Der Weltmanager
Von Sandra Baierl
Der ehemalige Mexikanische Präsident Ernesto Zedillo, IWF-Chefin Christine Lagarde, WTO Generalsekretär Pascal Lamy, Publicis CEO Maurice Lévy: Wirtschafts- und Politstars kommen nach Salzburg, weil Peter Brabeck-Letmathe sie ruft. Der Nestlé-Boss, seit 48 Jahren an der Spitze des Lebensmittel-Konzerns mit 333.000 Mitarbeitern in über 150 Ländern, kennt sie alle. Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan unterbrach vergangene Woche sogar seinen Urlaub in Ghana, um mit Peter Brabeck-Letmathe in Salzburg zu diskutieren.
Der Kärntner ist ein Superstar. Einer der mächtigsten Manager überhaupt. Dicht vernetzt mit Persönlichkeiten aus aller Welt, aus Wirtschaft und Politik. "Als Eisverkäufer hätte ich diese Kontakte nicht gehabt", scherzt er, in Anspielung an seinen beruflichen Anfang. Die Person Brabeck sei mit den Jobs beim Nahrungsmittelkonzern gewachsen. Zahlreiche Mandate in Verwaltungsräten verschafften ihm Zugang zu jedem, der in der Schweiz einen Namen hat. Weltweit ist er bestens vernetzt über seine Funktion beim World Economic Forum.
Er schreibt Bücher, politisiert, engagiert sich in gesellschaftlichen Fragen, polarisiert. Immer aus dem Blickwinkel des mächtigen Nahrungsmittelmultis, für den er sein Leben lang gearbeitet hat. Umstritten ist vor allem seine Position zum Thema Wasser, das aus seiner Sicht privatisiert gehört.
In Salzburg, Nestlé ist seit 25 Jahren Sponsor der Festspiele, hatte er dieses Jahr seinen letzten Auftritt in Konzernfunktion. Mit 2017 legt er alle Ämter zurück. Und obwohl Nestlé-CEO Paul Bulcke auch da war: die Reden hält Brabeck, das Podium führt Brabeck, die Aufmerksamkeit liegt auf Brabeck. Es ist seine Show. Ein Interview, ein Resümee über den bevorstehenden Ausstieg.
KURIER: Fast 50 Jahre bei Nestlé – warum?
Peter Brabeck-Letmathe: Warum? Weil’s wunderschön dort war und ist. Voll mit Möglichkeiten.
Wie sehr verwächst man als Person mit dem Konzern, wenn man jahrzehntelang dabei ist?
Ich kann mir Peter Brabeck ohne Nestlé nicht vorstellen. Ich kann mir aber ohne Weiteres Nestlé ohne Peter Brabeck vorstellen. Das hat es vorher gegeben, das wird es auch nachher geben.
Sie sind der längstdienende Nestlé-Boss: Was hat Sie so lange dort gehalten?
Es war eine Karriere, die alles geboten hat. Ich habe eine Stufe nach der anderen genommen, bis zum CEO und Präsidenten. Ich wüsste nicht, warum ich der Firma nicht hätte treu sein sollen. Sie war sehr gut zu mir und ich versuche, gut zu ihr zu sein.
Sie empfehlen also eine lange Zugehörigkeit?
Absolut. Ich glaube nicht an die Springerei. Hat eine Firma viele Möglichkeiten, sehe ich keinen Grund, warum man woanders hin wollte.
Ein Leben für eine Weltkarriere: Da ordnet man vieles, vielleicht alles unter. Ist es das wert?
Absolut. Es ist ja nicht so, dass die Firma oben steht und ich unten. Ich habe viel dazu gelernt. Der Peter Brabeck Eisverkäufer in Österreich war sicher eine andere Persönlichkeit als der Peter Brabeck als Chairman von Nestlé. Möglichkeiten wie hier in Salzburg, ein Panel mit diesen internationalen Gästen auf die Beine zu stellen – das hätte ich als Eisverkäufer nicht zusammengebracht.
Wofür ist Peter Brabeck firmenintern bekannt?
Ich weiß nicht, wofür ich bekannt bin. Ich habe immer versucht, ein motiviertes Team zu haben. Je höher Sie in der Karriere steigen, umso weniger können Sie selbst machen – umso mehr müssen Sie sich mit Leuten umgeben, die die Arbeit machen. Daher ist die Bildung eines motivierten Teams die wichtigste Aufgabe. Dem Team müssen Sie eine glaubwürdige, langfristige Vision geben. Und dann müssen Sie die Leute machen lassen.
Nestlé hat 333.000 Mitarbeiter. Wie viele waren in Ihrem direkten Wirkungskreis als Sie CEO waren?
