Wirtschaft

Bus-Terminal dringend gesucht

Der Städtetourismus wächst schneller als der Tourismus insgesamt. Der Großraum Wien zählte im Vorjahr 13,5 Millionen Gästenächtigungen. In Österreich hat Wien einen Nächtigungsanteil von 9,6 Prozent, der Anteil an den Tourismuseinnahmen ist mit rund 14 Prozent besonders hoch. Wien ist nach London, Paris, Rom, Barcelona, Prag und Berlin auf Rang sieben im Ranking der beliebtesten Touristen-Städte Europas. Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner über aktuelle Trends.

KURIER: Deutsche Busunternehmen wie MeinFernbus und FlixBus fahren verstärkt nach Österreich. Rechnen Sie mit vielen zusätzlichen Touristen?

Norbert Kettner: Die Dynamik wurde allgemein unterschätzt. Jährlich kommen 1,5 Millionen Touristen mit dem Fernbus in Wien an. Wir brauchen dringend einen entsprechenden Bus-Terminal in Wien. Es gibt jetzt täglich allein vier Verbindungen nach Berlin. Ich warne alle, die Busse aus der Stadt raus haben wollen und als Quelle jeden Übels in der Stadt sehen. Busse gehören zu einer Stadt dazu, auch wenn sie nicht unbedingt direkt vor dem Stephansdom halten müssen.

Können Sie die Wirkung von neuen Langstreckenflügen, etwa nach Newark und Peking, in den Gästezahlen ablesen?

Nicht direkt. Aber 50 Prozent der Wien-Touristen kommen mit dem Flugzeug, bei Kongressen sind es 80 Prozent der Teilnehmer. Wir arbeiten deswegen intensiv mit den Fluglinien zusammen. Die Peking-Verbindung ist enorm wichtig, weil sie Anschlussmöglichkeiten in ganz China bietet. Das merken wir unmittelbar.

Wie viele Chinesen kommen nach Wien?

Im Vorjahr hatten wir 208.000 Nächtigungen chinesischer Touristen, ein Plus von 5,1 Prozent. Einer unserer Hoffnungsmärkte ist Korea mit im Vorjahr 124.000 Nächtigungen und einem Plus von 24 Prozent. Dort haben wir unter anderem mit der Starköchin Sohyi geworben, die bei uns unter "Kim kocht" bekannt ist.

Eine Südkoreanerin macht statt Sisi und Lipizzanern Werbung für Wien?

Ja, wir präsentieren Wien als multinationale Stadt, in der es keine Rolle spielt, woher du kommst.

Im Mai kamen 20 Prozent weniger Russen nach Wien. Nur wegen der Rubelabwertung?

Nicht nur, aber vor allem. In der aktuellen Situation macht der Ton die Musik. Die Russen sind ein stolzes Volk. Alte Klischees wie jenes vom Wilden Osten und Aussagen wie "Russland gehört nicht zu Europa" kommen nicht gut an. Das heißt nicht, dass man alles, was in Russland passiert, gutheißen muss.

Wien ist binnen eines Jahres um mehrere Luxushotels reicher geworden und die Hoteliers klagen über den Preiskampf ...

Ich habe Verständnis für die Probleme der Hoteliers, aber gewisse Hotelmarken, wie Ritz Carlton oder Park Hyatt, gehören zu einer Weltstadt dazu. Sie machen internationales Marketing und verstärken die Präsenz Wiens in der Welt. Und sie schaffen Ganzjahresjobs. Also, was wollen wir? In der internationalen Liga spielen oder dörfliche Verschlafenheit?

Wien ist aktuell die Nummer 7 der beliebtesten Städtedestinationen Europas. Wer holt am stärksten auf?

Es gibt derzeit zwei Superstars: Moskau und Istanbul. In der Vergangenheit haben Berlin und Barcelona stark aufgeholt, unterm Strich bleiben London und Paris immer ganz oben. Übersee-Touristen fahren oft zuerst dorthin und dann nach Wien, Prag oder Berlin.

In Brasilien wirbt Wien ja gemeinsam mit Berlin um Gay-Touristen. Warum das?

Gay-Touristen gehören meist zur Kategorie doppeltes Einkommen, keine Kinder. Sie geben im Urlaub im Durchschnitt um 40 Prozent mehr aus als andere Gäste. In Brasilien reisen derzeit nur zwei Prozent der Bevölkerung – also jene, die es sich leisten können. Da gibt es starke Überlappungen.

Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der Film für die Tourismuswerbung?

Das ist international ein übliches Werkzeug. Nehmen Sie nur New York, da will jeder hin, weil er die Stadt aus Filmen kennt. Berlin investiert derzeit viel auf diesem Gebiet. Bei uns geht mir ein Förderinstrument für ausländische Produktionen in Wien noch ab. Wir haben gerade eine brasilianische Produktion logistisch unterstützt. Über den Film "Woman in Gold" mit Helen Mirren, in dem es um die Restituierung der Klimt-Gemälde geht, freue ich mich sehr.

Ärgern Sie sich noch immer über Wirte, die für Leitungswasser Geld kassieren?

Ich war gerade rund um die halbe Welt unterwegs und bin in Tokio, Toronto oder Seoul regelrecht mit Wasser überschüttet worden. Was soll ich sagen? Jeder ist seines eigenen Images Schmied ...

Seit September 2007 ist Kettner, 1967 in Tirol geboren und dort aufgewachsen, Geschäftsführer des Wien Tourismus. Zuvor war er (ab September 2003) Gründungsgeschäftsführer der departure wirtschaft, kunst und kultur GmbH, Österreichs erste Wirtschaftsförderinstitution für die Creative Industries.

Kettner ist unter anderem Mitglied des ORF-Stiftungsrates und stellvertretender Aufsichtsratschef der Kunsthalle Wien.
Von 1997 bis 2007 war Kettner Vorstandsmitglied des Life Ball, Europas größtem Aids-Charity-Event.