Wirtschaft/Karriere

"Es ist ein Kampf der Bildungskulturen"

"Nicht Klima und Rohstoffe, sondern Bildung ist der wichtigste Schlüssel fürs Überleben der Menschheit", so Wolfgang Lutz. Gesellschaften, in denen die breite Masse gebildet ist, stehen bildungsfernen gegenüber. "Wir stecken im Kampf der Bildungskulturen, der macht vor Grenzen nicht halt".

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KURIER: Wer wird überleben, Herr Lutz?

Wolfgang Lutz: Es ist ganz klar, dass in jedem Land der Welt die Bessergebildeten höhere Überlebenschancen haben. Das gilt auch für ganze Länder und Kulturen. Mein Co-Autor und ich distanzieren uns vom sogenannten Kampf der Kulturen. Eher gibt es einen Kampf der Bildungskulturen. Also Wissensgesellschaften versus jene Länder, die sich ins Mittelalter zurückentwickeln, wo Bildung unterdrückt wird.

Wächst die Kluft zwischen Bildung und Unbildung?

Im Prinzip ist Bildung in den meisten Ländern auf dem Siegeszug, weil man die Vorteile sieht. Das Problem ist die Demografie: dort, wo Frauen wenig Bildung haben, ist die Geburtenrate hoch. Die Ausbreitung der Bildung ist umso schwieriger, je mehr junge Menschen man versorgen muss. Wenn die Bildungsexpansion ausbleibt, werden diese Länder noch weiter wachsen, noch weniger Bildung für alle schaffen. Ein Negativkreislauf.

Wieso schaffen es Einzelbeispiele wie Mauritius oder Singapur oder China?

In Mauritius war es die Basisbildung, vor allem der Frauen und damit auch die Familienplanung, die den Teufelskreis durchbrochen hat. Erst im nächsten Schritt kam der Boom der Textilindustrie. In Asien gab es in der traditionellen konfuzianischen Weltanschauung immer einen hohen Stellenwert von Bildung – aber nur für die Eliten. Auch hier war entscheidend, dass die Bildung auf die ganze Bevölkerung ausgeweitet wurde. Es ist eindeutig in allen historischen Fallstudien belegt: Investition in die Basisbildung kommt vor der Wirtschaftsentwicklung.

Das Recht auf Grundbildung ist seit 1948 in den Menschenrechten verankert. Wieso hat das so wenig Wirkung?

Die positiven Menschenrechte sind schwierig einzuklagen. Und die internationale Staatengemeinschaft tut zu wenig für Bildung. Nur vier Prozent der gesamten Entwicklungshilfe der Welt geht in die Basisbildung.

Aber Bildung macht reich und mächtig, besagt Ihr Buch. Was verfolgt ein Konzept der Unbildung?

Bildung befähigt die gesamte Bevölkerung, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen. Fundamentalistische Gruppen und diktatorische Machthaber haben da natürlich etwas zu verlieren. Der Machterhalt des alten Systems ist gefährdet, wenn auf einmal ein Mädchen wie Malala (Anm.: pakistanische Friedensnobelpreisträgerin 2014) in die Schule gehen und mitreden will.

Sie sagen, die Flüchtlingsströme sind auch ein Ergebnis des Kampfes der Bildungskulturen. Ist Bildung letztlich die einzige Lösung?

Ja, aber Bildung braucht Zeit, um zu wirken. Sie ist also nicht die Lösung für kurzfristige Probleme. Man darf auch nicht die Illusion haben, dass das immer eine nette Entwicklung ist. Das birgt viel Konfliktpotenzial, es ist ein holpriger Weg zu einer modernen Demokratie, zur Vernunft und Kompromissfähigkeit.

Was wird aus den verlorenen Generationen im Irak, in Syrien, Libyen und Jemen?

Viele Menschen werden leider vor Ort elend zugrunde gehen. Vor allem die, die es sich richten können, die ausreichend gebildet sind und damit auch die finanziellen Ressourcen haben, werden sich ins Ausland absetzen können. Langfristig hat das verheerende Folgen, wenn die junge Generation lange Zeit keine geregelte Schule hat. Wenn nachhaltig das System zerstört ist, dauert es Jahrzehnte, bis man diesen Rückschlag wieder aufholen kann.

Buchtipp: Reiner Klingholz, Wolfgang Lutz: Wer überlebt?

Campus Verlag, € 25,70