Höhere Hürden für Frühpensionen
Michaela H. arbeitet seit 30 Jahren als Verkäuferin in einem Modegeschäft in Wels. Fast täglich denkt die nicht einmal 50-Jährige an ihren Ruhestand. "Ich habe mir schon genau ausgerechnet, wann ich in Altersteilzeit gehen kann", sagt sie. Ihren Chef freut das weniger. Er schätzt die erfahrene Mitarbeiterin sehr und fürchtet, keinen gleichwertigen Ersatz zu finden.
Schauplatzwechsel: Ein internationaler Industriekonzern will aus Kostengründen seine Wiener Niederlassung verkleinern. Der Personalchef schickt als erste Maßnahme allen älteren Mitarbeitern einen Brief mit dem Vorschlag, sie sollten möglichst in Frühpension gehen. Eine Reihe dieser Mitarbeiter nimmt nach Verhandlungen und dem Zusatzangebot eines Sozialplans das Offert an.
"Es ist eine unheilige Allianz gegenüber dem Pensionssystem", sagt Thomas Url, Pensionsexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut. Auch Martin Gleitsmann, Sozialexperte der Wirtschaftskammer betont das: "Frühpensionen sind meist Deals zwischen Firmen und Arbeitnehmern." Losgetreten wurde die Debatte von Veit Sorger. Im KURIER-Interview sprach der soeben abgetretene Präsident der Industriellenvereinigung gestern davon, dass Mitarbeiter ab 50 von der Pension schwärmen würden.
Laut Gleitsmann kündigen Unternehmen Ältere, weil sie mehr kosten als Junge, und Beschäftigte wollen in den Ruhestand, um Zeit für ihre Hobbys zu haben. Das Pensionssystem könne dies bald nicht mehr finanzieren, meint Gleitsmann.
Das Problem der teuren älteren Arbeitnehmer, das in Österreich besonders stark ausgeprägt ist, entschärft sich nur sehr langsam. "In allen Kollektivvertragsverhandlungen wird versucht, die Lohnkurve zu verflachen", sagt Gleitsmann. Änderungen gelten aber nur für Neuverträge. Für den WKO-Experten hätten alle Verschärfungen, die es bisher gegeben habe, kaum Wirkung gezeigt. "Noch immer führen alle Wege in die Frühpension. Wird ein Weg verengt, geht ein anderer auf", ärgert sich Gleitsmann.
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Verschärfungen
Ein Weg könnte die kürzlich beschlossene Strafe von 150 Euro sein , die ein Betrieb zahlen muss, wenn er einen älteren Arbeitnehmer kündigt. "Diese Prämie kann man steigern oder nach dem Alter gliedern", sagt WIFO-Spezialist Url. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Betriebe, die ältere Mitarbeiter vor die Tür setzen, höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. In Skandinavien funktioniere das ganz gut.
Als weitere Option nennt Url schlicht die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für ältere Mitarbeiter – nach dem von Sozialminister Rudolf Hundstorfer ausgegeben Motto "Menschen aktivieren statt pensionieren."
AK-Präsident Herbert Tumpel verteidigt die Arbeitnehmer: "Sie gehen nicht in Frühpension, weil sie nicht mehr wollen, sondern weil sie nicht mehr arbeiten können." Der große Druck in heimischen Firmen führe früher zu gesundheitlichen Problemen. Ältere bekämen viel zu wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sagt Tumpel.
Gleitsmann ist überzeugt, dass sich die Wirtschaft darauf einstellen müsse, dass 60-Jährige im Berufsleben noch voll mitspielen. Alle Untersuchungen hätten gezeigt, dass Menschen, die im Arbeitsprozess blieben, länger leben. "Arbeit ist auch Sinn stiftend", betont Gleitsmann.
"Beide Seiten müssen umdenken. Es wird von falschen Vorstellungen ausgegangen", meint Gertrude Aubauer, Vize-Chefin des ÖVP-Senionrenbundes. Weder sei die Pension ein Paradies. Noch seien ältere Arbeitnehmer nur teuer. Sie brächten aufgrund ihrer Erfahrung viel. Die Gewerkschaft solle aufhören, die Arbeitnehmer zu beraten, wie sie schneller in Pension gehen können.
Veränderungen in Richtung höheres Pensionsantrittsalter sind in Österreich in Gange – wenn auch nur langsam. 2011 gingen mit 37.000 Menschen um 3,9 Prozent weniger in Frühpension als 2010. In den ersten vier Monaten 2012 betrug der Rückgang bereits 16,4 Prozent.
Arbeitsmarkt wird "reifer"
Im EU-Vergleich liegt Österreich mit einem durchschnittlichen Pensionsantrittsalter von 60,8 Jahren im Mittelfeld. Frauen gehen im Schnitt mit 59,4 Jahren in Pension, Männer mit 62,6 Jahren. Bei der Invaliditätspension liegt das Durchschnittsalter bei den Neuzugängen bei 52,3 Jahren.
Der Alterspyramide wegen steigt die Zahl der über 50-Jährigen Arbeitskräfte in den nächsten Jahren kräftig an. Weil immer mehr Ältere nachrücken, holt Österreich bei der Beschäftigung Älterer im EU-Vergleich quasi automatisch auf. Gut zwei Drittel des – rein statistischen – Beschäftigungszuwachses entfiel in den vergangenen Monaten auf die Gruppe der 50 plus. Zum Teil auch deshalb, weil in dieser Altersgruppe weniger vorzeitig in Pension gehen. Die Kehrseite: Auch die Arbeitslosigkeit in der Gruppe der über 50-Jährigen nimmt zu.
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