Doch kein EU-Kabinenschlaf-Verbot für Lkw-Fahrer
Riesenverwirrung nach dem Rat der EU-Verkehrsminister - und mittendrin Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ). Die EU-Ministerkollegen hatten sich in stundenlangen Verhandlungen unter anderem auf verbesserte Ruhensbestimmungen für Fernfahrer geeinigt.
„Es gibt ein absolutes Kabinenschlafverbot in der gesamten Europäischen Union, harmonisierend ohne Ausnahmen“, hatte Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) nach dem Treffen in Brüssel bei der Pressekonferenz gesagt. So wurde es umgehend - auch von Kurier.at - vermeldet.
Jetzt stellt sich allerdings heraus: Das von den EU-Verkehrsministern beschlossene Kabinenschlafverbot gilt nur für die wöchentliche Pause. „Um adäquate Arbeitsbedingungen für Fahrer sicherzustellen, muss die wöchentliche Ruhezeit außerhalb der Kabine verbracht werden“, heißt es in der vom EU-Rat veröffentlichten Presseaussendung. In den übrigen Nächten nach einer regulären Schicht dürfen die Fernfahrer somit weiterhin in der Kabine schlafen.
Wo sonst: Zelte, Container?
EU-weit gibt es rund zwei Millionen Fernfahrer. Unter Truckern hatte die Ankündigung eines Kabinenschlafverbots bereits für Aufregung und Kopfschütteln über die Bürokraten in Brüssel gesorgt. Manche hatten sich schon in Zelten oder Containern schlafen gesehen.
Ein absolutes Kabinenschlafverbot wäre ohnehin nicht umsetzbar, sind sich die Lkw-Fahrer sicher. Es gebe an den Autobahnen nämlich zu wenig Hotels mit Parkplätzen für Lastwagen, es seien schon jetzt die Rastplätze überfüllt. Auf Facebook meinte ein Fernfahrer: „Mir wäre lieber gewesen, die EU hätte vorgeschrieben, dass nur große Fahrerhäuser im Fernverkehr eingesetzt werden dürfen.“
Marathonverhandlung
Die EU-Staaten hatten sich nach Marathonverhandlungen in der Nacht auf Dienstag auf neue Ruhezeiten für Lkw-Fahrer im grenzüberschreitenden Transport geeinigt. Fahrer haben in Zukunft das Recht, alle drei bis vier Wochen heimzukommen, kündigte der EU-Ratsvorsitzende Norbert Hofer an.
Die EU will damit das "Nomadentum" von Lkw-Fahrern beenden. Die Einigung erfolgte im Rahmen des sogenannten EU-Mobilitätspakets. Damit das Paket in Kraft treten kann, muss noch das Europaparlament zustimmen, das noch keine Position festgelegt hat.
Enthalten sind auch neue Regeln für die Kabotage, das heißt für Transporte innerhalb eines anderen EU-Staates. Weiterhin sollen maximal drei Kabotage-Fahrten innerhalb von sieben Tagen erlaubt sein, teilte der EU-Ministerrat mit. Die Kontrollen sollen dabei verstärkt werden.
Um systematische Kabotage zu verhindern, einigten sich die EU-Staaten auf eine "Abkühlphase" von fünf Tagen, bevor weitere Kabotage-Transportfahrten im selben Land mit demselben Lkw durchgeführt werden dürfen.
Ein Schlüssel für die neuen Regeln ist der "digitale Tachograph", der in einer neuen Version bis 2024 in allen Lastwagen für internationale Transporte vorhanden sein muss. Das Gerät registriert automatisch, wann und wo ein Lkw eine Grenze passiert hat und zeichnet Lade- und Entlade-Tätigkeiten auf.
Die Frächter müssen sicherstellen, dass Fahrer spätestens alle vier Wochen in ihre Heimat zurückkehren können. Wenn sich der Fahrer für zwei reduzierte Ruhezeiten pro Woche entscheidet, muss er bereits alle drei Wochen zurückkehren können.
