Streitthema: Stadtplanung
Von Ankica Nikolić
Christoph Mayrhofer:
"Der Kern unserer am Beispiel ,Hochhaus am Heumarkt‘ geäußerten Kritik betrifft weniger Einzelprojekte als vielmehr grundsätzliche Fragen der Stadtplanung. Wir sehen eine verstärkte Tendenz, Stadtplanung nicht mehr als vorausschauendes Schaffen von Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Stadtraums zu verstehen, sondern immer häufiger als Aushandeln der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung in Form von ,Deals‘ von Fall zu Fall. Anders ausgedrückt: es ist eine Kritik dagegen, die Entwicklung der Stadt nicht mehr zu planen, sondern zu verhandeln. Die Umwidmung – und das heißt die Änderung der Ausnutzbarkeit – von Grundstücken greift tief wie kaum etwas anderes in Eigentumsverhältnisse ein, weshalb das Baurecht keinen Zweifel daran lässt, dass eine rechtmäßige Widmungsänderung ausschließlich aus Gründen öffentlichen Interesses erfolgen darf.
Ob daher Umwidmungen, in denen nicht ein gesamtes Plangebiet, sondern im Wesentlichen einzelne Grundstücke abgeändert werden, in diesem Sinn überhaupt rechtmäßig sein können, ist zumindest fraglich. Um sie dennoch zu ermöglichen, hat man die Flächenwidmung in Wien in den letzten Jahren, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, tief greifend umgestaltet.
Zunächst wurden aus den fachlichen Grundlagen, auf die sich die zuständigen Behörden bei Umplanungen berufen, praktisch alle noch halbwegs verbindlichen Vorgaben beseitigt. Man kann beispielsweise Ausschlusszonen für Hochhäuser für richtig oder falsch halten, sie stellen eine für alle verbindliche Festlegung dar. Das ist für eine Stadtplanung, die möglichste Unverbindlichkeit anstrebt um alles von Fall zu Fall "aushandeln" zu können, hinderlich und wurde daher in dem Moment wo sie störte entfernt. In diesem Sinn ist eine ganze Fülle von Konzepten, Richtlinien und Masterplänen entstanden, die eines verbindet: sie sind gänzlich frei von Festlegungen, aber so umfangreich, dass man im Notfall immer eine Aussage findet, auf die man sich berufen kann.
Zwei wesentliche Maßnahmen bilden die Grundlagen des Paradigmenwechsels von der Stadtplanung zur Stadtaushandlung: Das eine ist die Einführung des Begriffs des ,öffentlichen Mehrwerts‘ in die Flächenwidmung. Ihm fällt die Aufgabe zu, in Prozessen der Aushandlung von Immobiliendeals den fehlenden Rahmen zur Wahrung des Gemeinwohls zu ersetzten. Wenn man konstatiert, dass ein Projekt Mehrwerte für die Öffentlichkeit bietet, ist alles Übrige frei verhandelbar, weil das öffentliche Interesse ja bereits aufgrund der Mehrwerte feststeht. Dass man unter dem Begriff praktisch alles verstehen kann, ist dabei von Nutzen. Dazu kommt die Einführung von städtebaulichen Verträgen, also der Möglichkeit für die Stadt, privatrechtliche Vereinbarungen mit Grundstückseigentümern auszuhandeln, bevor man die begehrte Widmung erlässt: Ihr bekommt eure Wunschwidmung, die Stadt eine Gegenleistung. Die Stadt wird damit allerdings vom demokratisch legitimierten Entscheidungsträger zum Handelspartner unter Stakeholdern, der vom Organ der hoheitlichen Verwaltung zum Träger privatrechtlicher Vereinbarungen degeneriert.
Die Beseitigung jedweder verbindlichen Regelungen in der Stadtplanung, der Verzicht auf vorausschauende Planung, so unperfekt sie auch immer sein mag, sehen wir als eine Bedrohung jener Idee von Stadt, die unsere europäische Gesellschaft geprägt hat. Es könnte auch sein, dass wir sie bereits verloren haben."
