Wirtschaft

Das Dilemma mit dem Plastik-Müll

Wer kennt die Bilder nicht? Riesige Plastikstrudel in den Weltmeeren, Plastikmüllberge am Rande von Städten in Entwicklungsländern. Der weltweite Verbrauch von Kunststoffen aber steigt trotzdem stetig. Was Alfred Stern, neuer Chef des Kunststoffkonzerns Borealis, dazu sagt und welchen Ausweg er aus dem Plastikmüll-n?Dilemma sieht, erklärt er im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Plastik hat wegen des Müll-Problems einen schlechten Ruf. Die EU hat Plastik-Sackerln verboten. Wie stellt sich Borealis diesen Frage?

Alfred Stern:Ich bin auch kein Fan des Einmal-Plastiksackerls. Ich bin immer ein bisserl enttäuscht, dass das Thema auf dem Plastiksackerl aufgehängt wird. Das ist eine Einzelanwendung. Wir bei Borealis setzen auf Innovation und investieren hier viel. Wir haben im Vorjahr 155 Patente in Österreich angemeldet.

Patente zur Vermeidung von Plastik-Müll?

Man muss sehen, dass Kunststoffe enorme Vorteile haben, die positiv auf die Umwelt wirken. Aus unserem Kunststoff werden zum Beispiel Rohre für Wasserleitungen hergestellt. Sie sind dichter als Metallrohre, der Wasserverlust sinkt. In der Autoindustrie wird Kunststoff verwendet, um die Fahrzeuge leichter zu machen. Spritverbrauch und -Ausstoß sinken dadurch. Oder: Plastikrohre für Fußbodenheizungen. Wären die aus Kupfer, könnte sich kein Mensch so eine Heizung leisten.

Heißt das: Wer auf umweltfreundliche Heizung setzt, braucht Kunststoff?

Ja, das ist das Thema. Das größte Problem unserer Gesellschaft ist doch der -Ausstoß. Um diesen zu reduzieren, sind Kunststoffe wertvolle Helfer, beispielsweise bei Niedrigenergiehäusern. Oder bei der Solarenergie: Die Fotovoltaikmodule werden in Kunststoff gepackt, damit sie gegen Umwelteinflüsse geschützt sind. Das erhöht deren Lebensdauer.

Soll Klimaschutz Vorrang vor Müllvermeidung haben?

Wenn wir den Lebensstandard der Weltbevölkerung auf ein höheres Niveau bringen wollen, ist das ohne Kunststoffe nicht umsetzbar. Ohne Kunststoffe müssten wir wesentlich mehr Rohstoffe verbrauchen.

Die andere Seite ist: Kunststoff verrottet nicht ...

Es ist nötig, dass wir bei Kunststoff-Recycling zu anderen Werkstoffen aufschließen. Bei Metallen zum Beispiel ist die Kreislaufwirtschaft weit fortgeschritten, Kunststoffe landen noch immer großteils auf Mülldeponien. Unsere Meinung ist: Kunststoff gehört nicht auf eine Deponie. Recycling ist die erste Alternative.

Kann Plastik überhaupt im großen Stil recycelt werden?

Vom Werkstoff her betrachtet, sind Kunststoffe sogar hervorragend dafür geeignet. Wir simulieren das in unserem Werkstoffzentrum in Linz, wo wir Kunststoffe 20 mal und sogar öfter neu verarbeiten, ohne dass ihre Eigenschaften signifikant schlechter werden.

Kann Wiederverwertung ein neues Geschäftsfeld werden?

Wir sehen das als große Chance. Deshalb haben wir 2016 eine Recyclingfirma in Deutschland gekauft. Wir waren damals weltweit der erste Polyolefinhersteller, der eine Recyclingfirma erworben hat. Ich glaube, dass wir in einigen Jahren den Kunststoffabfall als Rohstoff wiederverwenden können.

Was muss passieren, damit das auch so kommt?

Ein Beispiel: Wir verarbeiten mit dem Recycler mtm plastics 70.000 Tonnen Plastikmüll. Wenn Sie dort auf die falsche Seite des Werks gehen, stinkt es. Weil das ist Plastikmüll aus dem gelben Sack. Da sind alle Arten von Plastik kreuz und quer drinnen. Das wird dort gewaschen und geschreddert und dann kommt wieder Kunststoffgranulat heraus. Wären die Kunststoffsorten besser getrennt, wäre Recycling einfacher.

Das Müll-Sammeln wird noch komplizierter ?

Grundsätzlich sind die Sortiermaschinen schon sehr gut, sie können den Müll gut trennen. Aber natürlich wird die Qualität besser, wenn man nur ein Material wieder verwertet.

Wofür kann dieses recycelt Plastik verwendet werden?

Das ist zum Beispiel gut genug, um Edding-Stifte zu machen, oder Plastikkübel. Wir experimentieren aber noch viel. Unser Vorteil als Produzent ist, dass wir beginnen, recycelte und neue Ware zu mischen. Da stecken wir Geld hinein, um die mtm-Recyling-Fabrik zu erweitern. Wir wollen die Kapazität um 50 Prozent erhöhen und investieren 15 Millionen Euro.

Welche Mengen an Plastikabfall fallen insgesamt an?

Weltweit kommen 1,5 Milliarden Tonnen fester Müll zustande. Davon ist etwa ein Prozent aus Plastik. Dieser Anteil ist auch in Österreich so. Da sieht man schon, dass es insgesamt einiges zu tun gibt.

Plastik-Müll nimmt aber besonders stark zu, vor allem weil immer mehr in Plastik verpackt wird ...

Es ist heute so, dass zwischen 30 und 40 Prozent unserer Lebensmittel in der westlichen Welt nie den Mund und schon gar nicht den Magen erreichen. Wenn diese Bioabfälle in den Müll kommen und dort verrotten, entsteht Methan. Das ist ein vielfach stärkeres Treibhausgas als . Der Punkt ist: Durch gute Verpackungen kann dieser Lebensmittelabfall auf die Hälfte reduziert werden. Daher glaube ich: Plastik weglassen allein wird nicht funktionieren. Wir müssen auf die Gesamtbilanz schauen.

Was tun also?

Wir müssen nicht nur die Kreislaufwirtschaft bei Plastik verbessern, sondern auch dessen Anwendungen. Ein Beispiel: Nachfüllpackungen für Waschmittel. Das spart Material. Man transportiert auch weniger Verpackungsmaterial und mehr von dem, was man transportieren möchte. Die große Herausforderung liegt noch in den Materialmischungen – Plastik, Papier, Metall. Und noch etwas ist wichtig: Kein Unternehmen kann den Kreislauf allein schließen. Da muss man auch die Gemeinden dazu bekommen, das gesamte Müllmanagement muss mitmachen.