Ost- gegen Westeuropa
Hofer bezeichnete die Einigung als die umfassendste in der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Zwei Millionen Arbeitnehmer seien von den neuen Regeln betroffen. Deren soziale Rechte würden massiv verbessert, Sozialdumping, unfairer Wettbewerb und illegale Kabotage verhindert, sagte Hofer. "Das Übernachten auf dem Parkplatz gehört der Vergangenheit an."
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc dankte Hofer und dem österreichischen EU-Vorsitz für das herausragende Ergebnis. Hofer konzedierte in Hinblick auf die osteuropäischen EU-Staaten, die liberalere Regeln wollten, dass sich vielleicht nicht alle als Gewinner sehen würden.
Es sei aber äußerst schwierig gewesen, unter den EU-Staaten eine Mehrheit zu finden. Die langfristigen Ziele würden von allen geteilt, nämlich Wirtschaftswachstum und gemeinsame Sozialstandards. Sie hoffe, dass dies auch die Osteuropäer ähnlich sehen. "Niemand war wirklich glücklich, das heißt wir haben einen guten Job gemacht", sagt Bulc.
"Geltendes EU-Recht"
Keine allzu großen Fortschritte für die Lkw-Lenker sieht die Gewerkschaft: „Da verkauft der Minister geltendes EU-Recht als Fortschritt“, sagte vida-Gewerkschafter Karl zu Hofers Aussage zum Kabinenschlafverbot. Delfs verwies auf den EuGH, der kürzlich klarstellte, dass es verboten ist, die wöchentliche Ruhezeit in den Führerhäusern zu verbringen.
„Im Sinne der Fahrer wünschen wir uns, dass das Kabinenschlafverbot auch für die verkürzte wöchentliche Ruhezeit von 24 Stunden gelten würde, dann könnten sie sich in einer Pension ordentlich ausschlafen“, sagte Delfs. In den Diskussionen sei ein Kabinenschlafverbot für die verkürzte wöchentliche Ruhezeit aber nie Thema gewesen, schon gar nicht für die tägliche Nachtruhe.
Positiv sei, so Delfs, dass die manipulationssicheren Tachographen 2025, nicht erst 2035, kommen. Ein kleiner Fortschritt seien auch die Regelungen zur Kabotage. Ohne Kontrollen werde sich aber nichts ändern.
Schlupfloch befürchtet
Durch die Ausnahme des bilateralen Verkehrs aus der Entsenderrichtlinie befürchtet der Gewerkschafter zudem ein Schlupfloch. Auch am Heimkehrrecht alle vier Wochen übte er Kritik, weil es sich lediglich um eine Rückkehr an den Firmenstandort handle. „Das nützt einem ausgeflaggten bulgarischen Fahrer nichts, wenn seine Firma im Ausland sitzt“, sagte Delfs.
Lkw-Fahrer, die außerhalb des Ursprungslandes ihres Arbeitgebers eingesetzt werden, sollen demnach künftig den Status eines „entsandten Arbeitnehmers“ haben und somit zu gleichen Bedingungen wie ihre Kollegen im Einsatzland arbeiten. Ausgenommen davon sind einfache Lieferungen in ein anderes Land mit weniger als drei Halten zum Be- und Entladen.
Zusätzliche Regeln sollen bei der Kabotage gelten - wenn ein ausländisches Unternehmen eine Lieferleistung komplett innerhalb eines anderen Landes erbringt. Zwischen zwei Aufträgen müssen Fernfahrer dann eine Karenzzeit von mindestens fünf Tagen einhalten.
Sozialdumping vs. Protektionismus
Vor allem westeuropäische Staaten beklagen seit geraumer Zeit, dass im Transportgewerbe Sozialdumping und unlauterer Wettbewerb herrschten. Österreich, Frankreich, Belgien, Dänemark, Italien, Luxemburg, Norwegen und Schweden hatten sich im vergangenen Jahr mit Deutschland zusammengeschlossen, um dagegen vorzugehen.
Nach 14-stündigen Verhandlungen der Minister stimmten gegen Mitternacht weiterhin acht Länder (Polen, Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Malta, Irland, Lettland und Litauen) gegen den Vorschlag. Sie kritisierten die Regelungen als „protektionistisch“ und schlecht für den Wettbewerb.