Streit mit den Nachbarn
Von Ursula Horvath
Wenn sich Mieter über ihre Rechte und Pflichten informieren wollen, können sie das Mietrechtsgesetz (MRG) studieren. Aber wo schaut man nach, wenn es Probleme mit dem Nachbarn gibt? Die Antwort ist leider gar nicht so einfach. Denn ein eigenes Nachbarschaftsrecht gibt es nicht. Je nach konkreter Fragestellung kommen ganz unterschiedliche Gesetze und Verordnungen zur Anwendung. Bestimmungen über Grenzen, Wegedienstbarkeiten oder Unterlassangsansprüche gegen Immissionen vom Nachbargrundstück findet man zum Beispiel im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB). Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) regelt das Verhältnis der Eigentümer, also der Nachbarn, untereinander. Bestimmungen über den Mindestabstand zwischen Gebäuden sind in den verschiedenen Bauordnungen der Bundesländer festgehalten. Im "Rechtsinformationssystem des Bundes" unter www.ris.bka.gv.at kann man Gesetzestexte studieren. Auch höchstgerichtliche Entscheidungen kann man im RIS nachlesen.
Rasenmähen und Klavierspielen
An Sonn- und Feiertagen gilt das rund um die Uhr. Regelungen dazu finden sich oft in Verordnungen auf Gemeindeebene. Doch wann ist laut zu laut? Darüber gehen die Meinungen auseinander. „Als Nachbar muss man eine Immission nicht hinnehmen, wenn sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet und die ortsübliche Benützung des eigenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt“, sagt Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt und Autor von „Mein Nachbar nervt“. Ist die Poolparty nebenan zu laut, kann man sich mit einer Anzeige bei der Polizei wehren. Die Beamten entscheiden vor Ort, ob der Wirbel das ortsübliche Maß übersteigt. Wenn ja, wird eine Geldstrafe verhängt. In anderen Fällen ist es sinnvoller, die Hilfe des Gerichts an Anspruch zu nehmen – etwa, wenn die Nachbarwohnung ständig als Proberaum zweckentfremdet wird.
Praxisbeispiel
Zwei Urteile des Obersten Gerichtshofs zeigen jedoch deutlich, dass es immer auf den Einzelfall ankommt: Eine Konzertpianistin übt in ihrer Wohnung in Simmering bis zu sechs Stunden täglich, auch am Wochenende. Ihr Nachbar ist ein selbstständiger Unternehmensberater und arbeitet zum Teil zu Hause. Seine Frau ist Ärztin und macht regelmäßig Nachtdienste. Sie muss daher immer wieder tagsüber schlafen. Die besonderen Umstände berücksichtigend, hat der OGH ausgesprochen, dass das Klavierspielen lediglich im Ausmaß von ein bis eineinhalb Stunden zulässig ist.
In einem anderen Fall hat der OGH entschieden, dass zwar musizieren im Ausmaß von mehr als zwei Stunden unüblich ist, die Studentin in einem Mietshaus im achten Bezirk aber (außerhalb der Ruhezeiten) bis zu vier Stunden täglich üben darf, weil die ortsübliche Benützung der Nachbarwohnungen dadurch nicht eingeschränkt wird.
Grill und Zigarre
Viel diskutiert wurde in den vergangenen Jahren die Frage, ob man auf dem eigenen Balkon jederzeit eine Zigarre genießen darf. Um dicke Luft zu vermeiden müssen Raucher und Nichtraucher aufeinander Rücksicht nehmen. Das bedeutet auch, dass man einem Raucher sein Laster nicht zur Gänze verbieten kann.
Praxisbeispiel
Vor Gericht landete dieser Fall: Der Mieter im siebten Stock fühlt sich vom Mieter im sechsten Stock gestört. Dieser ist Autor, arbeitet viel zu Hause und raucht täglich (auch mitten in der Nacht) Zigarren auf seinem Balkon. Der aufsteigende Rauch zieht oben durchs offene Fenster. Der Nichtraucher klagte auf Unterlassung. Das Gericht gab diesem Begehren teilweise statt. In den Nachtstunden darf nicht mehr auf dem Balkon gequalmt werden. Tagsüber darf der Beklagte zwar weiterhin rauchen, dem Kläger muss es aber möglich sein zu lüften. Um einen Interessensausgleich zu erzielen, muss der Autor auf die üblichen Essens- und Ruhezeiten Rücksicht nehmen und darf daher zwischen 8 und 10, zwischen 12 und 15 und zwischen 18 und 20 Uhr nicht mehr auf seinem Balkon rauchen.
