Wie werden wir in Zukunft wohnen?
„Es geht nicht mehr darum, wo wir leben, sondern wie“, sagt Oona Horx-Strathern. Die Trendforscherin des Zukunftsinstituts präsentierte kürzlich den neuen Home Report 2020. „Der physische Ort wird weniger wichtig, weil unsere Gesellschaft mobiler und flexibler geworden ist. Stattdessen möchten wir uns zu Hause fühlen – das kann überall sein.“
Oona Horx-Strathern hat ihre Wohnprognosen vor allem aus den zwölf gesellschaftlichen Megatrends wie Individualisierung, Mobilität, Urbanisierung, Neo-Ökologie, Silver Society und Konnektivität abgeleitet. „Trends erzeugen immer Gegentrends, was in Summe eine Synthese ergibt“, erklärt sie. Hier ihre wichtigsten Prognosen:
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Urbane Dörfer
Das „urbane, vertikale Dorf“ könnte so etwas wie der Gegentrend zur Urbanisierung sein. Die Sehnsucht der Stadtbewohner nach Ländlichkeit und dem Natürlichen, nach Gemeinschaft und Nähe wächst. Darum entstehen in vielen Städten gemeinschaftlich organisierte Wohnhäuser.
Ein Beispiel ist der Aqua Tower in Chicago, den die Architektin Jeanne Gang entworfen hat. Sie gilt als eine Pionierin des Vertical-Village-Konzepts und hat Wege gefunden, wie hunderte Bewohner in ihren Hochhausbauten zusammengebracht werden können. So werden etwa Balkone so angeordnet, dass die Nachbarn leichter ins Gespräch kommen – so wie früher im Dorf über den Gartenzaun getratscht wurde.
Die Ursprungsidee der vertikalen Dörfer geht übrigens auf den weltbekannten französischen Architekten Le Corbusier zurück: Von ihm stammt das Konzept „Unité d’Habitation“ (zu Deutsch: „Wohnmaschine“), bei dem Wohnungen und andere Funktionen der Stadt in einem Gebäude „gestapelt“ werden. Er plädierte für „vertikale Gartenstädte“. 1952 wurde solch ein Hochhaus in Marseille gebaut. Es dauerte also mehrere Jahrzehnte, bis sich derartig futuristische Ideen durchsetzten.
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Ein Trend namens „McLiving“
Wohnraum ist knapp, vor allem in den Großstädten. Da überrascht es wenig, dass Wohnraum immer kleiner wird. Micro-Apartments und Tiny Houses sind deshalb gefragt. Oona Horx-Strathern glaubt, dass diese Entwicklung weitergeht.
Allerdings: Es wird einen Punkt geben, an dem die tatsächlichen Vor- und Nachteile kritisch diskutiert werden müssen. Der britische Neurowissenschafter Dean Burnett hat in seinem Buch „The Happy Brain“ etwa angemerkt: „Es ist nicht so, dass wir nicht in kleineren Häusern leben können. Es ist nur schwieriger, in ihnen glücklich zu sein.“ Der Grund dafür ist, dass begrenzter Raum uns wie eine Falle vorkommt. Wenn Wohnraum zu klein ist, aktiviert das Gehirn unser Bedrohungserkennungssystem.
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Ordnung ist das halbe Leben
Man mag zu Aufräumguru Marie Kondo stehen, wie man will: „Besitz wird zunehmend als Ballast empfunden. Junge Menschen wollen vor allem in Erfahrungen, nicht in Dinge investieren,“ stellt Oona-Horx Strathern fest. „Dazu kommt, dass unsere Welt komplexer geworden ist, daher haben Menschen verstärkt das Bedürfnis, ihr Leben und ihre Dinge zu ordnen.“ Diesen Trend nennt Horx „Tidyism“, den Ordentlichkeitstrend.
Aus psychologischer Sicht helfen uns unsere Besitztümer aber, uns sicher zu fühlen und unsere Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Daher werden Menschen immer eine gewisse Zahl an Dingen besitzen wollen. Horx prognostiziert daher, dass – und das ist vor allem für die Immobilienwirtschaft interessant – Selfstorage-Lösungen und Räume für Dinge künftig noch stärker nachgefragt werden. Denn wenn Wohnungen immer kleiner werden, braucht es Platz für Dinge.
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Verbindungen schaffen
Verbindungen zu schaffen, und zwar gegen die grassierende Einsamkeit, ist ebenfalls ein Thema, das uns laut Oona Horx-Strathern künftig beschäftigen wird. Immerhin leben 45 Prozent der Bevölkerung in Großstädten wie Wien alleine. „Nicht das Alleine-Leben ist das Problem, sondern die soziale Isolation“, sagt Horx.
Es ist paradox: Eigentlich könnte man meinen, dass durch die vielen sozialen Medien Menschen miteinander verbunden werden.
„Ein Gemeinschaftsgefühl in Städten zu schaffen wird zu einer großen Herausforderung und zum entscheidenden Faktor für die Lebensqualität einer Stadt,“ sagt die Trendforscherin. „Aus diesem Grund müssen sich Kommunen stärker engagieren, um mit lokalen Angeboten oder Nachbarschaftsprojekten Menschen vor Ort zusammenzubringen.“