„Das ist keine leichte Aufgabe“
Mittwoch. Erster offizieller Arbeitstag der neuen ÖH-Bundesvertretung. Erster Punkt in der Agenda: das erste Interview zu viert. Noch ist man Presse nicht so gewohnt, man will sich ihr nur geschlossen präsentieren, Einzelinterviews sind unerwünscht. Philip Flacke, Lucia Grabetz, Meryl Haas und Magdalena Goldinger über ihre neuen Funktionen.
KURIER: Das neue Vorsitz-Team setzt auf Einigkeit an der Spitze – dabei besteht die Koalition aus vier Fraktionen. In welchen Punkten sind Sie, was den Fahrplan für die kommenden zwei Jahre betrifft, einer Meinung?
Meryl Haas: Wir haben das Commitment, dass wir gemeinsam linke progressive Politik machen und uns für einen freien, offenen Hochschulzugang ohne Studiengebühren einsetzen.
Philip Flacke: Es soll im Studium nicht nur um eine Berufsausbildung gehen. Man sollte sich auch persönlich weiterentwickeln, eine kritische Haltung einnehmen und die Dinge reflektiert sehen.
Was bedeutet das konkret?
Meryl Haas: Dass ich mir auf der Uni etwa selber meine Schwerpunkte legen kann und keinen strikten, vorgegebenen Plan habe.
Lucia Grabetz: Hochschulzugang hat immer noch viel mit sozialer Klasse zu tun – das System der Studiengebühren entspricht überhaupt nicht der Lebensrealität der Studierenden, es reißt ein Loch in ihr Budget und ist für manche sogar existenzbedrohend.
Bleiben Studiengebühren an den Fachhochschulen?
Magdalena Goldinger: Ziel ist es, dass sie nicht bleiben, aber nicht alle FH heben Studiengebühren ein. In der Hochschulfinanzierung wären sie auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Welche Fraktions-Einstellungen sind in Ihrer Koalition komplett unterschiedlich?
Philip Flacke: Ich muss ehrlich sagen, ich sehe wenige Sachen, die ich nur allein für meine Fraktion vertrete. Ich verstehe das hier als Teamarbeit, wir sind eine Vierer-Koalition, dementsprechend natürlich divers eingestellt. Das ist unsere Stärke – wir bilden ein großes Ganzes und können ein breites Spektrum an Studierenden vertreten.
Das ist sehr diplomatisch. Keine groben Differenzen?
Philip Flacke: Wir haben eben unterschiedliche Schwerpunkte, im Großen und Ganzen eint uns viel, sonst wären wir keine Koalition.
Was konnten Sie vom alten ÖH-Vorsitz Team lernen?
Lucia Grabetz: Dass, wenn man sich mit einem Konzept an einen Verhandlungstisch setzt, auch etwas Sinnvolles dabei herauskommt – wie etwa bei der HSG-Novelle.
Das ehemalige Vorsitzteam hat es aber nicht geschafft, viele Studierende für die Wahl zu mobilisieren.
Magdalena Goldinger: Es gab da einerseits ein strukturelles Problem: Wir hatten das erste Mal eine Direktwahl, es waren das erste Mal auch Fachhochschulen und Privatuniversitäten dabei – berufsbegleitenden Studierenden ist es extrem schwer gefallen zur Wahl zu gehen, da sie teilweise nur von Freitag bis Sonntag an den Hochschulen sind. Natürlich muss man aber auch präsenter werden und den Studierenden zeigen, was die ÖH ist und dass man wählen gehen soll.
An der geringen Wahlbeteiligung hat aber nun auch die Briefwahl nichts geändert. Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner ist der Meinung, die maue emotionalen Bindung der Studierenden an die ÖH sei schuld. Packen Sie die falschen Themen an?
Philip Flacke: Die Wahlbeteiligung geht allgemein zurück. Dann setzt Minister Mitterlehner wohl auch auf die falschen Themen. Man muss wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, warum Wählen wichtig ist. Wenn ich mit den Studierenden einzeln darüber rede, bin ich ziemlich sicher, dass sie danach wählen gehen – weil dann haben sie’s verstanden. Du erreichst aber nicht jeden Studierenden. Wir müssen jetzt das Profil der Bundes-ÖH schärfen.
Jetzt haben Sie zwei Jahre Zeit, das zu tun.
Philip Flacke: (lacht) Das wird keine leichte Aufgabe.
Die Spitze der Studierendenvertretung bleibt links, obwohl die konservative AG die meisten Mandate bekommen hat. Ignoriert man mit dieser Koalition nicht den Wunsch der Studierenden?
Philip Flacke: Hier sitzt eine Mehrheitskoalition. Es ist der Wählerwille, der gesagt hat: Das sind die Fraktionen, die zusammenarbeiten sollen, das ist der Auftrag, der gekommen ist. Sich dann als andere Fraktion hinzustellen und zu sagen: Die Mehrheit hat aber uns gewählt – naja. Das ist in der „großen“ Politik dasselbe. Es ist nicht immer die stärkste Fraktion, die am Ende den Bundeskanzler stellt.
Wie liefen die Verhandlungen?
Philip Flacke: Es war etwas anstrengend, wir haben sehr, sehr lange verhandelt. Aber am Ende sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen.
Die FLÖ hat bei der Wahl den vierten Platz erreicht, dennoch stellt sie den Vorsitz. Warum?
Philip Flacke: Ich war in Klagenfurt schon im Vorsitz und ich verstehe das hier auch als Team-Aufgabe. Es geht mir nicht darum, wer Vorsitz eins, zwei und drei hat, wir sehen uns als gleichberechtigte Partner.
