86-jährige YouTuberin: „Ruhestand wäre langweilig“
„Guten Abend, hier ist die Marmeladenoma“, sagt Helga Sofie Josefa mit besonnener Stimme in die Kamera. Vor ihr ein aufgeschlagenes Märchenbuch, hinter ihr auf der Pinnwand Zeichnungen und Briefe ihrer Fans. Die 86-jährige Deutsche wird gerade als ältester YouTube-Star gehandelt, mehr als 191.000 Abonnenten hören ihr zu, wenn sie die hektische Welt aussperrt und in ihr gemütliches Wohnzimmer lädt, um von Hänsel und Gretel zu erzählen. Für ihren Kanal „Marmeladenoma“, den sie mit ihrem 15-jährigen Enkel Janik produziert, wurde sie schon öfter ausgezeichnet. Gefragt nach der passenden Anrede während des KURIER-Interviews, erklärt sie: „Ich bin die Marmeladenoma. Und die Oma darf man duzen.“
KURIER: Marmeladenoma, warum erzählst du Märchen im Internet?
Marmeladenoma: Es gibt eine Sehnsucht nach Märchen, einen Hunger nach Frieden, kommt mir vor. Die Gesellschaft ist heute kalt und egoistisch geworden, das ist unbestreitbar. Wenn Sie auf der Straße gehen, sehen Sie Menschen, die in ihre Handys starren und das sorgt für eine Isoliertheit. Jeder rennt und tut und hat gar keine Zeit mehr.
Die Märchen bringen die Menschen wieder runter?
Ich glaube schon. Die Leute hören gerne Märchen und auch Geschichten über das Leben, wie es früher einmal war. Das ist, vor allem für die jungen Leute, heute ja schon fast wie eine Fata Morgana.
Die meisten deiner Altersgenossen können wenig mit YouTube anfangen. Wie kamst du dazu?
Das war komplett Janiks Idee. Er war immer oft bei mir, wir haben tagelang Lego-Landschaften gebaut. Eines Tages war er zu alt für Lego. Er saß dann oft an seinem PC. Und hat sich überlegt, dass er trotzdem gerne was mit mir machen möchte. Ich sagte nur: „Nö, Janik, ich und das Internet!“ Aber er hat den Vorschlag gemacht, dass ich Märchen vorlese – was ich auch mein ganzes Leben gerne gemacht habe.
Anfangs hast du nur für deinen Enkel Janik gelesen, jetzt sehen dir fast 200.000 zu. Was sagt er dazu?
Er findet es wunderbar. Wir freuen uns beide jede Woche immer auf den Samstag. Wir fangen freitagabends an, die Videos zu konzipieren. Am Samstag wird dann alles aufgenommen und um 20 Uhr sind wir dann live.
Wie war das erste Mal online?
Ein klein bisschen holprig. Ich dachte auch nicht, dass wir den Channel so lang haben, dass die Welt bald wieder was anderes will. Wir waren ein kleiner Kanal aber dann kam Gronkh auf unsere Seite (ein deutscher Computerspielproduzent und YouTuber, Anm.) und hat damit eine Lawine losgetreten.
Gefällt dir eigentlich die Generation-YouTube?
Ich finde sie ungeheuer interessant. Für mich ist das eine neue Welt. Aber ich maße mir nicht an, über andere zu urteilen.
Mit 86 Jahren verbringen die meisten ihre Tage nicht Videos produzierend und Preise entgegennehmend. Was motiviert dich dazu?
Ja, darüber denke auch ich viel nach. Ich glaube, dass ich das Leben, das ich wegen des Krieges und den vielen Schicksalsschlägen in meiner Familie nie führen konnte, jetzt endlich führen kann. Ich hole gerade alles nach. Viele meiner Bekannten sind im Altersheim, wohl versorgt. Wenn ich aber so leben würde, wäre ich todunglücklich, mir wäre das zu langweilig. Ich mache, so weit es meine Gesundheit zulässt, noch sehr viel selbst. Mein Motiv ist: Lieber alles durchstehen und daraus Kraft gewinnen als sich gehen zu lassen.
Wie hat dein Arbeitsleben vor YouTube ausgesehen?
In meiner Jugend, nach dem Kriegsende, gab es keine Lehrstellen und so hab ich nie wirklich einen Beruf erlernt. Eigentlich wollte ich studieren, mein Traum war es, Lehrerin zu werden. Aber es kam anders und ich habe mit 18 geheiratet. Natürlich musste ich auch dann irgendwie Geld verdienen. Also habe ich Kinder gehütet, Kuscheltiere genäht, habe für Studenten Abschlussarbeiten abgetippt. Aber ich habe eine große Gabe: Ich kann immer Geld verdienen.
Auch mit dem YouTube-Channel?
Am Anfang hat er uns Geld gekostet. Jetzt haben wir aber einige Preise bekommen und wenn wir ins Fernsehen eingeladen werden, bekommen wir auch eine Gage. Jetzt haben wir mit Werbeeinschaltungen auf YouTube begonnen und der Janik hat Logos für Tassen und T-Shirts gemacht. Was er damit verdient, lasse ich ihm aber.