Wirtschaft

Energie-Expertin: "Vieles lief auch aus dem Ruder"

KURIER: Darf man die Energiewende in Deutschland als gescheitert betrachten?

Eveline Steinberger-Kern: Nein, ich würde nicht von Scheitern reden. Sie ist nur nicht optimal gestartet. Der Ansatz ist schon richtig. Die Energiewende bezieht sich ja nicht nur auf Deutschland, sondern ist ein weltweiter Trend.

Deutschland hat doch die erneuerbaren Energien übersubventioniert.

Extreme Förderungen machen eine Branche träge. Wenn man das Geld ohnehin so leicht bekommt, warum sollte man sich für den nächsten Technologie-Sprung noch anstrengen? Aber wir können nicht so weitertun. Der bisherige Bild-Ausschnitt ist zu klein. In Deutschland wurde sehr aus der Sicht der Stromproduzenten gedacht. Wärme, Gas und Energie-Effizienz sind viel zu wenig im Blickpunkt der Wende.

Bleibt Europa schon wieder hinten?

Wir diskutieren in Europa erneuerbare Energien zu kurzsichtig und legen viel zu wenig Augenmerk auf Energie-Effizienz. Das ist nicht nur eine technologische Aufgabe, sondern da ist auch gesellschaftspolitisches Umdenken notwendig. In Wien beispielsweise hat zuletzt kein Thema derart polarisiert wie die Begegnungszone in der Mahü.

In der neuen Energie-Welt sehen die etablierten Versorger ziemlich alt aus.

Wenn man sich nur auf die alten Kernaufgaben fokussiert und weder nach links noch nach rechts schaut, lässt man viele Chancen liegen. Es ist wichtig, alte Management-Prinzipien zu überdenken und vieles einfach auszuprobieren. Trial and error, da kann auch einmal etwas schiefgehen. Und die Konkurrenz schläft nicht, insbesondere die IT-Branche.

Wird die Energieversorgung immer stärker IT-getrieben und komplexer?

Ja, die Branche ist in einem dramatischen Umbruch. Die neuen Technologien führen zu immer mehr Schnittstellen zwischen Strom-, Gas- und Wärmeversorgung. Wie "Power to Gas" (Erzeugung von synthetischem Erdgas aus Windenergie-Überschussstrom), "Power to Heat" (Einbindung von Strom in Wärmenetze) oder "Power to Transport" (Elektromobilität). Technologisch alles kein Problem, aber es rechnet sich noch nicht.

Wie stark stehen die etablierten Energie-Unternehmen unter Druck?

Die europäischen Energieversorger haben seit 2008 rund eine halbe Milliarde Dollar an Börsenwert verloren. Das Kerngeschäft wird immer schwieriger und die neuen Geschäftsfelder werfen noch nicht genügend Geld ab. Vieles lief auch aus dem Ruder. Wie Überförderungen, die Folgen des Schiefergas-Booms in Europa oder die Gasabhängigkeit von Russland. Bezeichnend ist auch, dass nur rund sechs Prozent aller Investitionen in erneuerbare, dezentrale Energien bislang von klassischen Energieversorgungsunternehmen getätigt wurden.

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KURIER/Franz Gruber
Eveline Steinberger-Kern
Eveline Steinberger-Kern im Interview am 05.11.2012
Sind die Auto-Industrie und die IT-Branche innovativer als die E-Wirtschaft?

Eine Studie in Deutschland ergab, dass die Konsumenten den Autoherstellern viel mehr zutrauen als den Energieversorgern, die offenbar ein Vertrauensproblem haben. Google dringt zum Energiekunden vor, hat zum Beispiel Nest gekauft. Die erzeugen so etwas Simples wie Raumthermostate. Gemeinsam verkaufen sie auch Energie. Die Energieversorger müssen Kooperationen suchen. Die IT-Unternehmen und die Autohersteller tun’s auch. Man kann neue Entwicklungen nicht auf Dauer durch Regulierung verhindern. Es geht darum, sich den Aufgaben zu stellen und eben auch Geschäftsmodelle für die verfügbaren Energiedaten in Echtzeit zu kreieren.

Nach Ihrem Engagement bei Siemens starten Sie jetzt als Selbstständige mit der "The Blue Minds Company". Was haben Sie vor?

Meine Partner und ich verfolgen ein spannendes Software-Entwicklungsprojekt mit Energie-Applikationen in Israel. Ein Ziel ist es, Energie-intelligente Geräte, von der Gefriertruhe bis zum Elektroauto, so einzusetzen, dass diese automatisch auf Preissignale reagieren können. Das reduziert Verbrauch und Kosten. Aktuell entwickelte Plug&Pay-Lösungen erfüllen diese Anforderungen bei Weitem noch nicht.

Warum gerade Israel?

