Wirtschaft

Der Handel als Theater

Scheidungen und Kinder kurbeln das Weihnachtsgeschäft an – und Mode hat ein Ablaufdatum wie Joghurt, sagt Handelsexperte Peter Schnedlitz.

KURIER: Viele, die am 8. Dezember shoppen waren, haben das Gefühl, noch nie so ein Gedränge erlebt zu haben ...
Peter Schnedlitz:
Diese Weihnachtshektik ist eine subjektive Wahrnehmung. Jubelmeldungen wie „Es waren 700.000 Menschen in der Einkaufsstraße XY“ halte ich überhaupt für gefährlich.

Weshalb?
Weil sich dann viele denken werden, dass sie lieber zu Hause bleiben. Oder noch schlimmer: Sie kaufen im Internet. Und das heißt meist nichts anderes, als dass Kaufkraft ins Ausland, vor allem nach Deutschland, abfließt. Die heimischen Händler haben im Internet leider große Versäumnisse.

Die Berichte über das Weihnachtsgeschäft sind jedenfalls sehr widersprüchlich ...
Ja. Ich bin heuer etwas verwirrt. Laut Handelsverband rennt es nicht so gut. Die Wirtschaftskammer Wien berichtet von Jubelmeldungen und die Wirtschaftskammer Österreich sagt, dass das Weihnachtsgeschäft an Bedeutung verliere.

Und Ihre Einschätzung?
Fakt ist, dass Weihnachten – also der Mehrumsatz im November und Dezember im Vergleich zu einem durchschnittlichen Monat – seit zehn Jahren konstant rund drei Prozent des Jahresumsatzes ausmacht. Ich sehe neben interessanten Produktinnovationen und neben dem Wetter nur zwei Faktoren, die zu mehr Umsatz im Handel führen könnten.

Die wären?
Kinder und Scheidungen. Bei der Geburtenrate tut sich aber nichts. Scheidungen sind aber immer ein Impulsgeber fürs Geldausgeben. Der Blumenstrauß für das erste Date kostet immer mehr als jener, den die Gattin zur Silbernen Hochzeit bekommt. Das ist einfach so. Aber dazu gibt es leider keine fundierten Studien.

Glaubt man den Umfragen, werden die Österreicher heuer einmal mehr vor allem Gutscheine unterm Christbaum finden ...
Das sind doch Verlegenheitsantworten in Umfragen, die schon im September, Oktober gemacht werden. Fest steht aber, dass Gutscheine für den Handel das beste Geschäft sind. Zumindest, wenn sie nicht eingelöst werden. Und laut Studien werden immerhin zehn bis 15 Prozent der Gutscheine nie eingelöst.

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Zwei Wochen vor Weihnachten sieht man bereits überall Sale-Schilder. Beginnen die Ausverkäufe immer früher oder ist das ein subjektive Wahrnehmung?
Der Handel arbeitet seit zwanzig Jahren mit vorgezogenen Ausverkäufen. Im Textilbereich gibt es immer mehr Monatsanbieter. Das heißt, nach drei Wochen wird die Ware schon abverkauft, weil neue nachkommt. Mode hat da ein ähnliches Haltbarkeitsdatum wie Joghurt – der Spruch ist nicht von mir, sondern vom Inditex-Chef (Anm: Modekette Zara). Entweder sie verkaufen die Ware ab oder bleiben drauf sitzen.

Ist der Modehandel da nicht eine Ausnahme? In Baumärkten schaut das Geschäft doch ganz anders aus?
Ein Baumarkt hat durchschnittlich 100.000 Artikel, aber 80 Prozent des Umsatzes macht er an manchen Tagen mit nur hundert davon. So gesehen ist der Handel wie Theater: Es gibt viele Statisten, aber nur wenige machen die Show.

Beim Möbelhandel ist das noch einmal anders, oder?
Ja. Dort wird ein Markensofa ausgestellt, das der Kunde dann bestellen muss. Hat der Händler Glück, bekommt er 30 Bestellungen für das Ausstellungsstück – und dieses verkauft er dann auch noch ab. Deswegen schaut auch seine Kalkulation anderes aus. Er kalkuliert mit dem Faktor 1,8 – das heißt, er verkauft das Stück um 1,8-mal so viel wie er es selbst einkauft.

Wie schaut der Faktor im Modehandel aus?
Im Modehandel liegt er zwar bei drei, doch durch die permanenten Abverkäufe schlittern viele Bekleidungsgeschäfte in die Verlustzone.

Sie haben sich immer für die Sonntagsöffnung ausgesprochen. Ist das Thema nicht auch ein Theater?
Es ist auf jeden Fall schon ausgelutscht. Es spitzt sich im Wesentlichen auf den ersten Bezirk in Wien und ein paar Shoppingcenter zu. In den Bundesländern haben wir ja die Tourismusregelungen.

Herr Lugner ist wegen des Themas bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegangen.
Ich verstehe Richard Lugner. Sein Einkaufszentrum Lugner City ist so etwas wie ein Dorfplatz für Großstadtkinder geworden. Ich denke, Wien wird es sich als Weltstadt auf Dauer nicht leisten können, am Sonntag geschlossene Geschäfte zu haben. Aufsperren allein ist aber kein Selbstläufer. Das hat man bei der EURO2008 gesehen. Damals haben auch nicht alle profitiert.

Wäre eine Liberalisierung jetzt gut oder schlecht?
Der Markt hat kein Herz. Er stärkt die Starken und schwächt die Schwachen. Das hat man auch in der Vergangenheit bei jeder Liberalisierung gesehen. Profitieren würden starke Betriebstypen und Standorte.

Zur Person: Der gebürtige Steirer Peter Schnedlitz, geboren 1954, ist seit 1992 Vorstand des Instituts „Handel und Marketing“ an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zu den Forschungsschwerpunkten des Vaters von drei Kindern zählen Handelsmarketing und -forschung sowie Marketingkonzeption im Handel.Schnedlitz habilitierte an der Universität Graz und hatte Lehr- und Forschungstätigkeiten an den Universitäten Innsbruck, Trier, Klagenfurt, Maribor und an der Keio University in Japan.

Sind es 273, 370 oder 451 Euro, die die Österreicher heuer für Weihnachtsgeschenke ausgeben? Die Studien, die alle Jahre wieder zum Weihnachtsbudget erstellt werden, unterscheiden sich deutlich.
Während das Marktforschungsinstitut GfK davon ausgeht, dass 410 Euro pro Person für Geschenke ausgegeben werden, sind es bei Ernst & Young 273 Euro. Integral im Auftrag der Erste Bank kommt auf 451 Euro.

Der Höhe nach könne man die Weihnachtsbudgets nicht vergleichen, sagt Werner Beutelmeyer, Chef des Linzer market Instituts. Denn jede Studie basiere auf unterschiedlichen Abfragemodellen und Stichproben. Sinn mache ein Vergleich nur in der zeitlichen Abfolge: Ist es heuer mehr oder weniger als im Vorjahr? Das sollte deckungsgleich sein. Ist es aber nicht. Ernst & Young und GfK gehen davon aus, dass das Christkind heuer weniger spendabel ist als im Vorjahr. Laut Integral sind die Geschenke unter dem Christbaum heuer größer als 2011. Entscheidend sei aber, so Beutelmeyer, der Zeitpunkt, an dem die Frage nach dem Weihnachtsbudget gestellt werde. Da die Antwort auf die Frage nach dem Budget eine Absichtserklärung ist, sei entscheidend, ob die Befragungen im November oder zwei Wochen vor Weihnachten stattfinden. - Ulla Grünbacher