Wirtschaft

Experte: Regierung vertuscht Misere mit der Lehre

Den bedrohlichen Rückgang an betrieblichen Lehrstellen werde die Wirtschaft bald bitter zu spüren bekommen, warnt Egon Blum, ehemaliger Lehrlingsbeauftragter der Regierung, und fordert ein radikales Umdenken. Um die Lehre zu retten, will er den Lehrabschluss aufwerten, betriebliche und überbetriebliche Ausbildung enger verzahnen und den "Blum-Bonus" wieder einführen. Der Blum-Bonus wurde 2005-2008 an Betriebe bezahlt, die zusätzlich Lehrlinge aufnahmen. Die Förderung brachte zwar mehr Lehrstellen, kostete aber viel Geld.

KURIER: Herr Blum, Sie haben Ihre Reformideen für die Lehre schon vor einem Jahr allen Parteien, Landeshauptleuten und Sozialpartnern geschickt. Was ist seither geschehen?

Egon Blum: Gar nichts. Die Regierung hat bis heute kein neues Lehrlings-Konzept und keinerlei strategische Orientierung für die Zukunft des Arbeitsmarktes. Da wird nur oberflächlich dahergeredet. Dank der Demografie konnte sie die Problematik lange Zeit vertuschen, aber das geht jetzt nicht mehr. In den nächsten fünf Jahren werden 29.800 weniger betriebliche Lehrabsolventen nachkommen und zugleich Tausende Fachkräfte in Pension gehen. Das wird die Wirtschaft bitter spüren.

Der Personalbedarf wird schon jetzt verstärkt mit ausländischen Arbeitskräften gedeckt. Wozu noch selbst ausbilden?

Es ist naiv zu glauben, dass Fachkräfte nur im Ausland abzuholen sind. Diese Rechnung geht nicht auf. Das mag teilweise in Ballungszentren funktionieren, aber doch nicht für ganz Österreich. Am Land werden Betriebe mangels Fachkräften zusperren müssen. Die guten Fachkräfte sind auch im Ausland rar. Versuchen Sie einmal einen guten Werkzeugmacher in Tschechien zu finden. Die sind auch in ihrer eigenen Heimat gefragt.

Betriebe beklagen das immer schlechter werdende Bildungsniveau. Was ist zu tun?

Wir dürfen nicht erst mit der Reparatur einsteigen, sondern müssen Prävention betreiben. Das heißt, es müssen einfach wieder mehr 15-Jährige ausbildungsfähig sein und das Image, oder besser gesagt die Glaubwürdigkeit der Lehre, muss wieder hergestellt werden.

Ist das Imageproblem der Lehre wirklich hausgemacht? So ist es. Da muss ein radikales Umdenken erfolgen. Man muss wie in der Schweiz einen Lehrling gesellschaftlich-sozial auf die gleiche Ebene wie einen HTL- oder HAK-Schüler stellen und den Lehrabschluss einem Schulabschluss absolut gleichstellen. Nur dann wird man auch gute Schüler bekommen. In der Schweiz sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten stolz darauf, dass ihr Kind eine Lehre macht. Bei uns genieren sie sich fast dafür.

Dafür wird die Höherqualifizierung propagiert ...

Aber was nützen uns die ganzen tollen Forschungserfolge, wenn wir sie nicht auch praktisch umsetzen können?

Wie wollen Sie Betriebe dazu motivieren, wieder mehr selbst auszubilden?

Durch eine andere Lehrstellenförderung. Die Betriebe müssen einen Jugendlichen, der nicht ausbildungsfähig ist, nicht gleich einstellen. Dieser verbringt stattdessen die ersten sechs Monate oder länger in einem staatlichen Lehrlingskompetenzzentrum, und wechselt erst danach in den Betrieb. Der Unternehmer hätte damit null Risiko und die Ausrede, ich probiere es gar nicht mehr, gilt dann nicht mehr.

Sie gelten mit dem Blum-Bonus als Vater der Lehrlingsprämie. Sollen die Betriebe auch finanziell stärker unterstützt werden?

Ich würde einen Blum-Bonus neu für alle Lehrbetriebe einführen, aber nur für maximal fünf Lehrlinge pro Jahr, das könnten 3000 Euro oder etwas mehr sein. Das Geld gibt es aber nur, wenn im zweiten Lehrjahr eine Qualitätssicherung erfolgt. Ein Pflicht-Nachweis, dass die Ausbildung dem Stand der Technik entspricht. Betriebe, die schlecht ausbilden, haben in der Lehre nichts verloren.

Die Gewerkschaft will die Betriebe zur Ausbildung verpflichten. Eine gute Idee?

Vom Zwang halte ich nichts. Dann wird nur schlecht ausgebildet und die Lehrlinge stehen herum.