Ich hatte in meinen CEO-Jahren 198 unserer Kurse besucht, dort ungefähr 4600 Leute persönlich getroffen. Und bei all meinen Reisen, überall auf der Welt, mit der Belegschaft gesprochen. Ich hatte also Kontakt mit sehr sehr vielen Menschen.
Was waren die großen Niederlagen in Ihrer Karriere?
Es gibt Entscheidungen, die sich nicht entwickeln, wie man sie vorgesehen hatte. Die Acquisition von Buitoni etwa war sicher ein Fehler. Auch unser Eiscreme-Geschäft war nicht so, wie ich das erwartet habe. Aber Fehler gehören dazu. Würde jemand nur richtige Entscheidungen treffen, hat er wahrscheinlich nicht genügend Entscheidungen getroffen. Wichtig ist, dass man nicht noch einmal den gleichen Blödsinn macht.
Sie waren krank. Relativiert eine Krankheit das Berufsleben oder überhaupt alles?
Ehrlich gesagt: Nein. Weil ich die Einstellung hatte, dass mein Arzt eine Lösung finden wird. Ich habe das ihm überlassen. Ich habe normal weitergearbeitet und mir zusätzlich als Aufgabe den Helikopter-Schein gestellt. Sodass ich auch geistig auch immer wieder was Neues im Kopf hatte.
Ihre Strategie war also mehr, nicht weniger.
Ja, eindeutig. Ich bin nach vier Tagen Chemotherapie, wo ich mich nicht ganz gut gefühlt habe, sofort zurück ins Büro oder zum Sport gegangen.
Ist das die eiserne Disziplin des Herrn Brabeck?
Das ist keine Disziplin, das ist eine Einstellung. Ich war der Meinung: Wir finden eine Lösung. Und deshalb ging es für mich normal weiter. Das war dann zwar schwieriger als gedacht, weil die Lösung bei den ersten beiden Therapie-Ansätzen nicht gekommen ist. Wir haben dann ein Experimental-Medikament gefunden, das funktioniert hat. Dafür bin ich von Universität zu Universität gegangen und in Lyon fündig geworden. Den europäischen Weg gegangen, über die Krankenkasse finanziert, im öffentlichen Krankenhaus. Ich habe da großes Vertrauen in das System.
Sind Sie heute ein anderer Mensch als vor der Krankheit?
Ich glaube nicht.
Zurück zu Ihrem Management: Wie politisch war Ihre Funktion im Weltkonzern? Sie umgeben sich ja auch gerne mit internationalen Wirtschafts- und Politpersönlichkeiten.
Eine Firma arbeitet nicht in einem Vakuum. Wir brauchen eine Lizenz, um überhaupt operieren zu können. Diese Lizenz wird von der Gesellschaft gegeben – und die Politik ist auch Teil davon. Daher müssen Sie die Firma und sich selbst in die Politik und die Gesellschaft einbinden.
Ihre auch viel kritisierten Positionen, etwa zum Thema Wasser, kommen rein aus Ihrer Management-Funktion, nicht von der Person Brabeck?
Absolut aus dem Firmeninteresse heraus. Wasser ist das wichtigste Rohmaterial für die Menschheit – und das wichtigste Rohmaterial für Nestlé. 2008 haben sich sehr wenige Menschen um dieses Thema gekümmert. In der Zwischenzeit haben wir immerhin erreicht, dass in Davos Wasser zum größten Risikofaktor der Weltwirtschaft ernannt worden ist. Ich war es, der 2008 gesagt hat, Wasser ist ein Menschenrecht. Meine Meinung ist: fünf Liter Wasser zum Trinken und 25 Liter zur Minimumhygiene sind ein Menschenrecht; die restlichen 98,5 Prozent, die wir verschwenden, sind keines. Dem müsste man einen höheren Wert geben. Höher als Erdöl.
Wie viel machiavellische Energie muss man haben, wie viel Machtanspruch ist in Ihnen, dass so eine Spitzenkarriere möglich ist? Oder sind hier zu viele House-of-Cards-Gedanken dabei?
Dieses Modell, das aus der Militärgeschichte kommt, ist ausgelaufen. Da gibt es nur einen Weg hinauf: indem Sie mit den Füßen immer nach unten treten. Heute läuft es aber wie im Fußball. Wer wird von den Kollegen vom Platz getragen? – Der beste Spieler. So müssen Sie eine Firma führen. Sie kommen nicht hinauf, weil sie andere Leute hinunterstoßen. Ihr Team muss Sie hochheben und feiern, Ihr Team muss Sie wollen.
