Erfolgsautor: "Unsichtbare Arbeit befriedigt nicht"
Von Andreas Schwarz
Wo kommen all die Dinge her, die wir konsumieren? Was hat das Wissen darum mit dem Sinn zu tun, den wir in unserer Arbeit sehen – oder nicht? Wovon hängt Freude an Arbeit ab? – Der britische Erfolgsautor Alain de Botton hat darüber ein philosophisches Buch geschrieben. Der KURIER traf ihn in London zum Gespräch.
KURIER: Wir verbringen immer mehr Lebenszeit in unseren Jobs, nur die Arbeitsumstände werden durch Einsparungen, höhere Produktivität, Bilanzerwartungen etc. immer unfreundlicher.
Alain de Botton: Ich würde in Frage stellen, dass unsere Arbeitsbedingungen schlechter werden. Für die, die Arbeit haben, werden sie insgesamt besser.
Wieso das?
Nicht weil die Menschen netter werden. Aber viele Unternehmer erkennen, dass Arbeitskräfte einer der teuersten Teile der Technologie sind, die sie im Unternehmen haben. Und um die zu bekommen oder zu behalten, darf man sie nicht verängstigen oder alleine lassen, sondern muss vorsichtig mit ihnen umgehen, schauen, dass es ihnen gut geht. Nicht, weil der Unternehmer sie liebt, sondern weil er sie braucht. Das ist die beste Investition.
Die beherrschen aber die wenigsten Manager.
Kapitalismus basiert immer auf diesem schrecklichen Tauziehen zwischen menschlichen und finanziellen Werten. Manchmal sind die unter einem Hut, manchmal ganz weit auseinander. Manchmal macht es aus ökonomischen Gründen Sinn, zu den Mitarbeitern "nett" zu sein, und manchmal macht es Sinn, eher gar nicht nett zu sein. Nicht nur in einem Betrieb, das betrifft auch Menschen außerhalb: Den Fischer am umweltzerstörten Fluss, den Konsumenten, der fette und ungesunde Fertigprodukte vorgesetzt bekommt, oder den Menschen, der in der Krise Geld verliert.
Bleiben wir zunächst im Betrieb ...
Ein immer größerer Teil der Wirtschaft ist der Dienstleistungssektor. Und wenn Sie jemandem anderen "dienen", müssen Sie sehr auf die Mitarbeiter achten, die Ihr Unternehmen repräsentieren. Ich habe für mein Buch die Firma Ernest& Young besucht: Die Leute dort arbeiten wirklich hart, aber sie werden gut bezahlt und unglaublich gut betreut. Das Unternehmen weiß, dass es das halbe Leben seiner Mitarbeiter aufisst, und gibt ihnen auch etwas zurück.
Trotzdem: Teilzeitarbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse – nichts scheint mehr sicher in der Arbeitswelt.
Das stimmt. Menschen brauchen Sicherheit, wollen planen können. Unternehmen wiederum engagieren und feuern Mitarbeiter, so wie man eine Maschine auf- und abdreht. Dieser Konflikt zwischen dem, was Menschen und was Unternehmen wollen, war nach dem Zweiten Weltkrieg auch Anlass für den Wohlfahrtsstaat. Der ist teuer, aber leistbar und ungemein wichtig. Das schlimmste Szenario ist, dass es weder einen Wohlfahtsstaat noch ein Unternehmertum gibt, dass sich um die Menschen kümmert.
Man liest ständig über die notwenige Work-life-Balance, so als wären Arbeit und Leben verschiedene Dinge – bloß ist die Arbeit ja ein essentieller Teil unseres Lebens.
Eine Arbeit zu machen und ein Privatleben, etwa mit dem Aufziehen von Kindern, zu führen, braucht Opfer, da oder dort. Es ist eine Illusion zu glauben, eine brillante Karriere und ein brillantes Familienleben gehen sich nebeneinander aus, ohne dass eines von beiden leidet. Die meisten Jobs kann man nicht gut machen, wenn man nicht 90 Prozent seiner Energie reinsteckt – also mit anderen Worten: wenn man nicht schlecht als Eltern ist. Und wenn jemand gut ist in seiner Rolle als Elternteil, ist er eine schlechte Arbeitskraft.
Dieser Widerspruch betrifft immer noch vor allem Frauen.
