist das Einzige, was ich habe.
In Ihrem Bio-Tech-Start-up: Wie läuft das Spiel mit den Investoren?
Wir haben in der ersten Serie 40 Millionen generiert. Im März haben wir einen Deal mit Roche gemacht, die zahlen eine Milliarde Dollar für die Zusammenarbeit mit uns. Investoren beteiligen sich, wenn sie Potenzial sehen. Und sie investieren in gute Leute: die Erfolgsgeschichte des Team ist also entscheidend. Aber: Meine Hauptverantwortung habe ich gegenüber den Patienten. Nicht gegenüber jemanden, der 40 Millionen gibt.
Ihr Start-up war der erfolgreichste vorklinische Börsengang eines Biotechs in den USA. Es ist 785 Millionen Dollar wert. Warum?
Weil die Leute daran glauben, dass wir Medikamente entwickeln können, die einen Riesenunterschied für Patienten machen. Die Leben retten.
Sie haben aktuell 98 Mitarbeiter ...
... sie sind unser wichtigster Unternehmenswert. Wenn unsere Firmenzentrale heute abbrennt, haben wir nichts verloren. Wenn einer unserer 90 Forscher geht, ist sehr viel verloren.
Könnten Sie sich je vorstellen, wieder nach Österreich zu kommen?
Ich möchte gerne nach Österreich zurück, aber ich möchte nicht dort arbeiten. Ich fühle mich in Österreich am wohlsten, es ist ein Gefühl von Heimat, da gehöre ich hin.
Das heißt, Sie werden sich in Österreich zur Ruhe setzen?
Das ist meine große Lebensfrage: Wann höre ich auf? Ich versuche herauszufinden, wann das ist. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich bisher gemacht habe. Ich könnte morgen aufhören. Aber vielleicht höre ich auch nie auf.
Christoph Lengauers Lebenslauf zeigt die Stationen einer internationalen Forscherkarriere: 121 Publikationen in Wissenschaftsmagazinen, davon 14 in Nature und sechs in Science. Nach seinem Studium in Salzburg und Graz ging der Genetiker und Molekularbiologe Anfang der 90er-Jahre für ein PhD an die Universität von Heidelberg, es folgte ein Postdoc an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, wo er 1997 für neun Jahre im damals wichtigsten Krebs-Forschungslabor eine Führungsrolle einnahm, gemeinsam mit den Star-Forschern Bert Vogelstein und Kenneth W. Kinzler.
2005 bis 2008 war er Director für Medikamentenforschung bei Novartis (USA), 2008 bis 2012 Vice President und Chef-Forscher bei Sanofi (Paris). Den Pharmariesen verwandelte er innerhalb kurzer Zeit in eine moderne Forschungs-Organisation. Seit 2012 ist er Chief Scientific Officer und Drug Hunter bei Blueprint Medicines in Cambridge, Boston (USA). Das Biotech-Start-up notiert an der Börse (Wert aktuell: 785 Millionen Dollar) und forscht an Medikamenten gegen Krebs.
Seine wichtigsten Erfolge: Die Erkenntnis (einfach ausgedrückt), „dass Krebs immer genetisch instabil ist, eine große Heterogenität hat und bei jedem Menschen anders ist. Das ist auch der Grund, warum die Krankheiten so schwer zu behandeln sind“, erklärt Lengauer. In seiner Karriere war er an der Entwicklung von fünf Medikamenten beteiligt, die auf den Markt kamen.
Der Oberösterreicher (Jahrgang 1965) lebt in Boston, ist verheiratet und Vater.