2017 werden Sie alle Ämter zurücklegen. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Fällt nicht... (denkt nach). Ich wollte im ersten Moment sagen: fällt nicht schwer. Natürlich ist es ein Einschnitt. Ich habe aber den Vorteil, viele andere Interessen zu haben. Ich habe eigene Firmen, bin in fünf Start-ups investiert, habe eine Kaviar-Farm (Anm.: namens Kasperskian). Ich bin im Board einer Designschule, bald im Board eines Headhunters, werde an Universitäten lehren.
Hier in Salzburg haben Sie viel aufgebaut, den Young Conductors Award geschaffen. Haben Sie Angst, dass das nach Ihnen zerstört wird?
Als ich Nestlé von Maucher (Anm.: sein Vorgänger) übernommen habe, hatte er ein Konzept, das ich anschließend geändert habe. Ich glaube, es ist das Anrecht, sogar die Verantwortung des Neuen, wieder frisch darüber nachzudenken, wie man weiter machen möchte. Wichtig für mich war, dass der neue Präsident den Vertrag in Salzburg bis 2018 unterschreibt. Damit ist eine gewisse Kontinuität gegeben. Was er dann macht, muss er selbst entscheiden. Das ist dann nicht mehr meine Sache.
Apropos Veränderungen: Was wird sich innerhalb des Nestlé -Konzerns jetzt ändern?
Die Strategie und die neue Orientierung für eine so große Firma werden in Dezennien festgeschrieben. Die Auswahl des neuen CEOs ist nur verständlich, wenn man die neue Ausrichtung kennt: nämlich Nestlé zum führenden Nutrition, Health and Wellnesskonzern zu machen.
Sie holen dafür einen CEO von außen, warum?
Weil wir unsere Strategie ändern. Diese Veränderung braucht Talente, die wir intern nicht haben. Er kommt aus dem Health-Sektor. Würden wir weiterhin ein Fast-moving-Consumer-Good-Unternehmen sein wollen, hätten wir jemanden aus unseren Reihen nehmen können. Aber: Keiner unserer Kandidaten hat die Erfahrung, die Ulf Schneider (Anm.: Ex-CEO von Fresenius) hat.
In internationalen Konzernen gibt es wenige Österreicher an der Spitze. Warum ist das so?
In den meisten internationalen Konzernen spielt die Nationalität keine Rolle. Die Frage ist: will man eine internationale Karriere machen? Ich glaube, da hat sich bei den Jungen viel geändert. Sie wollen das weniger, weil es einen großer Einsatz erfordert. Und wegen der doppelte Karrieren, wo beide Partner erfolgreich sein wollen. Ich glaube, früher haben wir wenig Rücksicht auf unsere Frauen genommen – volle Konzentration auf die Männerkarriere. Viele Paare leben heute die Doppelkarriere, verzichten deshalb auf die internationale Ausrichtung. Aber dann wird eine Weltkarriere schwierig.
Kommen Sie je zurück nach Österreich?
Nein, ich werden meinen Wohnsitz in der Schweiz behalten. Ich bin österreichischer Staatsbürger, habe nie eine andere Staatsbürgerschaft angenommen, das interessiert mich auch nicht. Aber ich lebe seit 1987 in der Schweiz, da ist auch meine gesamte Infrastruktur.
Ich höre, Sie investieren gerne. Ihr Tipp?
Da gibt’s nur einen: Nestlé. Ich habe während meiner gesamten Karriere jeden Bonus in Aktien bekommen und nie eine einzige verkauft.
Was machen Sie jetzt damit?
Na, behalten! Ich bin einer der größten individuellen Investoren von Nestlé. Ich habe etwa vier Millionen Aktien – und gebe nichts her.
Der Kärntner Peter Brabeck-Letmathe, Jahrgang 1944, studierte Welthandel in Wien und stieg 1968 bei Nestlé Österreich ein. Seine Karriere verlief steil: er war Marketingdirektor in Chile, CEO in Ecuador und Venezuela, übersiedelte 1987 nach Vevey (Schweiz) und übernahm weltweite Funktionen. 1997 wählte man ihn ins Board of Directors und am selben Tag zum CEO. Bis 2008 war Brabeck-Letmathe weltweiter Nestlé-Boss, seit 2005 ist er Präsident des Verwaltungsrats. Er ist zudem im Board von L'Oréal, Exxon, Delta Topco (Formel 1), dem World Economic Forum, etc.. 2017 tritt er ab. Peter Brabeck ist verheiratet und hat drei Kinder. Er investiert in Start-ups, hat eine Kaviar-Farm, schreibt Bücher und liebt die Berge. 2014 erkrankte er an Krebs, er gilt heute als geheilt.