"Die Seidenstraße macht einen großen Bogen um Österreich"
Die heimische Wirtschaft beobachtet das Prestigeprojekt der Volksrepublik China, die neue Seidenstraße, teils mit Hoffnung, teils mit Skepsis. Auch wenn Verkehrsminister Norbert Hofer Österreich bei diesem Thema als „first mover“ sehe, so mache die Seidenstraße in Wahrheit noch einen großen Bogen um Österreich, sagt Urs Weber, Generalsekretär der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein. Man müsse das Projekt als Chance, aber auch als Herausforderung sehen.
„Ziel der Volksrepublik China könnte sein, auf internationaler Ebene mit den USA gleichzuziehen. Dafür ist Europa ein wichtiger Baustein“, sagt Jozef Sikela, Vorstandsmitglied der Erste Group. Der Ausbau der Seidenstraße sei grundsätzlich zu befürworten, in letzter Zeit würden sich aber Bedenken über die Ausbreitung der chinesischen Interessen häufen. In Europa tue man sich mit dem gelenkten Wirtschaftsverständnis der Chinesen schwer. „Wir dürfen uns nichts vormachen, die Chinesen verfolgen ihre eigenen Interessen“, sagt Sikela. Europa müsse seine demokratische Überzeugung durchsetzen und seine Werte hochhalten.
Die Schweizer Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch glaubt, dass die Volksrepublik mit dem Projekt an den Ruhm des alten China anschließen will. „Es ist das erste Mal, dass China soweit über seine Grenzen hinausgeht.“ Wichtig sei, dass internationale Standards eingehalten werden, vor allem wenn es um Nachhaltigkeit gehe. „Ausschreibungen müssen offen sein, es darf nicht diskriminiert werden“, sagt Ineichen-Fleisch.
Laut Palfinger-Vorstand Martin Zehnder verfolgt China nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Ziele. China setze in anderen Ländern Projekte um und bringe diese teilweise in seine Abhängigkeit. Außerdem gebe es keinen freien Marktzutritt, klagt Zehnder. Man bekomme Lizenzen in China nur über Joint-Ventures. Auch müsse man sich gegen Technologietransfers absichern. Es bestehe die Gefahr, aus dem Markt gedrängt zu werden, die Technologie aber dortbleibe.
Keine Transparenz
Was hat China mit der Seidenstraße tatsächlich vor? Gao Xingle, Botschaftsrat der Volksrepublik China in Österreich, lässt sich nur ein wenig in die Karten schauen, „Die Seidenstraße soll nicht nur China, sondern auch anderen Ländern wirtschaftliche Entwicklung bringen und eine Win-win-Situation schaffen.“ Vergabe und Finanzierung seien noch nicht transparent, gesteht Xingle. Das müsse sich ändern, etwa durch eine Datenbank, in der alle Projekte aufgenommen werden.
Am Internationalen Eisenbahn-Kongress, der dieser Tage in Wien stattfand, war die Seidenstraße Hauptthema. „Österreich befindet sich zwar noch nicht an der Seidenstraße, wir arbeiten aber daran“, sagte Andreas Reichhardt, Generalsekretär des Verkehrsministeriums. Die Verlängerung der Breitspurbahn von Kosice im Osten der Slowakei nach Wien sei nicht nur für Österreich, sondern auch für die Nachbarländer wichtig. Laut derzeitigem Plan soll in acht Jahren mit dem Bau begonnen und die Strecke bis 2030 fertiggestellt werden. Welche Probleme es noch gibt, zeigt Oleg Belozerov, Generaldirektor der Russischen Staatsbahnen, auf. Die Zeit, durch Russland zu fahren, habe sich auf neun Tage reduziert. An den Grenzen würden die Züge aber wegen der Papiere zwei Tage lang aufgehalten. „Wir brauchen einheitliche Regeln“, sagt Belozerov.
Die Seidenstraße ist ein Netzwerk, das sich durch 65 Länder zieht. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung sind davon betroffen. 95 Prozent des Transportvolumens wird derzeit noch über die maritime Seidenstraße – den Seeweg – transportiert. Schiffe brauchen von Asien nach Europa 30 bis 40 Tage, die Bahn 14 bis 16 Tage. Das Volumen wächst: 2014 fuhren 300 Züge, 2030 sollen es 10.000 sein.
thomas pressberger