K. L. Schweisfurth: Vom Fleisch-Tycoon zum Bauern
Von Simone Hoepke
Irgendwann hatte der ehemalige Fleisch-Industrielle Karl Ludwig Schweisfurth "die Schnauze voll". 1984 verkaufte der einstige Präsident der europäischen Fleischwarenindustrie seine Fabriken – die insgesamt 25.000 Schweine und 4000 Rinder die Woche geschlachtet haben – in Bausch und Bogen und kehrte der Industrie "empört" den Rücken. "Weil die Tiere nur noch wie leblose Steine und die Mitarbeiter in den Fabriken immer mehr wie seelenlose Sklaven an den Fließbändern behandelt werden", sagt er. Er habe damals schon gespürt, dass alles unter dem Druck des Marktes und des Marktradikalismus in die falsche Richtung gehen würde.
Der heute 84-Jährige gründete eine Stiftung, die sich mit nachhaltiger Landwirtschaft beschäftigt und fing noch einmal ganz neu an. In der Nähe von München, als Biobauer mit einer Metzgerei, die arbeitet wie in den 1950er-Jahren. Mittlerweile hat er seine Herrmannsdorfer Landwerkstätten an seinen Sohn übergeben und erste Nachahmer in Deutschland, aber auch in Ländern wie Russland und Dänemark.
KURIER: Sie waren mit Ihren Herta-Werken einer der größten Fleischverarbeiter Europas. Wenn Sie so empört waren, warum haben Sie nicht in Ihren Fabriken etwas geändert?
Karl Ludwig Schweisfurth: Wenn man Teil des Systems ist, kann man nichts ändern. Würden Sie sich erlauben, etwas besser zu machen, ob in der Tierhaltung oder bei der Schlachtung, und dafür ein paar Cent mehr für das Fleisch verlangen, fliegen Sie aus den Supermärkten raus, weil sie zu teuer sind. Jeder kleine Bauer, jeder Schlachthofbesitzer, ist Gefangener in diesem System. Deswegen machen alle die Augen zu und weiter wie bisher. Eben, weil ihre Firmen sonst pleitegehen würden.
Was hat Sie dazu getrieben, Ihr Imperium zu verkaufen?
Meine Kinder, die kritische Fragen gestellt haben und den Betrieb nicht übernehmen wollten. Dann kamen Einkäufer der Handelsketten in meine Fabriken, sahen die Kunstwerke, die ich dort für meine Mitarbeiter ausgestellt hatte. Sie haben gesagt, ich solle billiger produzieren, statt Kunst in die Fabrik zu holen. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll.
Weil das System nicht mehr das selbe war?
Als ich Herta von meinem Vater übernommen habe, haben in den Fabriken noch Metzgermeister gearbeitet, die den ganzen Prozess – vom lebenden Tier bis zum Schneiden des Koteletts – verstanden haben. Heute stehen an den Fließbändern Menschen, die verdummen, weil sie tagein, tagaus nur noch einen Handgriff machen. Das ist hocheffizient, so kommt es zu billigen Lebensmittelpreisen. Aber kann es der Sinn des Fortschritts sein, dass wir nur noch doofe Tätigkeiten machen und keine Zusammenhänge mehr verstehen?
Ein Sinneswandel? Sie hatten ja selbst zuvor die Fließbänder in Ihre Fabriken gestellt …
Ich war lange technologiegläubig, ja. Ich habe in den 1950er-Jahren die industrialisierten Schlachthöfe mit all der Fließbändern in Chicago gesehen. Im Vergleich dazu kam mir unser Betrieb in Deutschland nahezu mittelalterlich vor. In meinen Fabriken war ich dann immer am neuesten Stand der Technik. Anfang der 1980er-Jahre kamen mir aber die ersten Zweifel. Alles musste immer noch billiger und schneller gehen, die Qualität begann zu leiden, das Handwerk und damit die Vielfalt waren verschwunden.
Können Sie der Fleischindustrie heute noch irgendetwas Positives abgewinnen?
Das industrielle System ist effizient und technisch perfekt. Lebensmittel sind heute so billig wie noch nie. Im Westen kann es sich fast jeder leisten, täglich Fleisch zu essen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt im Vergleich zum Stand von vor 100 Jahren. Aber, wie gesagt, es gibt auch die andere Seite der Medaille.
