Wirtschaft

IWF-Chefin sieht Weltwirtschaft durch politisches Klima in Gefahr

Vor zwei Jahren noch verzeichneten 75 Prozent der Weltwirtschaft steigende Wachstumsraten - im Jahr 2019 dagegen verlangsamt sich das Wachstum in 70 Prozent der globalen Wirtschaft. Das Bild, das die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, da zeichnet, hat eine klare Aussage: Die globale Konjunktur ist an einem "heiklen Punkt" angekommen.

Weltwirtschaft an heiklem Punkt

"Das muss mit Sorgfalt gehandhabt werden", rief die IWF-Chefin am Dienstag bei einer Rede in Washington Politikern und Notenbankern in aller Welt zu. Das konjunkturelle Wetter in aller Welt sei "unbeständig" - auch wegen politischer Einflüsse, etwa durch den Brexit.

Wenige Stunden zuvor kam der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Roberto Azevedo, in Genf zu einem sehr ähnlichen Schluss. Angesichts von Strafzöllen und anderen Handelshemmnissen warnte er die politisch Verantwortlichen vor einem "historischen Fehler". Falsche Entscheidungen zum jetzigen Zeitpunkt könnten Auswirkungen für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität rund um die Welt haben.

Lagarde machte es auf der anderen Seite des Atlantiks noch etwas klarer: "Handelsschranken sind nicht die Antwort", sagte die Französin und fügte hinzu: "Niemand ist Sieger in einem Handelskrieg." Sie rief zu weltweiter Zusammenarbeit auf, etwa um Finanzmärkte zielgerichteter zu regulieren und rechtswidrige Geldflüsse zu unterbinden. Nicht zuletzt müssten auch globale Herausforderungen wie der Klimawandel gemeinsam geschultert werden.

Die Adresse ihres Appells, ausgesprochen in der US-Handelskammer in Washington, lag nicht weit entfernt: das Weiße Haus, wo US-Präsidenten Donald Trump und sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer ihre umstrittene "America-First"-Politik umsetzen.

Sollten die USA - wie für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit China angedroht - Sonderzölle auf alle Warenimporte aus China erheben, würde dies die Wirtschaftsleistung in den USA um 0,6 Prozentpunkte verringern - in China sogar um 1,5 Punkte, sagte Lagarde. Sie sprach von "selbst zugefügten Wunden".

China und die USA hatten sich zuletzt bemüht, ihren Handelsstreit beizulegen. Beide Länder haben sich gegenseitig mit Sonderzöllen überzogen, so dass inzwischen rund die Hälfte aller US-Einfuhren aus China mit zusätzlichen Zöllen belastet ist. Die USA drohen aber mit neuen Strafzöllen, wenn es keine Einigung gibt.

Wachstum könnte heuer schwächeln

Nach Einschätzung der WTO wird der Welthandel 2019 angesichts zahlreicher Unwägbarkeiten weniger zulegen. Die Organisation rechnet mit einem Wachstum des globalen Handelsvolumens um 2,6 Prozent, nach einem Plus von drei Prozent im vergangenen Jahr. Zuletzt war die WTO von einem Wachstum des Welthandels von 3,7 Prozent für dieses Jahr ausgegangen. Für 2020 sei mit einem Plus von drei Prozent zu rechnen.

"Der Welthandel wird 2019 und 2020 weiter starken Gegenwind spüren, nachdem er bereits 2018 aufgrund steigender handelspolitischer Spannungen und erhöhter wirtschaftlicher Ungewissheiten weniger stark als erwartet gewachsen ist", heißt es im WTO-Bericht. Eine Fortsetzung der Handelsstreitigkeiten bedeute einerseits das größte Risiko, eine Entspannung auf diesem Gebiet könne aber auch für eine positive Entwicklung sorgen.

Die Folge dessen, was die WTO in Genf aufzeigt, präsentiert Lagarde in Washington. Der Welthandel kann seine Rolle als Wachstumstreiber nicht erfüllen. Die Wachstumsgeschwindigkeit verlangsame sich weiter, sagte sie: "Und sie verlangsamt sich auf ganzer Linie." Zumindest wirkten sich die geduldigere Notenbankpolitik etwa in den USA und die stimulierende Geldpolitik in China positiv auf die Konjunktur aus.

IWF und Weltbank empfangen in der nächsten Woche in Washington die internationale Finanzelite zu ihrer Frühjahrstagung. Dann steht auch die Fortschreibung des Weltwirtschaftsberichtes an.

Besteuerung internationaler Konzerne

Lagarde sprach sich für eine internationale Vorgehensweise bei der Besteuerung von weltweit agierenden Konzernen aus. Großunternehmen seien noch immer in der Lage, ihre Besteuerung in Niedrigsteuerländer zu verlegen. Dadurch entgehen etwa Entwicklungs- und Schwellenländern Einnahmen von jährlich 200 Mrd. Dollar - Geld, das dringend für Investitionen in Infrastruktur oder in Arbeitskräfte benötigt werde.

Außerdem müsse die Korruption in aller Welt bekämpft werden. In zwei Dritteln aller Länder der Welt sei nach einem Index von Amnesty International der Kampf gegen Korruption nicht ausreichend. "Korruption kostet Wachstum", sagte Lagarde. Allein durch Bestechung werde die Weltwirtschaft jährlich mit 1,5 Billionen Dollar (1,3 Bill. Euro) belastet - zwei Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.