Aber wie kam es dazu, dass Sie Vorsitzender werden?
Philip Flacke: Wir hatten eine gute Verhandlungsposition.
Wie realistisch ist es, dass Minister Mitterlehner die neuen Zugangsbeschränkungen, etwa für Chemie, durchsetzt?
Meryl Haas: Es gibt den Paragraf 14h, der vorsieht, dass die Regierung das einfach so machen kann – und nun schrittweise immer neue Zugangsbeschränkungen kommen können. Der Minister argumentiert: „Wir haben kein Geld, jetzt müssen wir eben die Plätze beschränken.“ Das ist nicht der Ansatz, den wir verfolgen. Denn: Österreich hat Geld. Es muss es nur in die Bildung investieren. Das Commitment dafür ist nur scheinbar nicht da. Leider.
Philip Flacke: Man hat fast eine halbe Million Euro in eine Kampagne für MINT-Fächer gesteckt und auf einmal sagt man: Ach, das Ganze ist zu erfolgreich, jetzt beschränken wir es wieder. Das ist ein Irrsinn. Es wird nicht verstanden, dass der Staat durch Bildungsinvestition ein Mehrfaches zurück bekommt. Das ist keine kurzfristige Investition mit einem Outcome in der gleichen Wahlperiode, sondern eine längerfristige – die für Politiker unattraktiv erscheint.
Neue Zugangsbeschränkungen werden also kommen?
Meryl Haas: Wir werden uns mit dem Minister an einen Tisch setzen und sagen, dass das für uns nicht geht.
Hat die ÖH die Macht, so etwas abzuwenden?
Meryl Haas: Sicher. Wir sind die offizielle Vertretung der Studierenden. Der Minister nimmt die Exekutive ernst. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass man miteinander reden kann, auch wenn die politischen Ansichten unterschiedlich sind.
Ist der ÖH-Vorstand ab jetzt Ihr Fulltime-Job?
Lucia Grabetz: Heute (Mittwoch, Anm.) ist ja unser allererster, offizieller Tag. Die meisten von uns waren schon vorher in Studierendenvertretungen – und wissen daher, dass das in Wahrheit mehr als ein Fulltime-Job ist.
Was auf Kosten Ihres Studiums gehen wird…
Einstimmig: Ja.
Meryl Haas: Aber genau auch dafür ist auch das HSG da: Dass Studierendenvertreter diese Arbeit im Rahmen ihres Studiums angerechnet bekommen können oder etwa die Familienbeihilfe verlängert wird.
Ab sofort stehen Sie zwei Jahre lang in der Öffentlichkeit. Von wem werden Sie dann eigentlich gebrieft? Von der Mutterpartei?
Lucia Grabetz: Wir haben an der ÖH ein Presseteam, mit dem die Zusammenarbeit gut funktioniert. Dadurch, dass wir in einer Koalition sind, werden wir im Vorsitzteam intern sehr viel diskutieren und die Werte von unseren Fraktionen mitdenken und daraus eine Medienstrategie entwickeln.
Philip Flacke: Wir haben ja auch einen Koalitionsvertrag, wo wir uns schon einmal auf Eckpunkte dieser Koalition geeinigt haben. Wenn du das – so wie wir über Wochen – einmal verhandelt hast, bist du in der Thematik schon drinnen und weißt ungefähr, welche Äußerungen für die anderen auch funktionieren.
Geht man am Abend gemeinsam auch mal auf ein Bier? Oder bleibt es bei der Politik?
Philip Flacke: Ich glaube, dass es ohne gar nicht geht. Man muss auch auf einer persönlichen Ebene miteinander können, sonst würde das nicht funktionieren. Man muss aber aufpassen, dass das nicht zu viel wird (lacht). Wir haben auch schon gescherzt, dass wir in eine Vierer-WG ziehen.
Und?
Philip Flacke: Es hat uns jeder davon abgeraten.
Neue ÖH-Spitze, alter Kurs: Alles zur WahlFakten. Später einmal Politiker werden will aus der neuen ÖH-Spitze keiner. Dennoch macht das am 26. 6. 2015 präsentierte, neue Bundes ÖH-Vorsitzteam die kommenden zwei Jahre Studi-Politik.
Kursänderung gibt es keine, es bleibt bei einer linken Viererkoalition aus FLÖ, der GRAS, der VSStÖ und der FEST. Die Wahlbeteiligung lag heuer bei geringen 25,8 Prozent. Obwohl die Aktionsgemeinschaft die meisten (16) Mandate erhalten hat, schloss die Linke eine Koalition. Sie hat zusammen 29 der 55 Mandate im Studierendenparlament.
Das neue Team
Neuer ÖH-Chef wird der Deutsche Philip Flacke (FLÖ). Er ist 35 Jahre alt und studiert im achten Semester Psychologie an der Uni Klagenfurt. Vor seinem Studium stand er bereits sieben Jahre lang als Softwareentwickler im Berufsleben. Nach einem Jahr soll seine Stellvertreterin Lucia Grabetz (VSStÖ) den Vorsitz von Flacke übernehmen. Grabetz ist 24 Jahre und studiert seit 2009, zuerst Jus (abgebrochen) und jetzt Deutsch und Französisch auf Lehramt an der Uni Wien.
Auch Meryl Haas (27) von der GRAS wurde Stellvertreterin. Sie studiert Molekulare Medizin an der Uni Wien im „fortgeschrittenen Semester“, wie sie sagt. Magdalena Goldinger, 28, wird neue Generalsekretärin. Sie studiert Mathematik und Geschichte auf Lehramt NMS an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Krems.