Was haben Sie mit Ihren Herrmannsdorfer Landwerkstätten besser gemacht?
Entscheidend für mich war, wieder zusammenzubringen, was wir in den letzten 50 Jahren durch Arbeitsteilung getrennt haben. Es gibt ja nur noch Spezialisten, die alles kreuz und quer über den Erdball transportieren. Das System ist undurchschaubar, das sorgt ja auch immer wieder für Skandale.
In Herrmannsdorf haben Sie eine Warmfleischmetzgerei? Was heißt das?
Das Tier wird wie früher schlachtwarm zerlegt und verarbeitet, ohne Zusatzstoffe. Das hat man vor 50 Jahren auch so gemacht, aber mit der Industrialisierung kam die Arbeitsteilung – schlachten, zerlegen und verarbeiten in unterschiedlichen Betrieben, oft Hunderte Kilometer entfernt. Fleisch wird überwiegend gekühlt transportiert. Es kommen Zusatzstoffe zum Einsatz, deren Langzeitwirkung wir noch gar nicht kennen. Das alles gibt es bei uns nicht. Außerdem gibt es bei uns kurze Wege vom Stall zur Schlachtung und keinen Stress für die Tiere, das steigert die Qualität.
Also alles anders von der Aufzucht bis zur Schlachtung?
Ja, wir machen die landwirtschaftliche Produktion, die Be- und Verarbeitung, die Vermarktung und Kommunikation. Das ist nötig, weil wir den Kunden erklären müssen, warum unsere Lebensmittel viel teurer sind als jene im Supermarkt. Am Anfang haben uns alle den Vogel gezeigt und gesagt, "ein Schnitzel ist doch ein Schnitzel, warum soll ich dafür mehr zahlen?". Es war vor 30 Jahren eine völlig verrückte Idee, so einen Betrieb hochzuziehen. Keine Bank hätte mir Geld gegeben, Brüssel keinen Cent Förderung.
Und heute sind genügend Menschen bereit, mehr für Qualität zu bezahlen?
Seit zwei Jahren beobachte ich einen Sinneswandel. In der BSE-Krise hatten die Menschen zwar Angst, krank zu werden, sie haben das System aber nicht grundsätzlich hinterfragt. Das ist heute anders. Die Menschen wissen, wie es in Tierfabriken zugeht. Viele wenden sich angewidert ab. Da ist eine Bewusstseinsänderung im Gange.
Projekte wie Herrmannsdorf haben Vorbildwirkung. Sind sie letztlich aber nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?
Es sind Leuchttürme.
Die Nachahmer finden?
Ein russischer Unternehmer hat einen Betrieb nach dem Vorbild Herrmannsdorf geschaffen, drei Autostunden von Moskau entfernt. Dasselbe hat ein ehemaliger Investmentbanker aus London in Dänemark gemacht. Dänemark ist eines der industrialisierten Länder der Welt, eine einzige Agrarfabrik. Im März habe ich die erste handwerkliche Warmfleischmetzgerei in ganz Skandinavien eingeweiht. Das Interesse war ungeheuer groß, egal, was das Fleisch kostet.
Klingt nach hohen Investitionen, die die wenigsten stemmen können …
Der einzelne Bauer, Käser, Metzger kann sie nicht stemmen, aber es bietet sich die altbewährte Genossenschaft an. Am besten unter Einbeziehung der Kunden, die sich beteiligen oder ein Darlehen geben und dafür Zinsen in Form von Lebensmitteln bekommen. Darin sehe ich einen gangbaren Weg in der Zukunft. Und das fängt jetzt langsam an. Das Ganze muss aber streng regional sein, das führt auch zur Wiederbelebung des Landes.
Viel Fleisch fürs Buch
Neuanfang Karl Ludwig Schweisfurth erzählt, was ihn in den 1950er-Jahren an Chicagos Fleischfabriken faszinierte, wie er zum Industriellen aufstieg und warum er letztlich alles verkaufte und neu anfing. Fleisch isst er heute nur noch, wenn er weiß, wie das Tier gelebt hat.
Der Metzger, der kein Fleisch mehr isst ... oekom, 208 Seiten, 22,95 Euro