In unserer Presse wird alle paar Monate mit großer Überraschung "entdeckt", dass es kaum Frauen in Top-Jobs gibt. Warum? Meine Antwort ist: Frauen sind sehr erfolgreich. Aber nicht notwendigerweise im Job, sondern in anderen Dingen. Dass Frauen in den Top-Etagen der Unternehmen unterrepräsentiert sind, ist nicht notwendigerweise ein menschliches Versäumnis, sondern auch eine Frage der Wahl, was im Leben wichtig ist.
Wovon hängt es ab, dass jemand seine Arbeit als Freude oder als Last sieht?
Das hat viel mit der Sicht der Klassen zu tun. Die traditionelle Sicht der Arbeiterklasse ist, dass der Sinn des Lebens nicht der Job ist – der Job sorgt nur fürs Geld, und das wirkliche Leben beginnt am Freitagnachmittag. Die Sicht der Mittelklasse ist gegenteilig: Das wirkliche Leben beginnt am Montagmorgen, der wirkliche Kampf und der wirkliche Erfolg ist die Karriere, das Wochenende ist nur ein bisschen Erholung. In der modernen Welt bewegen wir uns mehr und mehr hin zu dieser Mittelklassen-Sicht. Nicht, weil die jeder hat, sondern weil sie uns mehr und mehr verkauft wird. Das ist einerseits gut, weil es den Menschen Ambition vermittelt; und es ist grausam, weil es Menschen Ambitionen für eine Welt vermittelt, die auch künstlich ist und nicht existiert. Das ist wie mit dem Bild der glücklichen Ehe, die jeder glaubt haben zu müssen – die ist zwar keine Illusion, aber dass sie normal wäre, stimmt wohl auch nicht.
Aber die Kassiererin im Supermarkt wird sich diese Mittelklassensicht wohl kaum einreden lassen.
Manche vielleicht, andere nicht, weil sie ein Leben lang Kassierin bleiben. Aber das ist auch keine Tragödie, sondern nur eine Frage der Ambition. Menschen sind sehr flexibel. Sie entscheiden, ob sie glücklich sind oder nicht, nicht nach einem absoluten Maßstab, sondern nach der Stimme, die uns sagt, was normal ist. Wenn sie sagt, Kassiererin ist Dein Beruf fürs Leben, dann ist das okay; wenn sie sagt, eigentlich solltest Du Bill Gates sein, verzweifelst Du daran, dass Du’s nicht bist. Es hängt alles nur von den Erwartungen ab.
Wann bekommt Arbeit einen Sinn für den, der sie macht?
Sinn kommt aus dem Gefühl, etwas Positives bzw. eine positive Veränderung in der Welt zu machen. Etwa indem man anderen Freude bereitet oder Leiden reduziert. Und in vielen Jobs kann man den Sinn nicht gleich erkennen – wenn jemand irgendein Kleinteil in einem großen Telekommunikationsbetrieb produziert, das irgendwann dazu führt, dass Menschen miteinander telefonieren können, die Mutter ihrem Sohn sagt, dass es ihr gut geht und sich der freut, dann ist derjenige, der das kleine Teil dafür produziert, vom Sinn so weit weg, dass er ihn nicht sieht.
Wenn man Menschen fragt, was sie gerne arbeiten würden, bekommt man oft zur Antwort: Ich würde gerne einen Sandwich-Shop betreiben oder ein Bed&breakfest oder landschaftsgärtnern – das sind alles Jobs, wo man sofort sieht, was man getan hat und wie es andere Menschen erfreut. Das ist unmittelbarer als an einem Kabel zu basteln, dass in 20 Jahren Indien mit China verbindet.
In der Konsumgesellschaft geht’s ja immer nur um das Objekt und die Dinge, die man kauft, nicht um die Entstehung. Fabriksarbeiter fühlen sich da leicht ignoriert, sie kommen nirgends vor, nicht einmal in Filmen. Und unsichtbare Arbeit befriedigt nicht leicht.
Das heißt, immer mehr Spezialisierung im Arbeitsleben verblendet den Blick auf das Ergebnis.
Ganz genau. Nur ist die Spezialisierung halt eine finanzielle Notwendigkeit in unserer Arbeitswelt. Und Produktivität wird immer als das große Plus herausgestrichen, bloß die gleichzeitige Langeweile des Produzierenden erscheint nie auf irgend einer Statistik.