Hans Jörg Ulreich:
" Wien und seine Bewohner, aber allen voran die Politik, müssen sich daran gewöhnen, denn aufhalten lässt es sich schlichtweg nicht mehr: die Stadt wächst zu einer echten Metropole heran.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind an diese Entwicklung alles andere als angepasst. Die Wiener Flächenwidmung ist nicht darauf ausgerichtet. Das gehört natürlich dringend geändert und so ist der Forderungskatalog unserer Branche ein elendslanger Weg, mindestens so lange wie der bis zu einer tatsächlichen Veränderung der rechtlichen Grundlagen. Der Weg über den Fachbeirat ist zwar kein optimaler aufgrund oft langatmiger Entscheidungswege, aber im Moment der einzig mögliche.Aber: Selbst bei einem klaren politischen ,Pro-Bauen-Bekenntnis‘ und dessen rechtlicher Verankerung muss es – auch im Sinne der verfassungsrechtlich garantierten Baufreiheit über das Eigentumsrecht – weiterhin Spielmöglichkeiten und damit Diskussionsgremien geben und Raum für Individualität in der Planung bleiben. Unsere Branche ist schließlich der Profi in der Immobilienentwicklung.
Es muss auch Schluss sein, Wohnbauprojekte mit zweierlei Maß zu messen: Innerstädtische Projekte mit teuren Wohnungen schaffen genauso Gemeinwohl, wenn auch in einem anderen Bezug. Den Zielen der Bauordnung – wie ,Sicherstellung der zeitgemäßen Rahmenbedingungen für die Stellung Wiens als Bundeshauptstadt, Standort internationaler Einrichtungen und Organisationen, als Konferenz- und Wirtschaftsstandort sowie Sicherstellung der zeitgemäßen Rahmenbedingungen für den Fremdenverkehr‘ – entsprechen diese Projekte allemal. Und letztendlich verdient der Staat bitte auch noch am Gewinn zu 50 Prozent mit.
Die Branche ist mit aktuellen Lösungen nur insofern zufrieden, als dass es keine besseren gibt. Wir wollen ein ,Pro-Bauen-Bekenntnis‘ in der Flächenwidmung und übergeordnete, vereinfachte Bauverfahren, die Anrainerproteste auf Sinnhaftigkeit prüfen. Bei Design, Höhe, Breite, dort wo es das Stadtbild hergibt, muss diesen aber eine klare Absage erteilt werden. In einer Zeit, in der es überall an Wohnraum fehlt, und zwar in allen Preiskategorien, dürfen nicht einzelne Anrainerproteste wegen Aussichtverlust oder Designdifferenzen ein für Menschen wichtiges, Arbeitsplätze schaffendes Bauprojekt verhindern. Bis dahin sind Diskussionen und rasche Entscheidungen mit dem Fachbeirat unerlässlich. Aber selbst bei modernster Flächenwidmung und neuem rechtlichem Rahmen – werden wir immer Raum für individuelle Planungsspielräume benötigen.
Stadtplanung darf nicht ausschließlich in die öffentliche Hand gelegt werden, sie muss im Einzelfall in Abstimmung mit dem Bauherren, der als Immobilienentwickler und Eigentümer Trends und Anforderungen optimal kennt, erfolgen. Die Kritik der anderen erachten wir wie die aktuelle Flächenwidmung als schlicht unzeitgemäß. Die Argumentationsführung der Kritiker mehr noch als verfassungswidrig und als grundsätzlich illusorisch. Eine Stadt zukunftsträchtig zu entwickeln braucht Feingefühl, individuellen Handlungsspielraum und den Mut für – zunächst vielleicht – unpopuläre Bauwerke. Wir bauen privat zwei Drittel des Wiener Wohnraums und kundenorientierte, erfolgreiche Immobilienentwicklung ist die zentrale Aufgabe unserer Branche. Es ist unser gutes Recht, mitzuentwickeln.
Viele Meisterwerke waren anfangs umstritten. Und ja, es gibt auch Fehlgriffe – doch auch das hält eine echte Stadt aus. Sie geht nur dann kaputt, wenn man den Einzug der Moderne und den Zeitgeist im Keim erstickt, weil sich die Verantwortlichen mit dem Kleingeist gemeinsam zu Tode fürchten und Zukunft nicht ver-, sondern gar nicht bauen."