Sanitäter im Einsatz: So emotional ist der Alltag der Rettungskräfte
Von Diana Dauer
Ein Martinshorn ertönt. Die Quelle des bekannten „Tatütata“ aber ist kein Rettungswagen. Es ist ein Telefon, das der Notfallsanitäter Rafal Bis in der Hand hält. Ein Einsatz fürs Team des ABZ1.
Einsatzbereit
Drei Sanitäter des Arbeiter Samariterbunds (ASB) springen auf. Das Team besteht heute aus Notfallsanitäter Rafal Bis, Rettungssanitäter und Einsatzfahrzeuglenker Savas Isikli und der neu dazugekommenen Rettungssanitäterin Martina Lechner.
Gerade noch hat Lechner den ersten Bissen ihres Apfels genommen. Das Team kam erst vor Kurzem von seinem zweiten Einsatz des Tages zurück.
Wenige Minuten nach dem Notruf sitzen die drei Sanitäter wieder in ihrem Wagen. Lechner isst den Apfel am Weg zum Einsatzort. Isikli lenkt den schweren Einsatzwagen unter Blaulicht über Schienen und rote Ampeln.
Von der ABS-Zentrale im 15. Wiener Gemeindebezirk nach Favoriten zur Adresse, von der der Notruf abgesetzt wurde, braucht er keine Navigationshilfe. Die meisten Adressen kennt er.
Vor 13 Jahren hat der ausgebildete Bautechniker als Rettungssanitäter begonnen, aus dem Zivildienst wurde sein Beruf. „Man kann diesen Job nicht lange machen, wenn man ihn nicht liebt. Ich liebe ihn“, sagt Isikli.
Auch Bis ist schon seit 20 Jahren dabei. Seit einigen Jahren ist er auch Notfallsanitäter. Er trägt die größte Verantwortung im Dreiergespann. Er protokolliert, macht eine erste Einschätzung der Notfallslage. „Wir machen die wichtige Erstarbeit, damit die Ärzte im Krankenhaus ihre Arbeit gut machen können“, erklärt Bis.
„Aber man weiß nie, was einen erwartet. Manchmal spaziert einem ein Patient entgegen, der eigentlich einen Herzstillstand hatte. Manchmal muss man jemanden reanimieren, der nur wegen Bauchschmerzen angerufen hat.“
Man weiß nie, was kommt
Das Team kommt an, alle springen heraus. Jeder Handgriff sitzt. Alle wissen, was sie wann zu tun haben. Es ist ein Delta-Code. „Das hat eine recht hohe Notfalleinschätzung“, erklärt die junge Sanitäterin. Die Patientin ist eine ältere Dame mit Sprachstörungen zwischen den Atemzügen und starker Atemnot. Könnte es Corona sein?
„Jeder von uns hat eine Vermutung, aber wir sprechen vor der Untersuchung nicht darüber“, erklären die Sanitäter. Es könnte sie beeinflussen. Bei der Patientin wird zu allererst ein Coronaverdacht ausgeschlossen.
Sie ist alkoholisiert, nervös und psychisch instabil. In der Wohnung steht der Rauch, die Zigarette im Aschenbecher ist gerade erst ausgedämpft worden. Die Sanitäter wissen, wie sie mit der Patientin umgehen müssen, finden sofort den richtigen Ton. „Das Wichtigste ist, dass man schnell einen Draht zu den Patienten findet“, erklärt Isikli.
Sie sehen viel. Neben ihrer Kompetenz als Sanitäter ist in diesem Job vor allem das Zwischenmenschliche gefragt. „Das ist einer der sozialsten Berufe überhaupt“, erklärt Isikli.
Mehrmals am Tag dringen sie in die intimsten Lebenswelten der Patienten ein. Erfahren deren größte Sorgen, erleben deren größtes Leid. „Die schlimmen Verletzungen, den Menschen, den man nicht reanimieren konnte, obwohl man es versucht hat – damit kommt man nach einiger Zeit klar. Was einem wirklich nachhängt, ist, dass dahinter Angehörige und Schicksale stehen. Und wenn es um Kinder geht“, erklären die beiden erfahrenen Sanitäter.
Abgebrüht ist in diesem Wagen auch nach vielen Jahren und hunderten Einsätzen niemand. Bei einer weiteren Einlieferung erfährt das Team von ABZ1, dass ihr erster Patient des Tages kein Corona hat. Das Team jubelt. Eine kleine Freude zwischendurch, die ehrlicher nicht sein könnte.