Wirtschaft

Großindustrie droht abzuwandern

In Österreich geht die Angst vor einer schleichenden Abwanderung der Industrie um. Aktuelle Fälle wie die Großinvestition der voestalpine in den USA lassen dies zumindest befürchten. Und je attraktiver die Pakete aus Steuervorteilen, Lohnsubventionen und niedrigen Energiekosten sind, die beispielsweise US-Bundesstaaten wie Texas für ausländische Investoren schnüren, desto dringlicher werden Überlegungen zu einer Neuformulierung der europäischen Industriepolitik.

Österreich ist dank seiner intakten industriellen Basis relativ besser durch die Krise gekommen als andere EU-Staaten, bestätigten Experten wie WIFO-Chef Karl Aiginger. Sein Credo lautet: „Industriepolitik hat heute wieder Top-Priorität“ und müsse von der Bildung, über die Forschung bis zur Wettbewerbs- und Handelspolitik reichen.

Hierzulande beträgt der sogenannte „Manufacturing Share“, also der Anteil der Industrieproduktion an der jährlichen Wirtschaftsleistung, laut EU-Berechnung noch gute 18,7 Prozent. Nach österreichischer Rechenmethode sind es sogar 22,5 Prozent. In Frankreich etwa habe die heftig gefürchtete Entindustrialisierung den Produktionsanteil am BIP schon auf zehn Prozent gedrückt, erinnert Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung. Neumayer: „Das ist ein Riesen-Thema in Frankreich. 700.000 bis 800.000 Industriejobs gingen dort in den letzten Jahren verloren.“

Die Industriellenvereinigung in Wien hat dazu ein Papier mit Schwesterverbänden aus Kroatien, Tschechien, Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Slowenien erarbeitet. Es wurde den beiden zuständigen EU-Kommissaren Tajani (Industrie) und Oettinger (Energie) vorgelegt und soll bis zum Sommer in greifbare Ergebnisse umgesetzt werden.

Steuern

In Österreich selbst sei eine Steuerstrukturreform vorrangig, sagt Neumayer. Insbesondere der Faktor Arbeit müsse entlastet werden. Der Eingangssteuersatz gehöre von derzeit 36,5 auf zehn Prozent gesenkt, aber auch die hohen Lohnnebenkosten müssten runter. „Die Arbeit muss günstiger werden und insgesamt natürlich viel flexibler“, sagt der Industrievertreter. Daneben gelte es die Energiekosten im Auge zu behalten, beispielsweise beim Emissionshandel. Dank des günstigen Schiefergases und des funktionierenden Wettbewerbs liegen die Gaskosten in den USA um ein Drittel bis ein Fünftel unter den europäischen Preisen. Beim Strom rangieren die US-Preise um die Hälfte unter dem EU-Niveau.

Neumayer: „Wir haben die Entwicklung in Europa nach wie vor in der Hand. Aber wir stehen im massiven Wettbewerb und dürfen die Standortpolitik keinesfalls vernachlässigen.“ Neben der Arbeitskostenfrage seien die Attraktivität der Forschungslandschaft, die Qualifikation der Arbeitskräfte sowie moderne Infrastruktur und weniger Bürokratie für die Betriebe essenziell. Geschützt und gestärkt gehörten die heutigen Leitbetriebe, denn sie würden für Abertausende kleine und mittelgroße Zulieferbetriebe eine Art „Schutzfunktion“ ausüben.

Last but not least müsse diese Industriepolitik mit den Nachbarländern im Osten und Südosten besser koordiniert werden. „Wir haben als Top-Investor in der Region Mittel- und Osteuropa höchstes Interesse an einer gemeinsamen Industriepolitik. Und Österreich – dabei vor allem Wien – könne dafür eine Drehscheibe sein.

Die Rückkehr der USA zur industriellen Weltmacht ist erklärtes Ziel der Regierung Obama. Der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt (BIP), zuletzt nur noch rund zwölf Prozent, soll deutlich gesteigert und damit allein in den nächsten Jahren zwei bis drei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Zutaten, um dieses Ziel zu erreichen, sind im Wesentlichen drei Faktoren: Billige Energie, eine relativ schwache Währung sowie im Vergleich zu Europa günstige Lohnkosten. Vor allem die niedrigen Öl- und Gaspreise locken europäische Industriebetriebe über den Teich. Grund dafür ist der massiv geförderte, aber auch in den USA höchst umstrittene Abbau von Schiefergas und Schieferöl (Fracking). Die USA wollen dadurch weitgehend Energie-unabhängig werden. Für europäische Industrieunternehmen ist aber auch die physische Nähe zu wichtigen Kunden, wie etwa die US-Autoindustrie, ausschlaggebend für die Verlagerung von Investitionen.