Den fehlenden Sinn der Arbeit gibt’s umgekehrt auch: Sie schreiben über die Fülle von Produkten, die wir täglich aus aller Welt beziehen, ohne dass wir über ihren Ursprung bescheid wissen. Wäre das anders, würden wir zufriedener konsumieren?
Es würde einiges ändern. Wir würden für einige Dinge mehr zahlen und für andere vielleicht gar nichts.
Selbst in Zeiten, wo wir aufs Geld schauen müssen?
Ja, wenn Menschen erfahren, wie Hühner in großen Hühnerfarmen gehalten werden, überlegen sie auch zweimal, ob sie das billige Huhn oder doch das gut gehaltene kaufen. Und wenn der Schuh von einem sechsjährigen Kind in Indien gefertigt wird und 20 Pfund kostet, ist man beim Wissen darum vielleicht auch bereit, fünf Pfund mehr zu zahlen und dem Kind die Arbeit zu ersparen.
Das ist jetzt eine sehr idealistische Vorstellung.
Ja, wegen der Anonymität der Produkte. Menschliche Nettigkeit fließt ja nicht über zehntausende Kilometer, sondern ist immer Ergebnis einer persönlichen Nähe, und wenn es nur die Vorstellung davon ist. Das Ideal wäre ja weniger Konsum von künstlich verbilligten Produkten. Wovor sich Produzenten sehr fürchten.
Apropos Nähe: Sie schreiben, dass die Emotionen in Job und Familie einander sehr ähneln, mit dem Unterschied, dass man sie in der Familie auslebt und austobt, im Job hingegen hält man sich zurück.
Menschen haben am Arbeitsplatz Gefühle, die so intensiv sein können wie im Privaten – nur können sie mit ihnen nichts machen. Obwohl sich Unternehmen zunehmend damit befassen: Es gibt Review-Prozesse, man kann erzählen, was einem gefällt, was nicht, das gibt es in den meisten Familien wiederum nicht. Das ist der Grund, warum viele Menschen am Montagmorgen gerne das Zuhause ver- und das Chaos hinter sich lassen und zur Arbeit gehen. Natürlich gibt es auch Albtraum-Unternehmen, aber weniger und weniger, weil es sich nicht rentiert.
Trotzdem flüchten viele in die Selbstständigkeit, in den Traum, der eigene Chef zu sein.
Das liegt auch daran, dass es die Vorzeige-Selbstständigen gibt, die es zu etwas gebracht haben, Marc Zuckerberg, Richard Branson, etc. – aber das ist so, wie wenn ich Scarlett Johannson sein wollte, aber mir, weil Mann, älter und nicht so attraktiv, die Voraussetzungen dafür fehlen.
Es ist eine verbreitete Sehnsucht: Lass uns ein Geschäft aufmachen. Faktum ist: Im modernen Kapitalismus braucht man entweder ein sehr sehr hohes Level an technischer Expertise oder große Mengen Kapital. Sonst stehen die Chancen schlecht, wirklich groß zu werden. Man kann ein Restaurant aufmachen oder ein Taxiunternehmen, und das läuft schon so. Aber hinauf an die Spitze, nein.
Regierungen unterstützen diese Phantasien gerne.
Ja, weil Regierungen um diese schönen Phantasien wissen. Aber es kann auch eine gefährliche Phnatasie sein. Und wenn Sie die Statistik wirtschaftlichen Wachstums anschauen, dann ist der Beitrag von kleinen Startups minimal.
Welche Rolle spielt Geld für das Arbeitswohlbefinden?
Geld ist überwiegend natürlich der Hauptgrund für Arbeit. Und ab einem bestimmten Level brauchen Menschen gar nicht mehr Geld zum Leben, sondern um sich gut zu fühlen, wertgeschätzt zu fühlen.
Wo wird unsere Arbeit in 20 Jahren stehen?
Arbeit wird umso erfreulicher, je mehr Konsumenten es gibt, die Geld für gute Produkte zahlen wollen – da meine ich nicht für Luxusprodukte. Aber nehmen Sie die Lebensmittelindustrie: Die wird umso besser, umso intelligenter die Konsumenten werden. Je weniger Waren gekauft werden, die durch Ausbeutung und Zerstörung produziert werden oder einfach nur dumm sind, desto besser wird die Arbeit. Das ist die positive Sicht. Die negative ist, dass es große hässliche Produktionen weiterhin gibt, weil uns eingeredet wird, dass wir diese Produkte brauchen.