Wirtschaft/Karriere

Die Muster-Knaben

Plötzlich hat es der Seniorchef eilig. Josef Hrdlicka III. lässt seine Kunststoff-Vakuumverformer-Maschine, die er gerade dem ahnungslosen Besucher zu erklären versucht, stehen und spurtet von der Werkstatt in den Verkaufsraum. Die Überwachungskamera zeigt einen Kunden, der den Verkaufsraum betritt. Ein BMX-Radl soll im Ganzen nach Deutschland verschickt werden. Den Koffer dazu soll der Jahrhundert-Handwerker Hrdlicka - der Betrieb wird heuer 100 Jahre alt - anfertigen. "Ein herrlicher Beruf."

Juniorchef Josef IV., der gelernte Etuimacher trägt, anders als sein Vater früher, keinen weißen Arbeitsmantel sondern Blaumann, dreht den Ton der Übertragung leiser, als er merkt, dass der Besuch die Ohren spitzt. "Das ist ein Verkaufsgespräch."

Diskretion

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Auf diesem Prinzip funktioniert die Musterkoffer-Erzeugung hier in Wien-Fünfhaus. Es ist eine Ehre, die Werkstatt der Hrdlickas in der Kranzgasse 8 überhaupt betreten zu dürfen.

Ur-Opa Hrdlicka I. hat acht Sprachen gesprochen - selbst in der polyglotten Kaiserzeit eine Ausnahme. 1911 eröffnete er die erste Etuimacherwerkstatt der Familie in Wien. Das Geschäft lief hervorragend, Colliers schenkte man der Dame seines Herzens damals nicht nackt, das Etui durfte zehn Prozent des Werts der Juwelen kosten.

Der BMX-Kunde geht. Er wird wiederkommen und sein Fahrrad mitbringen. Wo sollte er sonst hingehen? Für Spezialanfertigungen ist Musterkoffer Hrdlicka weltberühmt, und das nicht nur in Wien. "Wenn sie mich nach dem größten Koffer fragen, der je bei uns bestellt worden ist, das war ein Auftrag vom Hundertwasser. Für ein Modell, das er in Deutschland vorführen wollte. Er hat gesagt: 'Ich muss weg aus Österreich, hier werde ich nichts'".

Meister-Stab

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Man darf davon ausgehen, dass Prominente im Lauf der Zeit einem Josef Hrdlicka - die Männer in der Familie tragen stets denselben Vornamen - noch ganz andere Geschichten anvertraut haben. Wie die folgende: "Als Franz Lehár ein Etui für seinen Dirigentenstab kaufen wollte, ist sein Chauffeur ins Geschäft gekommen und hat ihn mit den Worten angekündigt, 'Es kommt jetzt der Meister, und bitte, sprechen sie ihn auch nur mit Meister an'".

"Das Geheimnis des Erfolgs ... ein elegant eingerichteter Musterkoffer", steht auf einem Plakat. Bedeutet? "Wenn der Vertreter den Koffer öffnet, ist das wie eine Bühne im Theater, als ob der Vorhang aufgeht." Das war Josef Hrdlicka III. Und wie überlebt ein Unternehmen 100 Jahre lang alle Höhen und Tiefen? "Wenn die Weltwirtschaft scheppert, den Kopf einziehen - und durch."

Wussten Sie, dass…

...es in Wien vor dem Zweiten Weltkrieg 280 Etuimacher gab? Heute ist laut Auskunft der Innung für Kunsthandwerke nur noch einer übrig: Josef Hrdlicka.

...Polypropylen das stabilste Koffer-Material ist. "Die haben auch die Piloten. Mit denen fahren sie zwanzig Jahre gut", sagt Kofferdoktor Gerhard Mosovsky.

...auf dem Flughafen Wien-Schwechat im Monat knapp 1,9 Millionen Passagiere abgefertigt werden? Das sind 63.000 am Tag - mit fast ebenso vielen Koffern.

...Louis Vuitton mit 33 Jahren 1854 sein erstes Geschäft im Zentrum von Paris gegründet hat? Er bespannte Pappelholz-Kisten mit plastifiziertem Leinen, ein unverwüstliches Material. Als die "Titanic" unterging, schwammen LV-Koffer noch tagelang auf dem Meer.

...Pack-Profis als Erstes die Hose in den Koffer legen? Und zwar so: Den oberen Teil vom Bund bis kurz vor den Knien auf den Boden des Koffers legen, den Rest der Hose zunächst über den Kofferrand hinaushängen lassen. Darüber kommt das Jackett, das von außen nach innen gefaltet wird. Über die Sakkos kommen die Pullover und Sweatshirts. Zum Schluss wird der untere Teil der Hose über die Pullover gelegt.

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