Wirtschaft

Brigitte Ederer: Aufsichtsrat hat zu viel Macht

KURIER: Wie beurteilen Sie Österreichs Wirtschaftspolitik?

Brigitte Ederer: Im Moment läuft die Industrie ganz gut und wir sind auch gut durch die Krise gekommen. Aber es gibt bereits ein Wetterleuchten am Horizont. Was mir wirklich Sorgen bereitet, ist die Bildung. Wir stecken viel Geld ins Bildungssystem und der Output ist gering. In Österreich gibt es 450.000 Menschen ohne Schulabschluss.

Hat Österreich überhaupt eine Industriepolitik?

Wenn man will, dass österreichische Unternehmen weiter hierbleiben, müssen sie im Wettbewerb unterstützt werden. Sie müssen die richtigen Arbeitskräfte bekommen, das hat wieder viel mit Bildung zu tun. Forschung und Entwicklung müssen stärker unterstützt werden. Mittelständler tun sich sehr schwer mit der IT-Automatisierung. Die richtigen Rahmenbedingungen haben auch mit Energiepolitik zu tun. Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Energiepolitik.

Sind Sie für die Besteuerung von Vermögen?

Wenn man das Budget sanieren will, muss man den Menschen das Gefühl geben, dass alle ihren Beitrag leisten. Man kann nicht eine Gruppe ausnehmen. Entscheidend ist, ob man Vermögen oder den Vermögenszuwachs besteuert. Ich bin für die Besteuerung von Zuwachs.

Was halten Sie von der Erbschaftsteuer?

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Bei den Einheitswerten muss auf alle Fälle etwas getan werden, diese haben sich seit ca. 30 Jahren nicht angepasst. Vermögenszuwachs wird mit 25 Prozent besteuert, der Höchststeuersatz auf Arbeit liegt bei 50 Prozent. Da sollte es eine Annäherung geben. Die kalte Progression frisst gerade im unteren Bereich die Lohnerhöhungen. Dort brauchen wir eine Entspannung, um den Konsum aufrechtzuerhalten.

Warum haben Sie als einzige Kapitalvertreterin im Aufsichtsrat der Staatsholding ÖIAG gegen den Telekom-Syndikatsvertrag mit America Movil gestimmt? Das Management der Telekom hatte drei Wochen zuvor überhaupt keine Krisensituation dargestellt. Man werde weiter investieren können und das Unternehmen in den kommenden Jahren entschulden. Dieser Bericht hat in keiner Weise Anlass zu dramatischen Entscheidungen gegeben. Außerdem hat die Telekom seit 1945 Netze aufgebaut, die einen unglaublichen Infrastruktur-Wert Wert haben. Und es hat mich besorgt, wie das Ganze abgelaufen ist.

Was konkret meinen Sie?

Es ist immer dieselbe Vorgangsweise. Jemand kauft ei-nen Anteil an einem staatlichen Unternehmen, dann wird ein Krisenszenario beschworen und Druck gemacht, dass Handlungsbedarf bestehe. Das wurde bei der Voest versucht, gelang aber nicht. Bei der VA Tech und der Telekom war diese Strategie allerdings erfolgreich.

Aber jetzt, bei 400 Millionen Euro Wertberichtigung in Bulgarien, müssen Sie doch froh über die Mexikaner sein.Im Mai hatte der Wirtschaftsprüfer noch nichts gemeldet. Was ist denn seit damals passiert? Nur mit der wirtschaftlichen Lage in Bulgarien ist das nicht erklärbar. Dass die dortige Bevölkerung schrumpft, wissen wir seit einigen Jahren. Entweder hat der neue Telekom-Finanzvorstand oder die neue Mannschaft in Bulgarien nochmals genauer hingesehen oder die Mexikaner haben den Scheinwerfer intensiver darauf gerichtet.

Ist der Syndikatsvertrag eine Privatisierung der Telekom ohne gesetzlichen Auftrag?

Das Ergebnis ist so.

Die Regierung schrieb die Aufwertung der ÖIAG in das Koalitionsabkommen, die ÖIAG Neu ist aber am parteipolitischen Gezänk gescheitert. Wie sehr bedauern Sie das?

Die Regierung hat ja noch etwas Zeit. Ich gehe davon aus, dass das Regierungsabkommen realisiert wird.

