Wirtschaft

"Es gibt Ortsteile, die quasi tot sind"

KURIER: Der Hotelierkongress findet heuer in Kitzbühel statt, einem Hotspot für Zweitwohnsitze. Fürchten Sie, dass Österreich bald Geisterstädte wie die Schweiz haben wird?

Gregor Hoch: Ein Problem haben wir in entwickelten Regionen. Ich schätze, es sind rund zehn Destinationen österreichweit. Die Situation verschärft sich. Es gibt viel Geld auf der Welt, das einen sicheren Hafen sucht ...

... und diesen etwa in Oberlech findet, wo Ihr Hotel ist ...

Zum Beispiel. Ich wollte dort vor vier oder fünf Jahren einen Betrieb mit rund 40 Betten dazukaufen. Meiner Meinung nach war er 1,3 Millionen wert. Gezahlt hätte ich auch noch 1,5 Millionen.

Und dann?

... ist jemand gekommen und hat 8,5 Millionen gezahlt. Da reden wir von einem Quadratmeterpreis von mehr als 5000 Euro.

Ein reicher Russe?

Nein, Rene Benko. Der Verkäufer hat den Deal seines Lebens gemacht, das kann man ihm nicht übel nehmen.

Aber Benko hat seitdem nicht Karriere als Hotelier gemacht ...

Immer wenn ich bei dem Haus vorbeilaufe – und das ist drei Mal die Woche, weil es an meiner Laufstrecke liegt – schaut es verlassen aus.

Braucht man in Vorarlberg nicht eine Genehmigung, um aus einem Gästehaus ein Privathaus zu machen?

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Ja, das Haus heißt jetzt Chalet N. und Benko stellt es Gästen ja ganz offiziell zur Verfügung. Wenn auch zu Preisen, die offenbar keiner zahlt (Anm: In der Hauptsaison kostet das Chalet bis zu 490.000 Euro in der Woche). Also steht es leer. Benko bewegt sich innerhalb des rechtlichen Rahmens. Da kann man ihm nichts vorwerfen. Gefordert ist hier die Tourismuspolitik in den Gemeinden.

Finden Sie nicht, dass die Hoteliers an den vielen Zweitwohnsitzen mitschuld sind, weil sie ihre Ausbauten oft finanzieren, indem sie eine Etage als Eigentumswohnung verkaufen?

Kalte Betten als Teil des Hotels sind nicht so schlimm wie leere Einfamilienhäuser, bei denen in 15 von 20 Saisonwochen nie der Schnee in der Einfahrt geräumt oder das Licht im Haus aufgedreht wird. Es gibt Ortsteile, die quasi tot sind. Sogar schlecht laufende Hotels haben 60 bis 70 Vollbelegstage und damit Gäste, die Liftkarten kaufen, einkaufen und essen gehen.

Und die Besitzer der neuen Wohnungen gehen nicht essen?

Diese Leute geben im Ort fast nichts aus. Sie nehmen sogar ihr eigenes Klopapier mit, hör ich die Händler immer schimpfen. Aber die Gemeinde muss trotzdem die Infrastruktur aufrechterhalten – von der Kläranlage bis zum Heizwerk.

Dem Hotelier wird das zumindest kurzfristig egal sein, weil er den Ausbau finanziert hat ...

Viele glauben, sie verkaufen eine Etage und sind alle Sorgen los. Falsch. Sie holen sich jemanden ins Haus, der etwas ganz anderes will als der Hotelier selbst. Etwa seine Ruhe am Hotelpool – anders gesagt: keine anderen Gäste im Ruheraum. Oder es wird gestritten, wer welchen Weg zum See nehmen darf. Da kommt es zu den skurrilsten Streitereien.

Glaub ich. Trotzdem ist das Haus vorerst finanziert.

