Bullshit-Jobs: Wenn der Sinn im Job entgleitet
Der Gedanke kommt abends in der Stille vorm Einschlafen oder beim Small Talk, wenn der neue Bekannte nach dem Job fragt. „Hat das, was ich tue, Sinn oder sitze ich unnötig Zeit ab, in einem Job, den die Welt in Wahrheit gar nicht braucht?“
Umfragen legen nahe, dass 30 bis 50 Prozent der erwerbstätigen Westeuropäer glauben, dass sie mit ihrer Tätigkeit keinen sinnvollen Beitrag leisten. Bullshit-Jobs: So nennt der New Yorker Anthropologe und Anarchist David Graeber das Phänomen einer bezahlten Anstellung, die in einem Ausmaß sinnlos und unnötig ist, „dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann“, auch wenn er sich verpflichtet fühle, das zu kaschieren. Betroffen seien Bankiers, PR-Gurus, Wirtschaftsanwälte und andere vermeintliche Top-Positionen. Nützlichkeit und gutes Gehalt stünden sich paradoxerweise oft diametral gegenüber, analysiert Graeber.
Warum wir arbeiten
Doch die These enthält eine Unschärfe: Über fehlenden Sinn zu lamentieren, ist ein Phänomen der Oberschicht. Eine amerikanische Studie hat ergeben, dass für das Gros der Akademiker Sinn und Begeisterung im Job Priorität haben, während Nicht-Akademiker schon froh sind, wenn sie überhaupt Arbeit und solides Einkommen haben. Und in Österreich? Laut dem aktuellen „Kompass Neue Arbeitswelt“ geht zwar jeder Zweite des Geldes wegen arbeiten, doch ist 87 Prozent der befragten Österreicher wichtig, dass ihre Aufgabe Sinn hat.
Dass genau den immer mehr Menschen im Job vermissen, registriert auch Tatjana Schnell, Psychologin für empirische Sinnforschung der Uni Innsbruck. Gleichzeitig beobachtet sie, dass jene Arbeitnehmer, die Motivation aus der Sinnhaftigkeit im Job schöpfen, das Geld für ihre Leistung weniger einfordern. Schlechtere Bezahlung sei die Folge. Andere seien zwar gut bezahlt, hätten den Sinn aber schlicht aus den Augen verloren, verweist sie auf ein Experiment des Organisationspsychologen Adam Grant. Der brachte 2007 Callcenter-Fundraiser an einer Uni mit einem Stipendiaten zusammen, der dank der von ihnen lukrierten Spenden studieren konnte. Konfrontiert mit der Wirkung ihrer Arbeit ging die Produktivität der Spendensammler anschließend stark nach oben.
Neugierig sein
Sinn sei etwas sehr Abstraktes, so Schnell. „In der Wissenschaft machen wir ihn an vier Parametern fest: Bedeutsamkeit, Kohärenz, Orientierung und Dazugehörigkeit.“ Um Sinnkonflikten vorzubeugen empfiehlt die Professorin jungen Menschen, schon in der Phase von Ausbildungs- und Berufswahl offen zu sein und sich auszuprobieren. Eltern und Lehrer seien gefordert, sie beim sich Hinterfragen zu unterstützen und Neugier zu fördern.
Erwachsenen, die sich des Sinns ihres Jobs nicht sicher sind, rät sie zu reflektieren: „Welche Wirkung hat mein Handeln? Passt mein Beruf zu meinen Fähigkeiten? Ist er mit meinen Werten vereinbar? Und werde ich in meiner Tätigkeit wahrgenommen und wertgeschätzt?“ Wer so die Ursache seines Sinnkonflikts ermittelt, könne dann gezielt reagieren: Das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen, die eigene Arbeitszeit reduzieren oder den Job wechseln. Alternativen? „Sinn ist nicht auf den Job beschränkt. Manche finden ihn abseits der Arbeit.“ Etwa in einem Ehrenamt, einem Hobby oder in familiären Aufgaben.
David Graeber: "Bullshit-Jobber leiden"
Anthropologe David Graeber ist mit seinem Buch auf Europa-Tour. Der KURIER hat den humorvollen Provokateur in der Hauptbücherei Wien getroffen.
KURIER: Haben Sie den Sinn des Jobs infrage gestellt, als Sie einst Anthropologe wurden?
David Graeber: Mir war zu Beginn nicht bewusst, dass Wissen und Wissenschaft in unserer Gesellschaft vielfach keinen Wert haben. Viele Berufsakademiker leiden darunter, werden zynisch. Ich habe meinen Weg bewusst so eingeschlagen, dass ich es zum Glück nicht geworden bin.
Bullshit-Job oder gar kein Job: Was ist übler?
Schwierig. Bullshit-Jobber sind ja quasi bezahlt arbeitslos. Was schlimmer ist, hängt wohl von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Arbeitslose leiden, weil die Gesellschaft sie abwertet. Bullshit-Jobber genießen zwar Ansehen, leiden aber, weil sie es als unverdient empfinden. Mit bedingungslosen Grundeinkommen ginge es Arbeitslosen besser.
Braucht es wirklich über 400 Seiten, um das Konzept der Bullshit-Jobs zu erklären?
Klar ist das Buch umfangreicher als der Essay aus 2013. Es belegt die ursprüngliche These mit Geschichten von Betroffenen. So viele Menschen haben dieses Problem, über das sie bisher nicht reden konnten. Das Buch gibt ihnen eine Stimme. Andere können sich darin wiederfinden. Ich gehe im Buch auch noch mehr den Ursachen und den implizierten politischen Zusammenhängen auf den Grund und bemühe mich um Lösungsansätze.
Buchtipp: Kapitalismuskritiker David Graeber hinterfragt anhand zahlreicher Beispiele, wie eine Gesellschaft, die nach Gewinnmaximierung strebt, eine Vielzahl nutzloser Jobs schaffen konnte. Im Klett-Cotta Verlag erschienen, 26 Euro.