Der Job ist kein Spiel
Von Sandra Baierl
Sie ist 89 Jahre alt und hat immer noch kein Lebensmotto. Elfriede Ott sagt, man müsse im Leben „einfach alles überstehen können, auch wenn die Dinge oft sehr schwierig sind.“ In ihrem Landhaus in Brunn am Gebirge bei Wien sitzt sie am Beckenrand des kleinen Pools und redet mit uns über die Schauspielerei. „Das wollen viele werden – wenn die wüssten, was da auf sie zukommt“, sagt sie. Mit ihrem Adoptivsohn Goran David führt sie eine Schauspielschule in Wien. Seit 25 Jahren unterrichtet Elfriede Ott.
KURIER: Sind Ihre Schüler heute so wie vor 25 Jahren?
Elfriede Ott: Die sind komplett anders. Woran wir alle leiden, ist diese Hetzjagd, dieser ewige Stress, diese vielen Dinge, die auf einen einstürzen – die Jungen sind heute mehr abgelenkt. Ich glaube, ich kann sagen, sie konzentrieren sich weniger. In diesem Beruf ist es so: Wenn man nicht wirklich brennt und voll dabei ist, hat nichts einen Sinn.
Aber ist das nicht in jedem Beruf so?
Nein. Beim Schauspiel gilt das noch viel mehr. Wenn alle diese Jungen wüssten, was beim Theater auf sie wartet, würde sich die Zahl derer, die das werden wollen, stark dezimieren.
Wie ist die Realität des Theaters?
Gut zu sein, sich durchzusetzen und engagiert zu werden, ist nicht leicht. Dass das erfüllt wird, ist selten und Absagen können einen ziemlich zurückwerfen. Es ist auch schwierig, mit Menschen zusammenarbeiten zu müssen, die für einen nicht richtig sind. Regisseure, die einem nicht guttun. Man muss sich oft arrangieren. Und oft lässt man sich runtermachen und glaubt immer weniger an sich. Man braucht in diesem Beruf immer irgendwen, der einen auffängt, der einen unterstützt.
Wer war das bei Ihnen?
Hans Weigel. Meine richtige Karriere – das war er. Man muss kämpfen und jemanden haben, der an einen glaubt. Ein Alleingang ist unmöglich.
Mussten Sie viel um Ihre Engagements kämpfen?
Nein, eigentlich nicht. Weil sich alles bei mir ergeben hat. Aber das war auch eine andere Zeit. Nur ein Mal hatte ich für wenige Jahre kein Engagement. Ich war verzweifelt. Ich war damals mit dem Ernst Waldbrunn verheiratet und der hat nichts von mir gehalten. Es war furchtbar. Er hat mich verwöhnt, aber zugleich hat er mich fertiggemacht. Aber ohne private Stütze geht es nicht. Der Hans Weigel hat mich aus allem herausgeholt.
War es früher einfacher, den Durchbruch zu schaffen?
Es ist heute so schwierig geworden. Ich wundere mich immer, wenn meine Schüler unterkommen. Ich weiß nicht, wie sie das machen.
Was ist das für eine Zeit, in der wir heute leben?
Eine, in der die Kunst nicht weit oben steht. Sie hat nicht den Stellenwert, den sie haben müsste. Wir leben im Zeitalter der Wirtschaft. Die Wirtschaft müsste die Kunst erhalten. Sie tut es aber nicht.
Welche Vision haben Ihre Schauspielschüler? Schätzen sie ihre Chancen realistisch ein?
Ich glaube, sie haben alle tolle Fantasien und stellen sich weiß Gott was vor. Sie glauben alle, sie werden ein Filmstar – aber kommen bald drauf, dass es hart ist, Texte zu lernen, Proben zu haben und sich täglich zu verausgaben. Man gibt in diesem Beruf alles, was man hat, und darf auch nie lockerlassen. Man spielt jeden Abend dasselbe, mo-na-te-lang. Und man darf nicht nachgeben, weil das Publikum spürt das sofort.
War das für Sie die größte Herausforderung am Beruf?
Das ist alles kein Lercherl, es ist einfach wahnsinnig anstrengend, immer alles zu geben.
Ihre Schüler sind Anfang 20...