Wenn es gut geht. Es gibt auch Fälle, in denen übersehen wird, dass mit dem Wegfall einer Etage die Fixkosten nicht mehr gedeckt werden können. Dann kommt eine Abwärtsspirale. Ich kenne einen Fall, da hat der Hotelier eine Etage nach der anderen verkauft, bis ihm nur noch das Restaurant im Erdgeschoß übrig geblieben ist. Zumindest das konnte er halten. Als Sanierungsinstrument sind solche Dinge schwierig.

Angeblich laufen derzeit 3-Sterne-Hotels wieder besonders gut. Sehen Sie das auch so?Die Sterne, die an der Eingangstüre hängen, erzählen noch keine Geschichte. Hotels brauchen ein Alleinstellungsmerkmal. Etwas, weswegen der Gast kommt, auch wenn kein Schnee fällt. Viele Hoteliers haben gar keine Sterne mehr, weil sie finden, dass diese ihr Angebot gar nicht abbilden können.

Wo kommen die meisten Gästebetten dazu?

Zwischen 2008 und 2013 ist die Bettenzahl im 4- und 5-Sterne-Segment um 16,9 Prozent gestiegen, jene bei 3-Sterne-Betrieben ist stabil, es gibt um 12 Prozent weniger 1- und 2-Stern-Betten.

Machen Sie sich Sorgen um den Ski-Tourismus von morgen?

Der Klimawandel ist nicht wegzudiskutieren. Wir brauchen zusätzliche Angebote für schneearme Zeiten. Und Alleinstellungsmerkmale. Kitzbühel hat sich als mondäner Shopping-Skiort positioniert, Ischgl steht für Après-Ski, wir in Lech für Skifahren abseits der Pisten ...

Was tun, wenn trotz allem immer weniger Junge Skifahren wollen?

Ich wünsche mir die Forcierung der Schulskiwochen. Mit der Familie fahren ja immer weniger Kinder Ski.

Zur Person Gregor Hoch, geboren 1977, hat 2004 das 4-Sterne-Superior- Hotel Sonnenburg in Oberlech von seinen Eltern übernommen. Zuvor hat er unter anderem bei der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank in den Bereichen Controlling, Kreditvergabe und Restrukturierung gearbeitet. Seit 2013 ist Hoch im Präsidium der Hoteliervereinigung (ÖHV). Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

„In Österreich haben Sie das Problem mit den Zweitwohnsitzen viel früher erkannt als wir“, sagt Guglielmo L. Brentel, langjähriger Präsident der Hotelleriesuisse. In der Schweiz habe sich die Zahl der Zweitwohnsitze seit den 1970er-Jahren versechsfacht, während die Bettenzahl in der Hotellerie – im Gegensatz zu Österreich – nicht vom Fleck kam. Brentel: „In der Schweiz war viel Geld da, das in Wohnungen gesteckt wurde.“ Zu teils horrenden Preisen. „In St. Moritz wurde der Quadratmeter Wohnfläche um 45.000 Schweizer Franken gehandelt“, sagt er.

In manchen Orten waren acht von zehn Wohnungen nur fünf Wochen im Jahr bewohnt. Das war auch den Eidgenossen zu viel. 2013 hat es eine Zweitwohnungsinitiative gegeben. Ergebnis: Wenn in einer Gemeinde der Anteil der Zweitwohnungssitze gemessen an Erstwohnungssitzen 20 Prozent übersteigt, dürfen keine weiteren gebaut werden. Die Schweizer unterscheiden zwischen strukturierten und nicht strukturierten Zweitwohnungsbau. Bei ersterem baut ein Eigentümer, etwa eine AG, ein Haus mit mehreren Wohnungen – und richtet alle exakt gleich ein. „Diese Löffel-fertigen Häuser haben viel weniger Individualität.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eigentlich Privathäuser sind, die nur zum Schein zur Vermietung angeboten werden, sei kleiner. Brentel: „Außerdem müssen bei uns die Mietpreise ortsüblich sein.“