Die Ausbildungsgarantie bis 18 Jahre soll in eine Ausbildungspflicht umgewandelt werden. Der richtige Weg?

Eine Krampflösung. Wir müssen die Lernmotivation hochkriegen und nicht die Jugendlichen in irgendeine Ausbildung stecken, die sie gar nicht machen wollen.

Höre ich da auch Kritik an den staatlich geförderten Ersatzlehrstellen, die man seinerzeit gegen Ihren Willen umsetzte?

Es war ein Fehler, den Auffangnetzen einen Lehrausbildungsstatus zu geben. Das hat man nur gemacht, um die sinkenden Lehrlingszahlen zu kaschieren, aber es hat dem Image der Lehre zusätzlich geschadet. Die Jugendlichen können zwar jetzt jahrelang dort bleiben, aber auch wieder rausgeworfen werden. Kein Mensch schaut nach, wie die Ausbildung tatsächlich verläuft. Das ist soziales Engagement, aber keine wirkliche Lehrausbildung.

Zur Person: Egon Blum

Alle Inhalte anzeigen
Der Vorarlberger Egon Blum (74) war 2003 bis 2008 Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung. Der Werkzeugmacher leitete 35 Jahre die Lehrlingsausbildung bei der Beschlägefirma Blum.

Seit 2008 ist die Anzahl der Lehrbetriebe um über 6000 zurückgegangen – der KURIER berichtete. Der damit verbundene Mangel an betrieblichen Lehrstellen lässt den Ruf nach Reformen der dualen Ausbildung immer lauter werden. Die Vorschläge der Sozialpartner bleiben aber recht vage. Sie verweisen zum Teil auch auf bestehende Förderangebote.

Der Präsident der Arbeiterkammer (AK), Rudolf Kaske, meint, die Betriebe würden zu viel jammern und zu wenig tun. „Wer in den nächsten Jahren gute Fachkräfte braucht, muss sie jetzt ausbilden. Dafür gibt es Förderungen und Unterstützung. Die Betriebe sollten sich jetzt darauf besinnen, dass sich gute Ausbildung lohnt“, sagt Kaske. Der AK-Präsident tritt zusätzlich für eine Qualitätsverbesserung der dualen Ausbildung ein. „Das würde die Lehre aufwerten und für die Jugendlichen wieder attraktiver machen.“

"Verpflichtung"

Auch die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) will die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen. Sie fordert einen eigenen Ausbildungsfonds, in den Firmen einzahlen, die nicht ausbilden, obwohl sie könnten. Lehrbetriebe sollten daraus Förderungen erhalten. „Ausbildung ist eine moralische Verpflichtung der Unternehmen und darf nicht einfach als Geschäft betrachtet werden“, sagt ÖGJ-Vorsitzender Sascha Ernszt. Die ÖGJ schlägt Teilprüfungen auf dem Weg zur Lehrabschlussprüfung und mehr Kontrollen der tatsächlichen Ausbildungstätigkeit vor.

Michael Landertshammer, Leiter der bildungspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer, bemüht sich, kein Öl ins Feuer zu gießen: Die Lehrlingsausbildung solle vorangetrieben und nicht krankgeredet werden. „Aufgrund des bestehenden und noch stärker kommenden Fachkräftemangels sowie der Tendenz der Eltern, ihre Kinder verstärkt in Gymnasien zu schicken“, will aber auch die Wirtschaftskammer die dualen Ausbildung attraktiver gestalten.

Alle Inhalte anzeigen
Die Zahl der Lehranfänger in Unternehmen schrumpft kontinuierlich. Allein im Vorjahr fiel der Rückgang mit acht Prozent auf 31.300 doppelt so stark aus wie der demografische Rückgang bei den 15-Jährigen. Zugleich ziehen sich immer mehr Betriebe aus der dualen Ausbildung zurück, wie aus eine aktuellen Synthesis-Prognose im Auftrag des AMS hervorgeht. In vier Jahren werden nur noch 13 Prozent der heimischen Betriebe Lehrlinge ausbilden, in Wien werden es gar nur noch 7,5 Prozent sein.

Eine Folge davon: Die offenen Lehrstellen sind immer seltener dort, wo die Lehrstellensuchenden wohnen. In Tirol und Salzburg etwa können Firmen Ausbildungsplätze nicht besetzen, während in Wien 2776 Jugendlichen lediglich 400 offenen Lehrstellen gegenüberstehen.

Insgesamt kamen Ende Juli 8697 Lehrstellensuchenden (+2,8 Prozent) auf 3273 offene Lehrstellen (–0,9 Prozent). 8460 Jugendliche besuchten eine überbetriebliche Lehrausbildung.