Kinder und Tiere
Auch Haustiere erhitzen immer wieder die Gemüter. „Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land gilt kurzes Hundegebell als ortsüblich. Stundenlanges Heulen muss man nicht hinnehmen“, erklärt Wohnrechtsexperte Weiser. Ob ein Hahn krähen oder ein Frosch quaken darf, hängt ebenfalls von der Frage der Ortsüblichkeit ab.
Praxisbeispiel
Eine Klage hat nicht immer Erfolg: Frau S. fühlt sich durch das Quaken der Frösche und Kröten im Biotop des Nachbarn gestört und klagt auf Unterlassung. Weil die Tiere als gefährdete Arten unter Naturschutz stehen, könne er den Teich nicht zuschütten, argumentiert der Nachbar. Ruhe oder Umweltschutz – was ist wichtiger? Der OGH hat die Klage abgewiesen, weil es in der Siedlung auch einen Badeteich gibt und daher das Quaken von zugezogenen Fröschen als ortsüblich angesehen werden muss.
Falsche Grenze
Ein guter Zaun verhindert manchen Streit, heißt es. Manchmal ist jedoch gerade die Grenze der Grund für Konflikte. Wer ein Haus kauft, sollte daher ganz genau kontrollieren, ob die Pläne mit der Realität übereinstimmen. Hat der Nachbar still und leise ein Stückchen abgezweigt, kann man eine Klage auf Beseitigung bzw. Wiederherstellung des früheren Zustandes einbringen.
Praxisbeispiel
Die Frage, welche Einwirkungen von Pflanzen zulässig sind, wird von den Gerichten unterschiedlich beantwortet. Im Garten von Frau H. stehen einige Rotbuchen, die im Herbst ihre Blätter verlieren und die Dachrinne ihrer Nachbarin verstopfen. Da die Damen zu keiner Lösung kommen, landet der Fall vor Gericht. Weil man übliche Einwirkungen durch Pflanzen hinnehmen muss, wird die Klage auf Unterlassung abgewiesen. Der OGH hat außerdem ausgesprochen, dass eine gelegentliche Reinigung der Dachrinne den Nachbarn zumutbar ist.
Anders haben die Gerichte in diesem Fall entschieden: Frau K. kann die kahle Feuermauer, die ihr Grundstück von dem ihrer Nachbarin trennt, nicht mehr sehen und pflanzt in ihrem Garten Veitschi, der sich an der Mauer emporrankt. Ihre Nachbarin klagt auf Beseitigung der Kletterpflanzen – und bekommt Recht. Frau K. muss die gesamte Pflanze entfernen.
Unzumutbare Aktionen
Ist das Zusammenleben unzumutbar, können die Bewohner eines Mehrparteienhauses auch drastische Schritte setzen. „In besonders schwerwiegenden Fällen haben Wohnungseigentümer die Möglichkeit, einen Störenfried aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen“, sagt Weiser. „Die Verfehlung muss allerdings schwerwiegend sein und längere Zeit andauern.“ Eine Ausschlussklage ist etwa möglich, wenn ein Miteigentümer andere Bewohner oder allgemeine Teile des Hauses schädigt oder seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Das Gericht könnte dann die Versteigerung des Wohnungseigentumsobjektes verfügen. Ein solches Verfahren ist nicht leicht zu gewinnen und sollte daher nicht leichtfertig angestrebt werden.
Fällt ein Mieter durch unleidliches Verhalten auf, können sich die Nachbarn an dessen Vermieter wenden. Dieser kann gerichtlich kündigen, wenn sich sein Mieter besonders rücksichtslos verhält, wenn es zu Drohungen oder sogar tätlichen Angriffen kommt.
Praxisbeispiel
Die Gerichte müssen sich auch mit heiklen Fragen befassen: Frau G. hat seit vielen Jahren ein massives Alkoholproblem. Sie beschimpft die anderen Bewohner, verrichtet ihre Notdurft im Stiegenhaus und vergisst immer wieder, den Gasherd abzudrehen. Alle paar Tage müssen deswegen Polizei und Feuerwehr anrücken. Den Nachbarn hat die Wohnungseigentümerin zuerst noch leid getan, doch mittlerweile liegen die Nerven blank. Als ihr Verhalten immer aggressiver wird, beschließen die anderen, eine Ausschlussklage einzubringen. Sie werden damit wohl Erfolg haben.