Wirtschaft

Jobmisere: Wien sucht Hilfe in Hamburg und Berlin

Die befürchtete halbe Million wurde knapp verpasst, doch auch der Jänner brachte keine Entspannung auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Ende des Monats waren inklusive Schulungsteilnehmer rund 490.000 Personen beim AMS vorgemerkt – um 3,7 Prozent mehr als vor einem Jahr. Was auffällt: Während im Westen Österreichs die Arbeitslosigkeit leicht sinkt, spitzt sich die Job-Misere in Wien dramatisch zu.

Die Zahl der Arbeitslosen kletterte im Jahresabstand inkl. Schulungen um 8,7 Prozent auf 161.000 Betroffene. Damit ist jeder dritte Arbeitslose in Wien zu Hause. Die Arbeitslosenquote kletterte auf mehr als 15 Prozent.

Den größten Anstieg gab es bei den Ausländern mit 17 Prozent, wobei sich hier vor allem die Zunahme bei den arbeitslosen Flüchtlingen auswirkt. Immerhin 14.353 der insgesamt 21.575 arbeitslos gemeldeten Asylberechtigten sind in der Bundeshauptstadt gemeldet, die meisten davon Syrer und Afghanen. Insgesamt entfällt jeder zweite ausländische Arbeitslose, konkret 58.000 Personen, auf Wien.

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"Alle Problemlagen auf dem Arbeitsmarkt potenzieren sich derzeit bei uns", analysiert AMS-Wien-Chefin Petra Draxl im Gespräch mit dem KURIER. Als Hauptgründe nennt sie den anhaltend starken Arbeitskräftezuzug vor allem aus den osteuropäischen Nachbarländern, die fehlenden Qualifikationen bei den Jugendlichen, die Auswirkungen der Pensionsreform bei den Älteren sowie der aktuelle Flüchtlingszustrom. Trotz dieser Großstadtphänomene werde Wien arbeitsmarktpolitisch noch immer in den gleichen Topf geworfen wie die Kleinstädte Graz oder Linz, meint Draxl. "Wir müssen Wien aber mit Millionenstädten wie Berlin, Köln oder Hamburg vergleichen und von ihren Konzepten lernen."

Berlin glänzt

Im Gegensatz zu Wien glänzen die deutschen Metropolen derzeit mit selbst für Experten überraschend niedrigen Arbeitslosenquoten. Die Multikulti-Stadt Berlin etwa konnte mit gezielten Maßnahmen binnen zwei Jahren die Arbeitslosenquote von zwölf auf zehn Prozent drücken. In Hamburg lag sie zuletzt bei sieben Prozent, also nicht einmal halb so hoch wie in Wien.

Um sich anzusehen, wie das geht, reiste kürzlich eine AMS-Delegation gemeinsam mit Vertretern der Stadt Wien und des Sozialministeriums nach Deutschland. Beeindruckt zeigte sich Draxl vor allem von der engen Vernetzung von Bildungs-, Integrations- und Arbeitsmarktthemen. So haben Hamburg und Berlin eigene "Jugendberufsagenturen" eingerichtet, bei denen alle Fragen rund um den Übergang zwischen Schule und Beruf zusammenlaufen und erledigt werden können. Auch beim Thema Flüchtlinge "können wir uns einiges abschauen", meint Draxl. Deutschland kümmere sich in der Asylwerberphase "viel mehr" um die beruflichen Fähigkeiten und Deutschkenntnisse der Flüchtlinge. So könne auch früher vermittelt werden.

Bei den Langzeitarbeitslosen kann Deutschland freilich auch durch die umstrittenen Hartz-IV-Regelungen (1-Euro-Jobs) die Statistik drücken. Das AMS Wien weitet zur Bekämpfung der steigenden Langzeitarbeitslosigkeit die Lohn-Subvention für Unternehmen aus. Ab sofort gibt es Förderungen für alle Arbeitslosen, die mindestens zwölf Monate lang auf Arbeitsuche waren.

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Wien ist anders. Während die Arbeitslosigkeit im Westen sinkt und im übrigen Österreich zumindest stabil bleibt, schlittert die Bundeshauptstadt immer tiefer in die Misere. Das ist wenig überraschend: Die Stadt leidet unter drei speziellen Großstadtphänomenen: Langzeitarbeitslosigkeit, hoher Migrantenanteil und akute Bildungsdefizite. Dazu kommt noch eine exponierte geografische Lage, die seit der Ost-Öffnung den Verdrängungskampf vor allem im Niedriglohnsektor verschärft hat, und eine Pensionsreform, die ohne flankierende Maßnahmen beschlossen wurde.

Ein Sammelsurium an Problemen, die längst nicht mehr nur mit gewöhnlichen Job-Maßnahmen bewältigbar ist. Was die Themen Bildung, Migration und Integration anbelangt, ist Wien längst vergleichbar mit Metropolen wie Paris, London oder Berlin.

Die Politik muss endlich erkennen, dass Wien in puncto Arbeitsmarkt nicht gleich behandelt werden darf wie Rohrbach oder Amstetten. Großstädte ticken anders, hier muss Integrations-, Arbeits- und Sozialpolitik Hand in Hand gehen. Vorbild könnte hier das "Jobwunder" Berlin sein, wo ein ganzes Bündel an vernetzten Maßnahmen binnen zwei Jahren zu einem Rückgang der Arbeitslosenquote von zwölf auf zehn Prozent führte. Bei der Schaffung neuer Jobs lässt Berlin derzeit sogar alle anderen Bundesländer hinter sich. Eine Migrantenquote von 25 Prozent im öffentlichen Dienst, gezielte Förderung der dualen Ausbildung bei Migrantenkindern, ein "Aktionsprogramm Handwerk" und Jugendberufsagenturen für den Übergang Schule/Beruf sind nur vier Ideen, die nachahmenswert sein könnten.

Und: Während in Wien die politischen Streithanseln sich lieber gegenseitig für die Misere verantwortlich machen, ziehen in Berlin offenbar alle an einem Strang.