Wirtschaft

Italiens Premier Draghi vor dem Rücktritt

Aus Mailand von Andrea Affaticati

Ein Vertrauensabstimmung mit bis zuletzt ungewissem – und dann komplexem – Ausgang: Mittwochabend stellte sich Italiens Premier Mario Draghi der Vertrauensabstimmung im römischen Senat. Zwar hat Draghi auch beim Vertrauensvotum die Mehrheit der Stimmen bekommen. Es waren 95 Senatoren dafür, 38 dagegen.

Aber: Die Regierungsmehrheit, die Draghi in seiner Rede gestern vor dem Senat gefordert hatte, gibt es nicht mehr. Die Koalitionsparteien nahmen nicht an der Vertrauensabstimmung teil. Die nationalpopulistische Lega und Silvio Berlusconis Partei Forza Italia sind aus dem Senatssaal gegangen, die Fünf Sterne Bewegung ist zwar im Saal geblieben, hat aber nicht abgestimmt. Draghi wird sich höchstwahrscheinlich morgen, Donnerstag, zu Staatsoberhaupt Sergio Mattarella begeben, um seinen Rücktritt zu bestätigen. Draghi könnte aber auch noch das Vertrauensvotum in der Abgeordnetenkammer Donnerstagnachmittag abwarten.

Dass es so kommen würde, war während der Abstimmungserklärungen der Fraktionsvorsitzenden von Minute zu Minute immer wahrscheinlicher geworden. Lega und Forza Italien hatten ihre Bedingung gestellt: Eine neue Regierungskoalition ohne Fünf-Sterne-Bewegung. Draghi hat sich dieser Forderung nicht gebeugt.

Politische Achterbahn

In seiner Rede im Senat am Dienstag hatte der Premier klar und deutlich das Vertrauensvotum für sein Regierungsprogramm gefordert, eine breite Mehrheit erwünscht und unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er die Erpressungen und Machtspiele der Parteien leid war.

Es war eine politische Achterbahn die Italien gestern erlebt hat. Nach seiner gestrigen Rede im Senat, in der Draghi seine Bedingungen zum Weitermachen zu erläuterte und seinen in der Vorwoche angekündigten Rücktritt begründete waren sich viele Kommentatoren anfangs einig, dass Draghi den Rücktritt widerrufen würde. Als aber die Fraktionschefs von der nationalpopulistischen Lega und Berlusconis Forza Italia ihre Bedingung stellten, war die Lage sofort wieder völlig unklar: „Wir unterstützen Sie Herr Ministerpräsident, aber nur, wenn die Fünf-Sterne-Bewegung nicht mehr Teil dieser Koalition ist.“ Auch aus Mario Draghis finsterer Mimik war nichts zu entnehmen.

Klarstellung

Die Rede, die Draghi am Vormittag gehalten hatte, war keine Standpauke, wenn auch oft kritisch gegenüber seiner breiten Koalition. Es war viel mehr ein Appell an die Parteien, sich angesichts der schwierigen nationalen und internationalen Lage der Verantwortung zu stellen.

Was der Premier in seiner Rede unmissverständlich klarstellte: Er sei nicht gewillt, sich weiter den Machtspielen der Parteien zu fügen. Daher auch sein Rücktritt, als die Fünf-Sterne-Bewegung dem entscheidenden Vertrauensvotum in der Vorwoche einfach fernblieb. „Da ich nicht gewählt wurde, ist es wichtig, dass die Regierung die breitest mögliche Unterstützung im Parlament genießt“, erklärte er.

Eine Mehrheit, die genau genommen, trotz der Abstimmungsverweigerung der Fünf-Sterne-Bewegung, nicht infrage gestellt worden war. Den vielen, die Draghi in diesen Tagen darauf hingewiesen haben, antwortete er am Mittwoch: „Italien braucht kein Vertrauen, das nur Fassade ist, das nicht mehr existiert, sobald es heißt, schwierige Entscheidungen zu treffen. Es braucht ein überzeugtes und konkretes Vertrauen, wie das, das uns bis jetzt ermöglicht hat, dem Land zu einer positiven Wende zu verhelfen.“

Kompromissangebot

Draghi wollte das Regierungsprogramm fortführen, ohne täglich mit Stolpersteinen kämpfen zu müssen. Wie es weitergehen sollte, fasste er in vier Punkten zusammen: Fortsetzung des Wiederaufbauplans, Reformen, darunter Steuer-, Renten und Wettbewerbsreform, ohne die Brüssel keine Hilfsgelder mehr auszahlt, eine soziale Agenda, inklusive Mindestlohn, Energiepolitik.

Damit kam er auch den Forderungen entgegen, die ihm der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, vorgelegt hatte. So lautete seine Frage gestern im Senat: „Seid ihr bereit, den Vertrauenspakt zu erneuern? Diese Antwort müsst ihr nicht mir geben, sondern den Italienern.“ Seit Tagen gibt es Appelle aus der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die ihn in  bitten,  im Amt zu bleiben. Und Draghi weiß nur zur gut, was das Land von ihm erwartet: „Wir sind heute einzig und alleine hier, weil es die Italiener verlangt haben.“

Die Parteien haben sich für Neuwahlen entschlossen, die Anfang Oktober stattfinden müssten.