Dieselskandal: "Thermofenster" widersprechen EU-Recht
Generalanwalt Rantos beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat in seinem soeben veröffentlichten Gutachten in einem Verfahren gegen VW klargestellt, dass die sogenannten „Thermofenster“ bei Dieselautos gegen die EU Typisierungsverordnung (Verordnung Nr. 715/2007) verstösst und daher illegal ist.
Das „Thermofenster“ schaltet bei unter 15 Grad und über 33 Grad die Abgasreinigung von Dieselautos schrittweise ab. "Außerhalb dieses Thermofensters im Verlauf von 10 Grad Celsius und oberhalb von 1 000 Höhenmetern im Verlauf von 250 Höhenmetern wird die Abgasrückführrate linear auf 0 verringert, wodurch es zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen über die Grenzwerte der Verordnung Nr.Nr. 715/2007 kommt", heißt es vom EuGH. Effekt: Im Praxisbetrieb auf der Strasse bedeutet das, dass weit über die Hälfte des Jahres ein Vielfaches der Grenzwerte von giftigem Stickoxid in die Umwelt geblasen wird und Menschen an der Gesundheit schädigt.
"In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag weist Generalanwalt Rantos zunächst darauf hin, dass der Gerichtshof sich mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 erstmalig zur Auslegung der fraglichen Bestimmung geäußert habe. In der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache ging es um Kraftfahrzeuge, die über eine Software verfügten, mit der die Ergebnisse der Tests von Schadstoffemissionen, insbesondere von NOx, verfälscht werden sollten", heißt es weiter." In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Zulassungsverfahren erkennt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt, selbst wenn eine solche Verbesserung punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann."
Und weiter heißt es: "In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass das Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ sei, da amtliche Statistiken zeigten, dass die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich und Deutschland sowie in anderen Mitgliedstaaten deutlich unter 15 Grad Celsius gelegen hätten. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands führen die Kraftfahrzeuge außerdem vielfach in Höhen von mehr als 1 000 Metern."
"Nach Ansicht des Generalanwalts fällt eine Abschalteinrichtung, die vornehmlich der Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter dient, nicht unter die Verbotsausnahme, da das Funktionieren dieser Teile nicht den Schutz des Motors berühre", heißt es in einer Pressemitteilung. "Da ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher erwarten darf, dass die rechtlichen Anforderungen eingehalten werden, ist das betreffende Fahrzeug aus Sicht des Generalanwalts, selbst wenn es keine spezifischen Vertragsklauseln gibt, nicht im Sinne der Richtlinie 1999/443 dem Kaufvertrag gemäß."
Der EuGH folgt in 80 Prozent der Fälle dem Gutachten des Generalanwaltes. Wenn der EuGH letzlich so entscheidet, kann das deutsche Kraftfahrt Bundesamt die Typisierung von Millionen Fahrzeugen nicht aufrecht erhalten.
„Der Verbraucherchutzverein (VSV) begrüsst dieses Gutachten. Es ist Wasser auf unsere Mühlen bei den Klagen gegen die Dieselhersteller wie VW, Daimler, Mercedes, Porsche ua.“, sagt Peter Kolba, Obmann des VSV. „Wir bieten Käufern kosten- und risikolose Klagen gegen die Hersteller an.“
Indes legt VW Wert auf die Feststellung, dass ein Thermofenster dann zulässig sein kann, wenn unmittelbare Beschädigungsrisken, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen, abgewehrt werden müssen. "Und für genau den benannten Zweck verbaut Volkswagen Thermofenster, daher halten wir die Thermofenster bei Volkswagen weiterhin für zulässig. Insofern ist die absolute Aussage, Thermofenster wiedersprächen dem EU-Recht, aus unserer Sicht so nicht zutreffend", teilt VW mit.