... manche sind in diesem Alter noch Kinder, manche sind schon sehr erwachsen.
... die sind 70 Jahre jünger als Sie ...
... und ich habe nicht das Gefühl, dass es so viel ist. Eine Zeit lang haben meine Schüler ungeheuren Respekt vor mir. Ich versuche aber, das ins richtige Lot zu bringen. Eigentlich bin ich mit ihnen befreundet. Ich bin mehr Mentor als ein strenger Lehrer.
Erkennen Sie schnell, ob jemand Talent hat?
Ich glaube, ich habe einen Spürsinn dafür. Ich erkenne, ob jemand das kann und will.
Was haben die Talentierten?
Charisma. Bei mir müsste eine Person überhaupt nicht vorsprechen. Ich erkenne sofort, ob jemand Raumpräsenz hat. Ob eine Person wirkt, ob man hinschaut, weil da etwas ist. Manche Menschen kommen in einen Raum und man merkt gar nicht, dass sie da sind.
Wieso haben manche Raumpräsenz und andere nicht?
Das müssen Sie den lieben Gott fragen.
Welche Voraussetzung muss jeder Schauspieler unbedingt mitbringen?
Den großen Wunsch, spielen zu wollen. Diesen Wunsch hat man meistens schon das ganze Leben lang. Ein guter Schauspieler muss die Fähigkeit haben, etwas aufzunehmen. Muss wissen, was ein Dialog ist. Auf der anderen Seite muss eine Person nicht schön sein. Ich bin oft froh, wenn jemand kommt, der nicht schön ist. Ein bisschen dicker, mit Ecken im Gesicht. Das ist manchmal viel interessanter, weil mehr Persönlichkeit da ist.
Ihre Ausbildung dauert drei Jahre. Welche Entwicklung gehen die Schüler in dieser Zeit?
Eine ungeheuerliche. In der Persönlichkeit, in ihrem Können. Das kann man sich gar nicht vorstellen.
Sie unterrichten immer den ersten Jahrgang.
Ja, ich versuche, sie so weit zu bringen, dass sie im Stande sind, mit einem Regisseur zu arbeiten. Und ich bringe sie mit interessanten Menschen aus der Branche zusammen.
Was versuchen Sie, den Jungen mitzugeben?
Selbstbewusstsein. Dass sie sich nicht unterkriegen lassen. Und ich erkläre ihnen, was eine dichterische Sprache ist. Die Sprache liegt oft im Argen, sie haben keine Varietät mehr: Sie können keine Dialekte, nicht mal mehr Wienerisch. Oder sie reden nur Dialekt und können kein Hochdeutsch. Schauspieler müssen eine reine Sprache sprechen können. Natürlich, kein geschraubtes Reden.
Lernen auch Sie etwas dabei?
Das tut man doch immer. Man kriegt etwas, nämlich Inspiration und neue Gedanken, die man vorher nicht kannte.
Was sagen Sie Absolventen, die in die Schauspielwelt hinausgehen?
Ich sage ihnen: Es ist arg. Es ist schwierig. Und dass sie vorsprechen gehen sollen, so oft sie können. Und dass sie sich von Intendanten nicht fertigmachen lassen sollen.
Wenn Sie auf Ihre Schauspielkarriere zurückblicken...
... dann hab’ ich immer gespielt. Bis vor zwei Jahren, als ich die Stiegen nicht mehr gehen konnte. Aber es wird wieder besser, ich kann wieder stehen. Ich mache mit meinen Schülern einen Molière – es ist so schwierig, aber sie sind gut, die können das.
Geboren 1925 in Wien, debütierte Elfriede Ott nach privatem Schauspielunterricht 1944 am Wiener Burgtheater. Sie war 60 Jahre Mitglied im Theater in der Josefstadt, hatte ungezählte Engagements im In- und Ausland, im Theater und beim Film.
Die Schauspielakademie von Elfriede Ott bietet eine 3-jährige Ausbildung mit staatlich anerkannter Prüfung. Die Module umfassen bis zu 35 Wochenstunden. Die Kosten:
4890 € pro Jahr. Die nächste Aufnahmeprüfung findet am 4./5. Juli statt. Adresse: Zaunergasse 1–3, 1030 Wien. Anmeldung über die Homepage www.ottstudio.at.