Wirtschaft/Karriere

"Bin kein Schönwetter-Fahrer"

Es seien die umweltbewussten Kunden, die seinen Berufsstand erhalten, sein Lebensgefühl in einen Traum-Job verwandelten. Nikolaus "Laus" Bertl schlängelt sich seit 20 Jahren mit seinem grünen Rad durch den Wiener Verkehr und liefert dabei bis zu 30 Kilogramm schwere Pakete aus. Sein Job ist mehr Einstellung als Anstellung, das Unternehmen, für das er radelt, mehr Familie als Firma.

Wie viele Kilometer legen Sie täglich zurück?

Zwischen 80 und 100 Kilometern in acht Stunden Dienst. Es sind oft viele kurze Aufträge – wir fahren aber auch schon mal nach Klosterneuburg.

Wie funktioniert Ihr Job?

Es gibt einen Disponenten im Büro, die Fahrer sind über ganz Wien verteilt. Die Kunden rufen hier mit ihrer Bestellung an und der Disponent schaut dann, welchem Fahrer dieser Kunde am besten ins Routing passt. Wir schauen, dass Fahrer unterwegs auch Pakete aufnehmen, ausladen und nicht nur mit einem Paket hin und her fahren. Heute ist die Kommunikation einfach, früher hatten wir noch Pager.

Am Rad, unter Zeitdruck, im Wiener Straßenverkehr – hartes Pflaster?

Wir fahren da, wo es am schnellsten geht – gefährden natürlich niemanden. Wien ist aber eine sehr radunfreundliche Stadt. Es gibt schnellen, aggressiven Autoverkehr – nur in Osteuropa ist das Fahrverhalten noch unfreundlicher.

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Schon mal gestürzt?

Ja, beim Heimfahren – nicht während der Schicht. Schlüsselbein und auch mal die Rippe gebrochen. Der Asphalt ist hart, er gibt nicht nach. Aber bei einem Sturz mit 40 km/h bergab hat man Glück, wenn nur eine Rippe bricht.

Wie liefert man ein 100 Kilo schweres Paket aus?

Mit einem Lastenrad. Da ist vorne eine große Box montiert, da gehen 150 Kilo rein. Wir fahren normalerweise aber mit fünf bis höchstens 30 Kilo im Rucksack.

Regen, Sturm, Glatteis: Fahren Sie bei jedem Wetter?

Ja. Im Sommer sind mir 40 Grad fast unangenehmer als 5 Grad im Winter. Ich bin kein Schönwetter-Fahrer.

Warum haben alle Fahrradboten Spitznamen?

Das entsteht einfach irgendwie. Wir haben bei Hermes lustigerweise viele Tiernamen, wie „Panda“, „Tiga“ oder „Igl“. Die meisten Fahrer haben eigene Spitznamen wegen des Funks, zur Wiedererkennung.

Haben Sie Rituale?

In der Früh schaue ich, wie das Wetter wird, ob ich vielleicht eine Regenjacke brauche. Ich bedanke mich auch manchmal abends bei meinem Fahrrad, dass es mich gut heimgebracht hat.

Was fasziniert Sie seit 20 Jahren am Job?

Die Freiheit, der Sport, die Abwechslung, die Menschen. Nicht in einem Büro zu sitzen, neun Stunden am Tag.

Was ist das Härteste daran?

Die Aggression der Autofahrer und das oft chaotische Wetter. Bei plötzlichem Hagel kann man nur mehr lachen.

Wollten Sie immer schon Fahrradbote werden?

Kann sein, dass ich Feuerwehrmann werden wollte.

Wie viel verdienen Sie?

Es ist ungefähr das Gehalt einer Putzfrau. Ich arbeite aber auch keine 40 Stunden. Mit einem anspruchslosen Leben kann man gut davon leben.

Wie lange möchten Sie noch fahren ?

Ich habe schon öfter probiert aufzuhören, weil ich ja studiert habe und Menschen helfen will. Im Herbst möchte ich dann endlich in die Entwicklungshilfe nach Asien gehen. Da gibt es viel Arbeit.

Zur Person: Nikolaus Bertl

Lebenslauf 1967 in Wien geboren, entschied sich Bertl nach der Matura für ein Handelswissenschaften-Studium, wechselte dann zur Studienrichtung Sozial- und Kulturanthropologie. Neben dem Studium arbeitete der Sportbegeisterte als Labormitarbeiter, Gerüstbauer oder als Security. Bereits damals radelte er nebenbei Pakete aus. Er ist Mitbegründer des Botendienstes „GO“, seit 1998 fährt er für Hermes.

Hermes in Zahlen 21 Jahre fahren Hermes’ Boten und Botinnen durch Wiener Straßen. Das Unternehmen ist als Abspaltung des ersten Wiener Fahrradboten-Dienstes „Veloce“ entstanden.50 Prozent beträgt der Frauenanteil bei Hermes. Es gibt keine Vorgesetzten, alle Entscheidungen werden basisdemokratisch getroffen. Alle Boten bekommen den gleichen Stundenlohn.