Halten Sie die ÖIAG Neu für eine gute Idee?

Der Eigentümer, also die Republik Österreich, muss sich überlegen, was er mit seinen Beteiligungen macht und ob sie richtig gemanagt sind oder nicht.

Hannes Androsch meint, die ÖIAG könne ein Ministerialrat auch managen.

Das kommt darauf an. Es macht schon Sinn, die ÖIAG nicht ganz nahe an der Politik zu haben. Wichtig ist, dass das Unternehmen nach unternehmerischen Gesichtspunkten geführt wird. Bis Mitte der 80er-Jahre war das oft nicht der Fall. Aber es macht Sinn, z. B. bei Infrastrukturunternehmen öffentliche Eigentümer zu haben, denn neben den Gewinninteressen gibt es hier auch Standort- und Versorgungsinteressen.

Die ÖIAG ist jetzt weit entfernt von der Politik – zu weit?

Die Frage ist, wer die Eigentümerinteressen vertritt.

Der neue Vorsitzender Siegfried Wolf?

Ich weiß nicht, wie er mit dem Eigentümer kommuniziert.

Ist der sich selbst erneuernde Aufsichtsrat sinnvoll?

Peter Mitterbauer, bis vergangene Woche Aufsichtsratsvorsitzender der ÖIAG, hätte nie im Leben in seinem Unternehmen akzeptiert, dass sich der Aufsichtsrat selbst wählt. Es geht darum, wie der Eigentümer seine Interessen durchsetzt.

Derzeit kann er das gar nicht. Soll die Selbsterneuerung, ein Relikt der Regierung Schüssel/Grasser, abgeschafft werden?

Wäre ich politisch verantwortlich, würde ich es als Eigentümer-Vertreter gerne sehen, dass sich diese Verantwortung in einer Vertretung im Aufsichtsrat niederschlägt. Ich würde das System der Selbsterneuerung ändern.

Dieser Aufsichtsrat ist ohnehin großteils ein Freunderlverein.

Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Aber es kann doch nicht sein, dass der Eigentümer nicht strategisch über sein Eigentum entscheiden kann. Letztendlich sollte der Aufsichtsrat die Interessen des Eigentümers vertreten. Tut er das nicht, kann ihn der Eigentümer nicht abberufen. Das geht nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Aufsichtsrat. Niemand würde sich das gefallen lassen, wenn ihm das Unternehmen gehört. Es geht nicht darum, dass die Politik den letzten Abteilungsleiter bestimmt, sondern es geht um strategische Überlegungen.

Sie waren Spitzenpolitikerin und Top-Managerin. Welcher Job ist härter?

Mitarbeiter abzubauen ist extrem belastend. Andererseits steht man als Politikerin ununterbrochen unter medialer Beobachtung. Diese öffentliche Beurteilung war für mich am Schluss fast unerträglich. Die Leute reden mich heute noch auf den Ederer-Tausender an.

Was antworten Sie?

Das kommt darauf an, wie ich gelaunt bin und in welchem Tonfall ich gefragt werde.

Was sind die wichtigsten Karriere-Tipps, die Sie einer jungen Frau geben?

Erstens: Man kann nur Karriere machen, wenn man etwas verändern und gestalten will. Nur dann hat man den Zug zum Tor. Zweitens: Die zeitliche Verfügbarkeit ist sehr hoch.Und drittens: Karriere kann man nicht planen, daher sollte man eine gewisse Gelassenheit haben. Wenn man nicht die ganz große Karriere macht,hat man auch ein schönes Leben. Karriere hat ihren Preis.

Als SPÖ-Staatssekretärin verhandelte sie den EU-Beitritt Österreichs mit. Danach war sie Finanz-Stadträtin in Wien. 2000 wechselte sie in den Vorstand von Siemens Österreich, fünf Jahre später wurde sie Generaldirektorin. 2010 gelang der Aufstieg in den Konzernvorstand von Siemens. Nach Streit mit dem Betriebsratschef ging sie 2013 vorzeitig ab. Verheiratet ist sie mit dem langjährigen EU-Abgeordneten Hannes Swoboda. Ederer sitzt im Aufsichtsrat von ÖIAG, ÖBB, Infineon, Boehringer Ingelheim und Schoeller-Bleckmann.