Israel ist sehr technologieorientiert und genießt damit eine hohe Reputation in dieser Disziplin. Zudem ist Strom knapp, der Durchschnittsverbrauch hoch. Wir kombinieren europäisches energiewirtschaftliches Know-how mit israelischer IT-Kompetenz und Netzwerk. Wenn das Projekt in Israel klappt, wollen wir mit dieser Lösung auch nach Europa. Hierzulande werden wir – wie schon 2010 – Unternehmen beraten, die die Herausforderungen der Energietransformation angehen wollen.

Zur Person: Eveline Steinberger-Kern

Die ehemalige Verbund-Managerin wechselte 2007 als Geschäftsführerin zum Klima- und Energiefonds. 2010 gründete sie „green minds“. 2012 wurde die Mutter einer siebenjährigen Tochter bei Siemens zur Bereichsleiterin Energie für Zentral- und Osteuropa bestellt und legte ihre Firma still. Mit der Umstrukturierung des Konzerns verließ sie Siemens, relaunchte „green minds“ zu „The Blue Minds Company“ und gründete „Blue Minds Israel“. Steinberger-Kern ist im Verwaltungsrat von Conwert sowie im Aufsichtsrat der ECO AG und von Blue Planet. Verheiratet mit ÖBB-Chef Christian Kern.

Verkehrte Welt: Vergangenen Mittwoch beschloss das Parlament das "Energieeffizienzgesetz", das Firmen bestraft, wenn sie zu viel ihrer Ware verkaufen. Den Anbietern drohen Pönalen, wenn ihre Kunden mit Strom, Öl und Gas in Zukunft nicht sparsamer umgehen.

Nun ist gegen das EU-Ziel, Energie sparsam zu verbrauchen, wirklich nichts einzuwenden. Dennoch passt die Reform zur verkorksten Energiepolitik in Europa, die alle Gesetze des Marktes außer Kraft gesetzt hat. Die "Energiewende", einst als Allheilmittel gepriesen, hat vor allem in Deutschland Katzenjammer erzeugt. Beim Nachbarn ist die Ökostromförderung noch viel höher als bei uns, was einen künstlichen Boom an Wind- und Solarkraft-Anlagen erzeugt hat. Nun "verzieren" potthässliche Windparks und Solarpaneel-Wälder viele (übrigens auch burgenländische und niederösterreichische) Landschaften und produzieren bei Wind und Sonnenschein mehr "grünen" Strom, als gebraucht wird.

Der mit Steuermilliarden allerorts subventionierte Strompreis ruiniert eine ganze Branche. Wegen des Energie-Überschusses musste der Verbund zum Beispiel das neue und hocheffiziente Gaskraftwerk im steirischen Mellach herunterfahren. Der mehrheitlich staatliche Konzern ist an der Börse im Sinkflug. Eine Gewinnwarnung folgt der nächsten. Der Chef der Energie OÖ, Leo Windtner, meinte kürzlich im KURIER-Gespräch: "Nach der Bankenkrise droht eine Energiekrise."

Strom-Überangebot

Weil es dummerweise noch immer kaum möglich ist, Strom zu speichern, rauchen in Deutschland nun wieder die schmutzigen Kohlekraftwerke. Sie erzeugen den billigen Strom, den ein Industrieland braucht, wenn sich die Sonne versteckt und über der Nordsee keine steife Brise weht. Doch das Strom-Überangebot nimmt selbst den Öko-Pionieren den Wind aus den Segeln, äh, Windrädern. In Niederösterreich halten einige Betreiber dem Kostendruck nicht mehr stand und sperren zu.

Beim Privatkunden kommen die Dumpingpreise aber nur sehr, sehr zögerlich an. Was allerdings auch daran liegt, dass ein zu großer Teil der Kosten für Haushalte und Wirtschaft aus Steuern und Gebühren besteht. Das macht bei uns auch Benzin oder Flugtickets so teuer. Beim Strom hat der erstaunlich hohe Preis auch mit mangelndem Wettbewerb der dominierenden Landesenergieversorger zu tun, deren Vorstandsetagen noch immer gerne nach Parteifarbe besetzt werden.

Klar, es braucht Vorreiter für "grüne" Jobs, erneuerbare Energie und Speicher-Technologien. Wer hier die Nase vorn hat, darf auch international auf das große Geschäft hoffen.

Doch die bittere Wahrheit ist: Das europäische Modell ist teuer erkauft, viel zu bürokratisch und bringt im schlimmsten Falle für das Weltklima sogar Nachteile. Dann nämlich, wenn man große produzierende Firmen in die Flucht schlägt. Verlagern sie ihre Produktion nach China, Indien oder in die USA, dann stoßen sie dort – etwa für die erzeugte Tonne Stahl – ein Vielfaches an CO2 aus. Wirkliche Energieeffizienz muss bis zum Ende durchdacht werden: Derzeit ist sie gut gemeint, aber nicht gut gemacht.